FC Bayern:Die Heilkraft des Jupp

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Der große Heiler: Mit Jupp Heynckes ist diese Saison etwas Großes möglich. (Foto: dpa)
  • Der FC Bayern hat unter Jupp Heynckes zu alter Stärke zurückgefunden.
  • Der Trainer weiß, wie er jeden seiner Spieler im Kader richtig fördern kann.
  • So könnte in dieser Saison etwas ganz Großes entstehen.

Von Benedikt Warmbrunn, München

Irgendwann werden die Chronisten auf diesen Herbst zurückblicken, und sollte es dabei auch darum gehen, wann genau alles seinen Anfang hatte, dann werden sie schnell sehen, dass dies nicht an diesem Abend im Dezember gegen Paris Saint-Germain war. Sie werden dann sehen, dass am Anfang eine blutende Nase steht. Das Nasenbluten des Jupp Heynckes Ende Oktober in Leipzig hat ohnehin schon einen sicheren Platz in den Jahresrückblicken, aber bisher wurde die Nase unterschätzt, als kleine Anekdote mit blutbeträufeltem Hemd. Wichtig für den weiteren Saisonverlauf wurde dieses Nasenbluten jedoch erst anschließend: Heynckes musste zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt, ein Äderchen wurde verödet, seitdem blutet Heynckes' Nase nicht mehr. Er war sehr zufrieden mit seinem HNO-Arzt.

Dass etwas entstehen könnte für den FC Bayern München in dieser Saison, etwas Großes, vielleicht etwas Größeres, das ist seit Dienstagabend ein bisschen besser vorstellbar, seit dem 3:1 (2:0) im letzten Gruppenspiel der Champions League gegen Paris. PSG, das war auch das 0:3 im Hinspiel, der letzte Auftritt von Carlo Ancelotti als Trainer des FC Bayern, von dem Mann, den die eigene Mannschaft irgendwann nicht mehr verstand. PSG, das ist seit Dienstag auch das Synonym für die Heilkraft des Jupp Heynckes. Dem Trainer, der es sogar versteht, seine eigene Verwundbarkeit zu nutzen, um Nähe aufzubauen.

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Ein paar Tage nach Heynckes' Besuch beim HNO-Arzt blutete im Training eine andere Nase. Sie gehörte einem Spieler, der unauffällig war in den ersten Wochen der Saison. Dem neuen Trainer war er nur aufgefallen, weil er nicht mit nach Leipzig fahren wollte, wegen Rückenschmerzen. Nach der Rückkehr sprach Heynckes mit ihm, sagte, dass ihm das nicht gefallen hatte, dass er, der Spieler, wenigstens hätte versuchen sollen, rechtzeitig fit zu werden. Er sagte ihm aber auch, dass er nicht nachtragend sei, dass er ihn unterstützen werde. Unter anderem schickte er ihn, mit der blutenden Nase, zu seinem HNO-Arzt. Verödet werden musste nichts, stattdessen bekam er eine Salbe verschrieben, damit die Schleimhäute nicht austrocknen.

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Knapp einen Monat später, im Rückspiel, war dieser Spieler, James Rodríguez, der auffälligste Mann auf dem Platz.

Sie hatten sich beim FC Bayern viel vorgenommen für den Dienstag. Gewinnen wollten sie, das Spiel, an Prestige. Und sie wollten zeigen, dass der FC Bayern unter Heynckes eine Mannschaft ist wie 2013, in der Triple-Saison. Gewonnen haben sie, das Spiel, an Prestige. "Wir haben untermauert, dass wir nach wie vor nicht nur wettbewerbsfähig sind, sondern dass wir eine gute Mannschaft und Ambitionen haben", sagte Heynckes. Doch es war eine ganz andere Mannschaft als die von 2013.

Dass das Hinspiel gegen die Franzosen der letzte Auftritt von Ancelotti war, das lag auch an der Aufstellung. Mats Hummels, Franck Ribéry, Arjen Robben, Jérôme Boateng, sie alle spielten nicht. Sie waren anschließend Zeugen dafür, wie weit Trainer und Mannschaft sich voneinander entfernt hatten.

Auch im Rückspiel fehlten in der Aufstellung klangvolle Namen. Doch dass sie fehlten, war kein Zeichen der Entfremdung. Sondern eines der Erneuerung. Ganz beiläufig führte Heynckes an diesem Dienstag vor, wie er auch den Umbruch des FC Bayern gestalten kann. Boateng, Javier Martínez, Thomas Müller, drei von Heynckes' Lieblingsspielern aus der Triple-Saison, saßen auf der Bank. Sie wurden von Heynckes nicht berücksichtigt, weil dieser seine eigenen Regeln in diesen Wochen strikt befolgt. Die erste Regel: Die Hierarchie darf nie gefährdet werden. Die zweite: Wer nicht fit oder müde ist, spielt nicht - falls doch, droht nur ein Verstoß gegen Regel eins. Regel drei: Wer gut traininert und sich gut benimmt, darf spielen - alles andere wäre ebenfalls ein Verstoß gegen Regel eins.

Heynckes stellte also gegen Paris Niklas Süle in die Innenverteidigung, jenen Süle, der im Hinspiel noch taumelte im Windschatten all der PSG-Flitzer. Im Rückspiel verteidigte er gelassen, es war, als ob allein sein hinkelsteinigartiger Körper reichte, um den Gästen die Lust auf ein Sprintduell zu nehmen. Auf links außen rannte Kingsley Coman - und wies eindrucksvoll nach, dass seine Schnelligkeit mit der aller PSG-Angreifer mithalten kann; dem 3:1 durch Corentin Tolisso ging eines dieser Turbo-Solos voraus (69.). "Kingsley wird immer stärker und hat jetzt auch die Übersicht vor dem Tor", lobte Heynckes. Und dann spielte noch dieses Mittelfelddreieck, das es so erst seit wenigen Monaten im Kader gibt: Sebastian Rudy, Tolisso, James. "Ich muss vom ganzen Kader Gebrauch machen", sagte Heynckes, "für mich war das keine Überraschung."

Seit zwei Monaten ist Heynckes zurück in München, inzwischen hat er einen guten Überblick gewonnen, was alles zu gebrauchen ist in seinem Kader. Am deutlichsten wird das in seinem Umgang mit James. Als Heynckes kam, war der Kolumbianer introvertiert und verkrampft; für den Trainer war er ein Beispiel dafür, wie wichtig die Integration in einer Fußballmannschaft ist. Also machte er mit ihm das, was er am liebsten macht: Er redete mit ihm. Und zwar auf Spanisch. Keiner spricht das spanische "J" so lustvoll kratzig aus wie Heynckes.

Außerdem suchte er für ihn eine passende Position, er fand sie nicht auf einem der Flügel, nicht auf der Position direkt hinter Angreifer Robert Lewandowski. Er fand sie weiter hinten, so dass das Mittelfelddreieck zusammenrückte. Aus der Sicherheit dieser Dichte heraus entfaltet sich James immer besser; am Dienstag leitete er das erste Tor von Lewandowski (8.) sowie das 3:1 (s. o.) ein, das zwischenzeitliche 2:0 bereitete er mit einer präzisen Flanke auf den Kopf von Tolisso vor.

Gekommen war dieser James Rodríguez, der nun auch für Heynckes' Fähigkeiten als Umbruchleiter steht, übrigens allein, weil er der Wunschspieler von Carlo Ancelotti war.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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