Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Ein Kuss, der viel über Bayerns Stimmung verrät

  • Carlo Ancelotti küsst Franck Ribéry: Das hat viel Symbolisches für das Verhältnis zwischen dem Trainer und den Spielern des FC Bayern.
  • BVB-Trainer Thomas Tuchel findet derweil zu einer höchst kuriosen Interpretation des Abends.
  • Hier geht es zur Tabelle der Bundesliga.

Von Klaus Hoeltzenbein

Plötzlich setzte Franck Ribéry den bösen Blick auf. So muss er geschaut haben, als er einst als Lausbub durch die Gassen seiner Heimatstadt Boulogne-sur-Mer streifte und die Dinge mal nicht so liefen, wie er sie sich in den Kopf setzte. Soeben hatte sich der Franzose noch vom Applaus des Publikums wie auf einer Sänfte aus der Arena tragen lassen - jetzt aber entdeckte er am Spielfeldrand den großen Carlo, und schon wechselte Ribéry den Charakter. Ein böser Blick, ein schnippisches Fingerschnipsen, und eine Flucherei wie ehedem am Meer. Für einen Augenblick sah es so aus, als stünden sich Ribéry und Ancelotti unversöhnlich gegenüber.

Es war ganz großes Laienschauspiel, ein Einsprengsel ins Spitzenspiel, die Szene einer theatralischen Auswechslung in Minute 74. Und doch aufgeladen mit viel erhellender Symbolik; jedenfalls für alle, die noch immer rätseln, was denn das Binnenverhältnis zwischen Carlo und seinen Spielern so besonders macht. Ließ sich doch der große Carlo erst gar nicht auf eine Debatte ein, er nahm den Kopf seines Filou in beide Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Warum? "Ach, er hatte Geburtstag und hat ein gutes Spiel gemacht, das war mein Kompliment."

Männerküsse auf öffentlichen Bühnen sind selten geworden, seit Leonid Breschnew und Erich Honecker tot sind, und sie hatten im untergegangenen Sozialismus immer sehr viel Falsches. Als Momentaufnahme für die Situation beim FC Bayern aber taugt dieses frühlingshafte Lippenbekenntnis unten am Spielfeldrand, sofort hellte sich die Miene des Geküssten auf, der tags zuvor bereits 34 Jahre alt geworden war. Wenig später lieferte Ribéry zum amourösen Boulevard die Erklärung: "Das ist eine schöne Relation mit dem Trainer. Er gibt viel Vertrauen, es macht Spaß mit ihm. Ich fühle mich wohl mit ihm. Das ist wichtig für ihn und für mich."

Ancelotti ist wie ein Animateur, den die Gäste besonders mögen

Mit Carlo Ancelotti und seinen Profis muss man es sich im Frühjahr 2017 in etwa so vorstellen wie mit einem Animateur im Cluburlaub, den die Gäste ganz besonders mögen. Weil sie mit ihm viel Freude haben im heimischen Spaßbad beim Gegner-Versohlen, so wie es jüngst dem FC Arsenal (5:1), Schalke (3:0), dem Hamburger SV (8:0), Augsburg (6:0) und Samstagabend Borussia Dortmund (4:1) widerfuhr. Bei dem sie aber gerade deshalb gerne mal die Grenzen des Erlaubten ausloten.

Zum Beispiel dann, wenn der Ribéry den Robben macht. Wenn er bei seiner Auswechslung eine Show abzieht, den Beleidigten mimt, wie es der Kollege vom anderen Flügel drei Wochen zuvor beim 1:0 in Mönchengladbach tat. Damals verweigerte Robben gar den Handschlag. Dass Ancelotti mal den Robben küsst, seinen höchst speziellen Ego-Shooter, liegt bislang noch jenseits aller Vorstellungskraft, wobei sich dieser die ein oder andere Umarmung längst verdient hätte.

Allein deshalb, weil Robben ein sensationelles Unikat darstellt. Weil er immer denselben Trick vorführen kann - und immer alle darauf reinfallen. Weil alle Spalier stehen oder umfallen wie jetzt die BVB-Verteidiger Sokratis und Schmelzer, als Robben mit seinem Hüftwackler, der einer brasilianischen Samba-Tänzerin zur Ehre gereichen würde, wieder einmal streng zur Mitte zog. Wohin dann der Ball flog? Wohin er immer fliegt. Wenn's passt, millimeterexakt neben den linken Pfosten. Jeder Zwergl-Torwart weiß das, auch Dortmunds Roman Bürki lag in jener Ecke, auch er streckte sich vergeblich.

Robbens Bogenball zum 3:1 - dieses Eintreten eines eigentlich seit Fußball-Jahrhunderten vorhersehbaren Ereignisses - war aus Dortmunder Perspektive endgültig der Stimmungskiller. Bereits ohne viel Prominenz angereist (Reus, Weigl, Kagawa, Schürrle, Götze), waren die Gäste lange sehr bemüht, sich im bayerischen Spaßbad zurechtzufinden.

Doch der Spielverlauf kam ihnen nicht entgegen. Weshalb Thomas Tuchel unwidersprochen zu einer höchst kuriosen Interpretation des Abends finden konnte: Mit der Startphase, so der Trainer, sei er eigentlich sehr zufrieden gewesen - dabei lag sein BVB nach zehn Minuten bereits mit zwei Toren zurück. Dembélé und Aubameyang hätten bei etwas mehr Präzision im Passspiel durchaus treffen können, stattdessen sahen sie dem fidel kombinierten 0:1 von Ferne zu: Thiago zu Lahm, Lahm diagonal durch den Strafraum zu Ribéry, Ribéry ins Netz.

Beim 0:2 war Dembélé dann mittenmang dabei - entlarvt als jener, der beim Robert-Lewandowski-Freistoß völlig asynchron in der Dortmunder Mauer sprang. Während die Kollegen noch hoch in der Luft hingen, war Dembélé längst wieder gelandet, drehte sich zudem weg vom Ball, der exakt die präsentierte Lücke wählte.

Tuchel, 43, meinte Szenen wie diese, als er den Scheinwerfer abrupt auf Dienstag, auf die Champions League und den AS Monaco umzulenken versuchte: "Unterm Strich können wir das Spiel sofort abhaken." Er hofft auf die Rückkehr diverser Verletzter, das tut auch Ancelotti, 57, der am Mittwoch Real Madrid erwartet und eine Empfehlung für die eigene Mannschaft hat: Nicht zu viel denken! "Wenn wir zu viel nachdenken, können wir nicht schlafen - und wir brauchen in den nächsten Tagen viel Schlaf." Der große Carlo, 57, hat halt alles schon erlebt. Carlo weiß, was Spieler wünschen.

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SZ vom 10.04.2017/chge
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