Champions-League-Sieger FC Bayern:So groß und mächtig wie noch nie

FC Bayern feiert den Champions-League-Sieg 2020

Die Bayern am Finalabend in Lissabon.

(Foto: Getty Images)

Thomas Tuchel sieht den FC Bayern "auf dem Weg zum vielleicht größten Klub der Welt". In diesem Kompliment steckt eine Menge Wahrheit.

Kommentar von Philipp Selldorf

Viele deutsche Wörter haben Karriere in fremden Sprachen gemacht. Angst und Kindergarten im Englischen, Schnitzel und Strudel im Rumänischen, Feldmarschall und Kajüte im Polnischen, es gibt Hunderte weitere Beispiele. Dass weder der Fachbegriff "Bayern-Dusel" noch dessen Ableitung, "die Dusel-Bayern", internationale Verbreitung gefunden haben, das ist erstaunlich. Linguisten und andere Wissenschaftler müssen noch ergründen, woran das liegt. Womöglich daran, dass die Wörter eine nicht untypisch deutsche Form von Missgunst ausdrücken und womöglich von Neidhammeln oder gar vor Jahrzehnten von Willi Lemke erfunden wurden? Im Lager des FC Bayern ist man davon überzeugt. Dort lautet die Doktrin: Wir haben kein Glück gebraucht, um die programmatische Fan-Hymne "Forever Number One" zu verwirklichen. Alles hart erarbeitet.

Das Finalturnier in Lissabon, das der FC Bayern jetzt mit einem unbestritten glücklichen, aber auch unbestreitbar verdienten 1:0 gegen Paris Saint-Germain gewonnen hat, taugte nicht dazu, den Begriff Bayern-Dusel in die Welt zu tragen. Die Münchner haben sämtliche elf Champions-League-Spiele seit September vorigen Jahres gewonnen, der FC Chelsea wurde im zweigeteilten Achtelfinale 7:1 abgefertigt, der FC Barcelona mit 8:2 im Viertelfinale in einen Abgrund gestoßen, Olympique Lyon im Halbfinale 3:0 besiegt. Im Europapokal herrschten Verhältnisse, wie sie in der Bundesliga seit Jahren beklagt werden, und es gibt bereits Aussagen von Experten, die den Münchnern in Europa und Übersee eine ähnliche Dominanz prophezeien, wie sie in der Heimat besteht. "Auf dem Weg zum vielleicht größten Klub der Welt" sieht Thomas Tuchel den Gegner vom Finaltag, und wenn das vielleicht ein etwas eigennützig motiviertes Kompliment war, so steckt doch jede Menge Wahrheit drin.

Der FC Bayern ist schon lange ein großer Klub, doch so groß und mächtig wie jetzt war er wohl noch nie im Laufe seiner Erfolgsgeschichte. Er war nicht nur imstande, im Durchmarsch die Champions League zu gewinnen, er scheint auch stark genug zu sein, mit seiner Wirtschaftsmacht der Corona-Krise zu trotzen. Andere Giganten geraten durch die Pandemie-Zäsur ins Wanken. Die ständigen Widersacher FC Barcelona und Real Madrid, deren Popularität und Charisma sogar die Bayern-Chefs für überlegen hielten, können im aktuellen und auf unabsehbare Zeit anhaltenden Konjunkturtief kaum noch atmen: Extreme Unterhaltskosten der Spielerkader, hohe Schuldenstände und sportliches Missmanagement - das ist selbst für diese Rolls-Royce- Klubs eine beklemmende Mischung (natürlich werden sie trotzdem genauso weitermachen wie bisher).

Es ist nicht so, dass die Bayern nicht ebenfalls hin und wieder Investitionen aus dem irren Reich des "Fantasy Football" tätigen und Kaderkosten vorweisen, die den nationalen Mitbewerbern den Spaß verderben. Sie können sich das jedoch leisten. Sie haben es hinbekommen, mit der Zeit zu gehen und dabei die überlieferte Klubkultur zu bewahren. Die höchstmöglichen professionellen Ansprüche verbinden die beiden Sphären, dieser Klub sei "eine Maschine mit Herz", sagt der Philosoph Jorge Valdano.

So ist der FC Bayern einerseits ein modernes Corporate-Business-Unternehmen geworden und andererseits der alte Fußballerklub geblieben. Hier die perfekte Vermarktung nach Art der US-Sportindustrie, die einen frösteln lässt - dort die Traditionsherrscher Uli (Hoeneß) und Kalle (Rummenigge), inzwischen durch undurchschaubare Fehden getrennt, aber in ihrem FC-Bayern-Bekenntnis untrennbar. Am Sonntag standen sie nebeneinander und schauten auf ihre Nachfolger: Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn, Vertreter einer ganz anderen Generation, dennoch Vertreter der tradierten Klubkultur mit typischer Prägung.

Die Konkurrenz hatte gehofft, der Umbruch in der Führung und in der Kabine könnte die Vorherrschaft der Bayern stoppen, aber das Gegenteil ist passiert: Wo die großen Spanier oder auch der Riese Manchester United immer noch am Umbruch arbeiten, haben die Bayern schon alles erledigt und mit 24-/25-Jährigen namens Kimmich, Goretzka, Gnabry oder Coman bereits Geschichte geschrieben. Nicht mal Dusel brauchten sie dazu.

Zur SZ-Startseite
Final Football UEFA Champions League FC BAYERN MUENCHEN - PARIS ST. GERMAIN (PSG) Lisbon, Lissabon, Portugal, 23rd Augu

SZ PlusFC Bayern
:Flicks Werk

In 35 Spielen zum Triple-Sieger - andere drehen schon bei weniger durch. Aber Trainer Hans-Dieter Flick ist so etwas wie die umgedrehte Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Von einem, der andere leuchten lässt.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: