Süddeutsche Zeitung

Müller-Wohlfahrt beim FC Bayern:Die Rückkehr des ewigen Arztes

  • Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt verließ den FC Bayern im Streit mit Ex-Trainer Pep Guardiola - nun soll er nach einem Bericht der Bild-Zeitung wieder Mannschaftsarzt werden.
  • Viele Spieler vertrauten ihm ohnehin weiter und besuchten ihn in seiner Praxis.
  • Seine Methoden, etwa die Anwendung von Actovegin, sind jedoch nicht unumstritten.

Von Thomas Hummel

Wer sich nach Heimat sehnt, nach dem Wohlbekannten und der Gewissheit, dass die Dinge so bleiben, wie sie immer waren, für den sind Spiele des FC Bayern gerade wie ein Wärmekissen. Uli Hoeneß, 65, ist offenbar so ein Nostalgiker. Der Präsidenten-Rückkehrer lockt seine alten Kumpane zurück, einen nach dem anderen: Jupp Heynckes, 72, trainiert in seiner vierten Amtszeit, an seiner Seite sind die ewigen Co-Trainer Hermann Gerland, 63, und Peter Herrmann, 65. Und als vorläufigen Höhepunkt dieser Zurück-in-die-Zukunft-Politik reaktivieren die Münchner nun laut Bild-Zeitung das sprintschnellste Mitglied ihrer Vereinsgeschichte: den Mann mit den wehenden Haaren, der seit Anbeginn aller orthopädischen Zeiten über Fußballplätze rast: Der "Mull" ist wieder da!

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt ist laut Enzyklopädien 75 Jahre alt. Wobei man bei dieser Zahl stets einen Fake-News-Verdacht hat, denn viel zu jungenhaft läuft der Sportarzt zu den Verletzten und Lädierten - fast will man wissen, ob sich der Doktor selbst Verjüngungskuren verordnet. Jedenfalls passt in dieses Bild auch die Jungenhaftigkeit all der anderen Veteranen des erstaunlich erfolgreichen Alt-Herren-Regimes der Bayern.

Weil der junge Volker Braun, 44, als Mannschaftsarzt zurückgetreten ist, ist die alte Stelle von "Mull" frei. Und was liegt im Herbst 2017 näher, als auf Bewährtes zu setzen? Der Vintage-Zeitgeist weht die alten Moden zurück auf die Bühne. Hat nicht Heynckes die Mannschaft sportlich wieder auf die Schiene gesetzt mit sieben Siegen in sieben Spielen? Jetzt soll Müller-Wohlfahrt wieder dafür sorgen, dass alle Spieler einsatzbereit sind. Er soll laut Bild eine Art Teamchef des Ärzte-Stabes werden, seine Kollegen Peter Ueblacker, Lutz Hänsel und Jochen Hahne erledigen die Tagesarbeit. Mit ihnen habe sich der Klub auf ein medizinisches Konzept geeinigt. Irgendwas musste sich wohl tun beim FCB, zuletzt hatte sich ja sogar der muskellos wirkende Thomas Müller muskulär verletzt.

Auch als Braun zuständig war, sind viele Spieler weiterhin in die Praxis von Müller-Wohlfahrt gefahren, obwohl dieser im Streit den Verein verlassen hatte. Seit 1977 war er auf der Ersatzbank der Bayern gesessen, mit kurzer Auszeit in der Ära des Trainers Klinsmann - aber die hatte sich schnell erledigt. Im April 2015 warf dann Trainer Pep Guardiola nach dem 1:3 im Champions-League-Viertelfinale in Porto dem Ärzteteam vor, dass Verletzte zu lang verletzt seien, nicht schnell genug wieder spielen könnten. Müller-Wohlfahrt fühlte sich persönlich attackiert und erklärte seinen Rücktritt. Der gesamte medizinische Stab inklusive Sohn Kilian folgte.

Diese Demission mitten in der Saison hätte leicht zum endgültigen Bruch führen können. Doch Spieler wie Arjen Robben solidarisierten sich mit dem Arzt ihres Vertrauens. Und seit Patriarch Uli Hoeneß nach seiner Gefängnisstrafe wieder als Vereinsoberhaupt fungiert, genießen ehrwürdige Bayern-Familienmitglieder ohnehin besonderen Schutz.

Dabei ist Müller-Wohlfahrt in der Branche nicht unumstritten. Er wird von vielen Sportlern verehrt, Größen wie Usain Bolt fliegen zu ihm nach München. Seine Fähigkeiten, Muskel- und Sehnenverletzungen mit den Fingerspitzen zu ertasten, besitzen Legendenstatus. Andererseits steht er in der Kritik, speziell wegen des Einsatzes des Kälberblut-Extrakts Actovegin, das in vielen Ländern nicht zugelassen ist und nach Expertenansicht die Grenze zum Doping streift. Doch sein Image in der Öffentlichkeit litt unter dieser Debatte nie. Er ist eine Art Popstar unter den Sportärzten. Solange Mick Jagger auf der Bühne die Zunge rausstreckt, fliegen auch Müller-Wohlfahrts Haare über den Platz.

Fußball-Deutschland ist nun wieder doppelt abhängig von seinen Fähigkeiten, Müller-Wohlfahrt ist auch Arzt bei der Nationalmannschaft. Gerade die Weltmeister um Manuel Neuer, Jérôme Boateng und Mats Hummels spüren, dass ihre Körper die jahrelangen Belastungen nicht mehr so leicht wegstecken. Da können die Tipps des niemals verletzten, schnellsten 75-Jährigen der Welt nicht schaden.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2017/schm
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