Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Fünf Tore und feinstes Wienerisch

In einem Stadion, in dem man nun auch jedes Kommando von David Alaba hört, schlägt der FC Bayern Frankfurt bis auf einen Hoppla-Moment überlegen mit 5:2 - und beginnt eine "ganz, ganz entscheidende Woche".

Aus dem Stadion von Christof Kneer

Was man über Geisterspiele zum Beispiel noch nicht wusste: Dass bei der Heimmannschaft der Co-Trainer vorgelesen wird, nicht aber beim Auswärtsteam. Möglicherweise handelt es sich dabei allerdings um keine Empfehlung in dem 51-seitigen DFL-Hygiene- und Sicherheitskonzept, sondern um eine Art Bayern-Bonus, den sich der FC Bayern selber genehmigt hat. Ohne Publikum braucht es keinen Stadionsprecher, der vom Publikum die Nachnamen der Spieler brüllen lässt, also verlas Bayern-Pressesprecher Dieter Nickles die Aufstellungen in großer Sachlichkeit. Und am Ende sagte er dann: "Unser Co-Trainer: Hermann Gerland". So viel Zeit muss sein. "Euer Co-Trainer Armin Reutershahn" sagte er nicht.

Das ist es wahrscheinlich, was vom Heimvorteil in diesen Zeiten noch übriggeblieben ist, aber die Bayern haben unter dem Cheftrainer Hansi Flick ohnehin wieder einen Spielstil entwickelt, in dem sie sich heimisch fühlen, egal in welcher Stadt und welchem Stadion. Auch beim ebenso klaren wie kuriosen 5:2 (2:0) gegen Eintracht Frankfurt warfen sie früh den Autopiloten an und zeigte jene Art von Offensivspiel, mit dem man unterlegene Gegner gleich furchtbar nervt. Die Bayern waren sich nicht zu schade, verlorene Bälle sofort wieder zurückzuerobern, und so hatte die Partie schon nach gut zehn Minuten einen Aggregatszustand erreicht, für den die Sportpresse mal die ausgezeichnete Formulierung "Ein Tor liegt in der Luft" erfunden hat.

Nach elf Minuten donnerte Robert Lewandowski den Ball nach einer Ecke an die Latte. Nach 12 Minuten scheiterte Ivan Perisic, nach 14 Minuten Benjamin Pavard. Nach 17 Minuten stand es 1:0. Thomas Müller, der auch ohne Zuschauer herumrennt, wo er will, tauchte plötzlich am linken Flügel auf, und seine Hereingabe verwandelte Leon Goretzka, der den angeschlagenen Thiago ersetzte. Ja, Bayerns Kader ist klein. Aber luxuriös ist er schon.

Später trafen noch Müller, Lewandowski, Davies sowie dreimal der Frankfurter Hinteregger (einmal davon ins eigene Tor), und mit diesem Sieg haben sich die Münchner nun also jenen komfortablen Vier-Punkte-Vorsprung erhalten, den sie sehr gerne mitnehmen zum Auswärtsspiel in Dortmund am kommenden Dienstag. "Eine ganz, ganz entscheidende Woche" könne das werden, sagte Thomas Müller nach dem Spiel.

Trainer Hansi Flick hatte sich gegen Frankfurt wieder mal an einem jener Kunststücke versuchen müssen, das Trainer nicht so gerne mögen: Er musste seiner Mannschaft einerseits vermitteln, bitte nur an Frankfurt und bloß noch nicht an Dortmund zu denken - er selbst aber musste beide Partien im Paket denken. So bekam der zuletzt leicht angeschlagene Serge Gnabry eine Schonungspause für Dienstag aufgedrängt, für ihn durfte sich am linken Flügel mal wieder Ivan Perisic versuchen. "Bravo!" rief David Alaba in feinstem Wienerisch, nachdem Perisic vor Müllers Vorlage zum 1:0 den Ball hübsch durchgelassen hatte. Man hört halt jetzt alles.

Bei Eintracht Frankfurt hörte man derweil vor allem den Österreicher Stefan Ilsanker, der im Abwehrzentrum spielte und dort zumindest versuchte, all jene Lücken zuzubrüllen, die seine Vorderleute immer wieder klaffen ließen. Es beeindruckte die Frankfurter offenkundig, dass die Bayern sich anfangs überhaupt nicht von der Geisterkulisse beeindrucken ließen, von der Eintracht kam in dieser Phase viel zu wenig Gegenwehr. Nur von Ilsanker: Ein wirklich lautes Organ hat er, Respekt.

Kurzzeitig verteidigen die Bayern wie in jenen Vorbereitungsspielen, in denen auch niemand zuschaut

Zu jenen Zeitpunkten, die die Sportpresse die "psychologisch günstigen" nennt, legten die Münchner zu Ilsankers Entsetzen weitere Tore nach, kurz vor der Pause durch Müller (41.) nach Vorarbeit von Davies, kurz nach der Pause durch Lewandowski (46.) nach Vorarbeit von Coman. Wenn Bayern kurz nach der Pause 3:0 führt, gibt es normalerweise präzise zwei Möglichkeiten, wie ein Spiel weitergehen kann: Entweder veranstalten die Bayern ein gnadenloses Schützenfest, das alle gegnerischen Abwehrchefs heiser bis stumm werden lässt; oder sie spielen das Spiel barmherzig zu Ende, weil sie sich zum Beispiel für ein Dienstagsspiel in Dortmund schonen wollen.

Nicht vorgesehen ist hingegen die Variante, wonach ein gegnerischer Abwehrspieler binnen drei Minuten zwei Tore nach Standardsituationen erzielt: Ilsankers Landsmann Martin Hinteregger brüllt etwas leiser, ist aber der wahre Abwehrchef der Eintracht und gilt als torgefährlichster Abwehrspieler der Liga. Seine beiden Treffer (52., 55.) zeigten, dass die bis dahin so souveränen Bayern offenbar doch nicht ganz unempfänglich sind für die Seltsamkeiten eines leeren Stadions. Ein bisschen spannungslos verteidigten sie in diesen Momenten, wie bei diesen lässigen Vorbereitungsspielen, bei denen auch niemand zuschaut.

Für Momente wie diese hat die Sportpresse die ausgezeichnete Formulierung "Hoppla, was ist denn hier los?" erfunden, aber der Hoppla-Faktor blieb der Partie nicht sehr lange erhalten. Kurz wackelten die Bayern, aber die Frankfurter taten ihnen den Gefallen, sich dann gleich wieder selbst zu schlagen. Nach einer krassen Unaufmerksamkeit von Fernandez durfte Davies fast ungehindert zum 4:2 durchmarschieren (61.), später lenkte ausgerechnet Hinteregger den Ball nach einem Solo des eingewechselten Serge Gnabry ins eigene Tor (74.).

David Alaba jubelte, Stefan Ilsanker schimpfte nicht.

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SZ vom 24.05.2020/schm
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