FC Bayern:Frührentner Ulreich muss wieder arbeiten

Sven Ulreich

Wieder im Dienst: Sven Ulreich, der Ersatztorhüter der Bayern, vertritt Manuel Neuer in Rostow.

(Foto: dpa)

Lange musste er warten. Gegen Rostow darf Torwart Sven Ulreich nun endlich spielen - und denkt trotzdem über Abschied nach.

Von Matthias Schmid

Sven Ulreich braucht an diesem Donnerstag vielleicht mal wieder etwas länger, wenn er durch Münchens Innenstadt radelt. Es könnte gut sein, dass ihn ein paar Leute anhalten und mit ihm sprechen wollen, vielleicht nach einem Autogramm fragen. Seit er im vergangenen Jahr nach München gezogen ist, habe er das kaum erlebt, erzählte der Ersatztorhüter des FC Bayern vor Kurzem der tz. Er genieße seine neue Anonymität, das ruhige Leben an der Isar. "Ich bewege mich deutlich entspannter als in Stuttgart", sagte Ulreich.

An diesem Mittwoch um 18 Uhr - hier im SZ-Liveticker - schiebt ihn aber die Wadenverletzung von Manuel Neuer unverhofft ins Scheinwerferlicht. Der 28-Jährige spielt beim Auswärtsspiel der Münchner in der Champions League beim FK Rostow und wird in den Tagen danach mit Sicherheit wieder präsenter in den Köpfen der Menschen sein. Für Ulreich ist es das erste Pflichtspiel in dieser Saison - und eine Chance, auf die er lange warten musste.

Viele konnten Ulreichs Wechsel nach München nicht nachvollziehen

Als der gebürtige Schorndorfer im vergangenen Sommer den VfB Stuttgart als Stammtorhüter verlassen hat, um sich beim FC Bayern auf die Bank zu setzen, haben diese Entscheidung viele in der Fußballbranche nicht nachvollziehen können. Warum tut sich ein 27-Jähriger im besten Fußballer-Alter und mit fast 200 Bundesligaspielen das freiwillig an? Hat sich da einer seinen Ehrgeiz mit viel Geld abkaufen lassen und genießt lieber einen sorgenfreien Vorruhestand?

Ulreich verstand die bisweilen boshaften Fragen nicht und begründete seinen Entschluss damit, dass er fortan "mit dem besten Torhüter der Welt" trainieren und sich so selbst auf ein neues Niveau hieven könnte. Das klang ehrlich und ein bisschen naiv zugleich. Ulreich wusste ja, dass Neuer ein Konkurrent ist, der Pausen so schlimm findet wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Er will immer spielen, auch gegen den SV Igling, Kreisklasse 4, Zugspitze.

Pep Guardiola hatte Ulreich zumindest in der ersten Pokalrunde einen Einsatz gegönnt, sein Nachfolger Carlo Ancelotti schenkte Ulreich bislang nichts. Der Schwabe hat sogar Verständnis dafür: "Ich war in Stuttgart nicht anders. Ich hätte nie von mir aus gesagt: Lass mal den zweiten Mann ran."

Ulreich wartete also, bis sich Neuer verletzte. Für ihn ist die Partie in Rostow nicht nur das vierte Pflichtspiel für den FC Bayern, sondern auch eine Chance zur Wiedergutmachung. In der Vorbereitung hatte er Anfang August bei der USA-Reise gegen Real Madrid etwas doof ausgesehen, als Danilo mit einem wuchtigen Distanzschuss über Ulreichs Kopf und die nach oben gerissenen Arme hinweg zum 1:0-Sieg traf.

Ulreich denkt über seine Zukunft nach

Dieser Fauxpas blieb bei den meisten Bayern-Fans hängen, nicht die famose Fußabwehr danach gegen Mariano Diaz - es sind vor allem Ulreichs geschmeidige Reflexe, die sein Spiel auszeichnen. "Das nagt jetzt aber nicht an mir", sagte Ulreich. "Ich weiß, was ich kann. Ich habe in der Vorbereitung gute Spiele gemacht - bis auf die eine Situation." Das sieht auch der Bayern-Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge so, der vor der Partie gegen Rostow Ulreich ausdrücklich lobte und sagte: "Er hat das Vertrauen von uns."

Die gemeinsamen torwartspezifischen Übungen mit Neuer, die Gespräche mit dem Nationaltorhüter hätten ihm geholfen, erzählt Ulreich. Er sei ein besserer Torhüter als zu Beginn seiner Bayern-Zeit. Reifer geworden vor allem im Kopf. "Zu Stuttgarter Zeiten bin ich verbissener ins Spiel gegangen, verkrampfter. Ich war da oft nervöser, als ich hätte sein sollen", gibt Ulreich zu. Es waren auch diese gelegentlichen Aussetzer, die dazu geführt hatten, dass er von den VfB-Fans nie sonderlich geliebt wurde. Die Fans respektierten ihn lediglich, obwohl er sich bereits als Neunjähriger dem Klub angeschlossen und früher selbst mit ihnen in der Cannstatter Kurve mitgefiebert hatte, wo sich die treuesten Anhänger versammeln.

Sein Abschied zum FC Bayern lief dann auch ziemlich geräuschlos und emotionslos ab, obwohl er noch einen gültigen Vertrag beim VfB hatte.

In München enden seine Arbeitspapiere im Sommer 2018. Mit seiner Zukunft beschäftigt er sich aber schon jetzt sehr intensiv. Er ahnt wohl selbst, dass ein Leben als chancenloser Ersatztorhüter trotz aller Annehmlichkeiten und Titel möglicherweise doch nichts für ihn ist. "Ich habe mir immer gesagt, dass ich - wenn ich hier zwei, drei Jahre bleibe - immer noch sechs, sieben weitere Jahre auf hohem Niveau spielen kann", schilderte Ulreich seine Gedanken der tz.

Er könnte sich gut vorstellen, für einen anderen Klub in der Bundesliga zu spielen. Oder in der Premier League. "Die englische Liga reizt mich", gibt Ulreich zu. Es klingt so, als ob es ihn wieder häufiger auf die große Bühne drängt und er sich nach etwas mehr Hektik im Leben sehnt.

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