Kevin Trapp gegen FC Bayern:Das Ein-Mann-Sonderphänomen

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Der Frankfurter Kevin Trapp ist beim 2:1-Sieg in München der überragende Mann. Und obwohl man das Spiel zum Teil mit der Torhüterleistung erklären kann, liefert es doch ein Muster, wie der FC Bayern zu schlagen ist.

Von Philipp Schneider, München

Der Pressesaal in der Münchner Arena ist beileibe keine Provinzbühne mit den Dimensionen einer Abstellkammer. Wer die zur Bühne hin abfallenden Stufen herunterschreitet, wer vorbeiläuft an den Reihen, in denen die Sitze mit rotem Gewebe bezogen sind, den beschleicht das Gefühl, dies alles sei erdacht, um die großen Stoffe des Welttheaters aufzuführen. Als Pep Guardiola genau dort in einem Sommer vor acht Jahren als neuer Trainer des FC Bayern präsentiert wurde, da hatten man noch nie so viele TV-Kameras, Fotoapparate, Blitzlichter und Journalisten auf einem Haufen gesehen. 250 Reporter aus elf Ländern waren gekommen, manche aus Japan, Brasilien und Katar. Und im Atrium wurden Ochsenroastbeef, Kresse-Salat und Queso Manchego serviert, dazu Jamón Ibérico, eingeflogen aus Guardiolas Heimatland, frisch von der Keule.

Die Erinnerungen daran, was alles möglich ist, stiegen einem nun wieder in den Sinn, weil der Presseraum wegen der Pandemie eineinhalb Jahre geschlossen war und erst kürzlich wieder aufgesperrt wurde. Journalisten, Welttrainer und Allerweltstrainer dürfen sich endlich wieder gut maskiert näher kommen. Derjenige, der am Sonntag als tragender Protagonist eines soeben aufgeführten Fußballdramas als Erster die Stufen hinablief und die Bühne bestieg, bewies sogleich, wie wichtig die Wiedereröffnung des Theaters ist. Er trug das Dress eines Fußballtorwarts.

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Und wenn der Augenschein der Reporter nicht trog, unter denen sich diesmal keine aus Japan, Brasilien oder Katar befanden, dann handelte es sich beim Mann des Tages nicht einmal um Manuel Neuer, die Nummer eins beim FC Bayern und bei Bundetrainer Hansi Flick. Sondern um Kevin Trapp, den Schlussmann von Eintracht Frankfurt, Flicks Nummer vier - noch hinter Bernd Leno vom FC Arsenal und Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona.

Bayern-Trainer Nagelsmann klang nicht gerade so, als wäre er in der Tiefe seiner Seele erschüttert

Herr Trapp, hat man das manchmal vorher im Gefühl, wenn es gut läuft in einer Partie? "Meinen Sie bei mir? Oder bei der Mannschaft?" Netter Versuch. Also nachgebohrt. Herr Trapp, war das jetzt das beste Spiel ihrer Karriere? "Boah", sagt Trapp. "Das ist jetzt so viele Jahre her... Muss ich zurückdenken. Ist sicher eines davon." Kurze Pause. "Also, ich habe das Spiel nicht alleine gewonnen."

Wirklich nicht?

Es ist für die Trainer einer unterlegenen Mannschaft ja immer eine beruhigende Sache, wenn sie wissen, dass auf der Seite des Gegners Außergewöhnliches geschehen ist, das sich ihrem Einfluss entzieht. Sonderphänomene sind grundsätzlich faszinierend. Mit ihnen lassen sich in der Wirtschaft komplexe Sachverhalte erklären, etwa plötzlich einsetzende Inflationen. Und im Fußball helfen sie, wenn eine Mannschaft wie der FC Bayern nach einem 1:1 gegen Borussia Mönchengladbach zum Auftakt, neun Pflichtspielsiegen nacheinander (darunter ein 3:0 gegen Barcelona, ein 5:0 gegen Kiew und ein 4:1 gegen Leipzig) wie am Sonntag ohne Vorwarnung mit 1:2 gegen Eintracht Frankfurt verliert.

Besonders spannend sind Sonderphänomene dann, wenn der Trainer, der all die Siege und die eine Niederlage zu verantworten hat, erst seit Saisonbeginn im Amt ist. Julian Nagelsmann klang nach seinem ersten Spiel ohne Punktgewinn in München nicht gerade so, als wäre er in der Tiefe seiner Seele erschüttert, als er trocken analysierte: "Ich fand das Spiel jetzt nicht großartig anders als die Spiele in den letzten Wochen. Nur das Ergebnis ist ein anderes."

