Süddeutsche Zeitung

FC Bayern:Cuisance wartet auf seine große Chance

  • Mickaël Cuisance war im Sommer unter viel Lärm nach München gewechselt, die Borussia warf ihm Charakterschwäche vor.
  • Nun kehrt das Talent im Wartestand erstmals nach Mönchengladbach zurück.

Von Christof Kneer und Benedikt Warmbrunn

Nein, sagen die modernen Fußballtrainer, im modernen Fußball gebe es keine Stamm-Elf mehr, man brauche mindestens 15 gleichwertige Spieler. Das ist eine sehr lobenswerte Aussage, weil sie nach zeitgenössischem Unternehmensmanagement klingt, in dem man seine Mitarbeiter mitnehmen muss. Auch gut ist die Aussage, weil die Journalisten dann vielleicht nicht mehr so blöd fragen. Es ist ja eine beliebte Reporterstandardsituation, immer nach denen zu fragen, die nicht gespielt haben. Es ist also ausgezeichnet, wenn man als Trainer antworten kann: Ja, heute haben dieser und jener gespielt, aber es kann gut sein, dass nächste Woche schon wieder jener und dieser spielen. Die sind nah dran.

So etwa antwortet auch Bayerns Trainer Hansi Flick, wenn man ihn nach seinem dicht besiedelten Mittelfeld fragt. Zwar hat sich dort das Trio Joshua Kimmich/Leon Goretzka/Thomas Müller als Stammbesetzung herauskristallisie ... wobei, stopp: Stammbesetzung darf man ja nicht mehr sagen. Die drei haben einfach am häufigsten gespielt, aber natürlich weist Flick ebenso heftig wie zurecht darauf hin, dass auch Thiago, Philippe Coutinho und Corentin Tolisso jederzeit von Anfang spielen könnten. Sie sind allesamt: nah dran.

Von Mickaël Cuisance würde das im Moment keiner behaupten. Cuisance, 20, ist der Spieler, den vielleicht sogar die Bayern-Fans vergessen, wenn man sie auf der Straße bitten würden, mal eben den Bayern-Kader aufzusagen. In dieser Woche haben sich die Leute aber wieder an Cuisance erinnert, am Samstag spielen die Bayern ja in Mönchengladbach - bei jenem Klub, dem sie im Sommer diesen Cuisance abgekauft haben, für etwa zehn Millionen Euro.

Die fußballerischen Fähigkeiten? Reichen für einen Stammplatz, auch für einen beim FC Bayern

Aus Sicht des Spielers liest sich die Geschichte gerade nicht so hübsch: Sein neuer Verein ist Vierter in der Tabelle, sein alter ist Tabellenführer. Und der Plan des Spielers, am neuen Ort mehr Einsatzzeiten zu bekommen, ist bisher nur aufgegangen, wenn man 30 Saisonminuten als Erfolg werten mag. Bei den Siegen gegen Mainz (6:1) und Köln (4:0) ließ ihn Ex-Trainer Niko Kovac zweimal aufs Feld, aber erst, als die Spiele entschieden waren; Spielpraxis holte sich Cuisance zuletzt in Bayerns U23.

Wenn Talente in München nicht richtig zum Spielen kommen, werden gerne Vergleichsgrößen wie Renato Sanches, Alexander Baumjohann oder Jan Schlaudraff bemüht, aber natürlich ist es viel zu früh, die Akte Cuisance in einer dieser Schubladen abzulegen. Weder kam er völlig überteuert und als kommender Weltfußballer wie Sanches; noch wird er die Bayern in der Winterpause desillusioniert verlassen wie einst Baumjohann; und er war auch keine Trophäe wie Schlaudraff, den die Bayern einst auch deshalb mit prallem Stolz kauften, damit er nicht nach Bremen geht.

In der Branche gilt Cuisance als Toptalent, dessen grundsätzliche Qualitäten auch für einen Stammplatz in München reichen müssten. In seiner ersten Gladbacher Saison glänzte der junge Franzose mit großer Übersicht und feinem Fuß, schon damals hatten ihn die Bayern beobachtet, und sie haben ihn auch während der zweiten Gladbacher Saison nicht vergessen, in der Cuisance kaum spielen durfte. Im Sommer verpflichteten die Bayern ihn dann, unter ungewöhnlich viel Lärm; in Gladbach warfen sie Cuisance Charakterschwächen vor: Die Borussia, sagte Trainer Marco Rose, "ist ihm zu klein geworden".

Es war einer der freundlicheren Vorwürfe. In München wehren sich die Bosse seitdem entschieden dagegen, dass ihr Talent einen schwierigen Charakter habe. Extrem selbstbewusst sei er, das schon, aber "der Micka ist ein richtig guter Junge, der hat Potenzial", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic vor wenigen Tagen. Cuisance war damals angeschlagen, sonst hätte Flick ihn wohl ein paar Minuten in der Champions League in Belgrad spielen lassen. Sein Potenzial, betonen sie im Klub ausdauernd, müsse Cuisance nicht sofort komplett ausschöpfen, sie wollen seine Entwicklung geduldig begleiten. An Müller/Goretzka/Kimmich wird er auch in den nächsten Wochen kaum vorbeikommen, aber mit seiner Kreativität, seiner Risikobereitschaft, seiner Ruhe verfügt er über Eigenschaften, mit denen nicht alle Konkurrenten gleichwertig ausgestattet sind.

Wann Cuisance seine große Chance bekommt und ob er sie dann nutzen wird, das ist auch für die Bayern noch eine Wette auf die Zukunft. Am Samstag gegen Gladbach wird er auf jeden Fall im Kader stehen.

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SZ vom 06.12.2019/cat
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