Kann das sein? Kann so ein 3:1 gegen Greuther Fürth, das es ja ebenfalls kürzlich gegeben hat, im Kern seines Wesens einem 1:2 gegen Eintracht Frankfurt ähneln?

Tatsächlich hatten sowohl die Fürther als auch die Kiewer ebenfalls über jene Möglichkeiten verfügt, die nun der Eintracht genügten. Das muss allerdings nichts heißen, sind diese doch in jedem Spiel einer D-Jugend zu besichtigen. Martin Hinteregger rammte einen Eckball mit dem Kopf ins Tor (32.), weil der am Sonntag merkwürdig irrlichternde Münchner Abwehrchef Dayot Upamecano lieber die Luft im freien Raum verteidigte als gegen den Frankfurter, der schon im Mai 2020 in drei Minuten zwei Tore gegen Manuel Neuer erzielt hatte. Und der ausgezeichnete Filip Kostic nutzte einen Ballverlust der Bayern sieben Minuten vor Schluss. Wobei Kostic dabei einen seiner Spezialtricks anwendete, der wiederum in der D-Jugend eher selten zu erleben ist: einen Schuss aus sehr spitzem Winkel, den sich außer Kostic nicht viele Mittelfeldspieler auf der Welt gegen Neuer trauen.

Aber es stimmt schon: Außer diesen Chancen und einem überaus profanen Abwehrbollwerk aus jederzeit acht, neun schwarzgekleideten Männern rund um den eigenen Strafraum hatte die Eintracht nicht viel aufzubieten am Sonntag. Entsprechend war Nagelsmann auch nicht so sehr verärgert angesichts seiner ersten Pflichtspiel-Niederlage in München. Vielmehr deshalb, weil diese so unnötig war. "Total vermeidbar", wie es Nagelsmann ausdrückte.

Und doch hatte die Partie ein Muster offengelegt, wie sich die Bayern besiegen lassen, wenn sich eine gegnerische Mannschaft traut, zum unpopulären Mittel der radikalen Defensive zu greifen. Es sei "am Ende immer tödlich", befand Nagelsmann, "wenn du vier gegen eins im Aufbau spielst und in der vordersten Linie dann die anderen sechs Spieler hast, weil es dann ein großes Loch in der Mitte gibt". Was sehr kompliziert klingt, beschreibt etwas Simples: Vier Verteidiger versuchen den Ball in den gegnerischen Strafraum zu transportieren, wo Nagelsmann gerne sehr viele mögliche Passempfänger sehen möchte. Geht der Ball vorne verloren, ist im Mittelfeld niemand mehr übrig, um ihn zurückzuerobern. So kam Kostics Siegtreffer zustande. "Wir dürfen nicht zu viel Personal im Aufbau verschenken und müssen die Staffelung beibehalten", forderte nun Nagelsmann.

Dass die Eintracht am Sonntag das Dauerfeuer auf ihr Tor halbwegs unbeschadet überstand und einzig Leon Goretzka (29.) das Bollwerk überwand, lag dann aber doch an dem Ein-Mann-Sonderphänomen Kevin Trapp. Der flog, zappelte und fing so artistisch alle Bälle weg, dass er sich vor seiner Ehren-Pressekonferenz ein kalorienreiches Festbankett verdient hätte wie Pep Guardiola bei seiner Begrüßung. Es kommt nicht oft vor, dass ein vom Weltfußballer Robert Lewandowski gar nicht mal schlecht platzierter Kopfball aus fünf Metern Entfernung nicht seinen Weg vorbei findet am Torwart. Trapp blockte 19 von 20 Torschüssen der Bayern. Und einen 21. von seinem Teamkollegen Kristijan Jakic, der nicht der ungefährlichste war.

Bundestrainer Hansi Flick, der vermutlich eher gekommen war, um vor den anstehenden Länderspielen gegen Rumänien und Nordmazedonien den sogenannten Bayern-Block bei der Arbeit zu erleben, sah von der Tribüne aus, wie der Frankfurter Trapp seine eigene Nicht-Nominierung mit lauter guten Taten infrage stellte. Mit Paraden also, nicht mit Worten. Flick werde ihn "deswegen nicht heute anrufen", hat Trapp erkannt. Wohlwissend, dass eine Partie mit reichlich Sonderphänomenen weder die Rangliste der Nationaltorhüter ins Wanken bringt, noch eine Staatskrise an der Säbener Straße lostritt. "Wenn wir das 2:1 machen, dann kann es auch 3:1 ausgehen oder 4:1. Dann stehen wir wieder und singen Super-Bayern. Und so ist es nichts mit Super-Bayern", sagte Thomas Müller. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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