Verletzung von Kingsley Coman:Ein wenig Glück für den Unglücklichen

Verletzung von Kingsley Coman: Streicheleinheit für das Münchner Sorgenkind: Tottenhams Trainer José Mourinho verabschiedet den verletzten Torschützen Kingsley Coman.

Streicheleinheit für das Münchner Sorgenkind: Tottenhams Trainer José Mourinho verabschiedet den verletzten Torschützen Kingsley Coman.

(Foto: Matthias Schrader/AP)
  • Beim Sieg gegen Tottenham Hotspur verletzt sich der Bayern-Angreifer Kingsley Coman. Allerdings nicht so schwer wie zunächst vermutet.
  • Der Flügelstürmer erleidet einen Kapseleinriss im linken Knie. Den Rest der Hinrunde wird er mindestens ausfallen.
  • Trainer Hansi Flick muss nun seinen besten Eins-gegen-eins-Spieler ersetzen.

Aus dem Stadion von Tim Brack

Für den FC Bayern ist es selten ein gutes Zeichen, wenn Vereinsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt als Gesprächspartner begehrt ist. Zwar kann es ganz selten mal vorkommen, dass er nach dem Geheimnis seiner wehenden Haare befragt wird. Doch deutlich wahrscheinlicher ist, dass sich der gesundheitliche Status eines Spielers schwerwiegend verändert hat. Als der Bayern-Arzt am Mittwochabend nach dem 3:1 (2:1) des FC Bayern gegen Tottenham Hotspur durch den Kabinentrakt des Stadions eilte, war dann ausschließlich seine medizinische Expertise gefragt, speziell seine Meinung zu Kingsley Coman.

Der 23-jährige Franzose hatte sich im abschließenden Gruppenspiel der Champions League ohne Gegnereinwirkung verletzt, musste bereits nach 27 Minuten ausgewechselt werden. Unmittelbar nach dem Spiel gab sich Müller-Wohlfahrt allerdings bedeckt, es sei noch nichts sicher, vertröstete er die Journalisten. Kurz nach Mitternacht sorgte der FC Bayern in einer Mitteilung dann für Gewissheit: Coman habe sich "einen Kapseleinriss im linken Knie" zugezogen, hieß es darin. Zudem sei seine Bizepssehne gezerrt und das Kniegelenk gestaucht. Der Flügelstürmer muss sein Knie nun erst einmal mit einer Schiene ruhigstellen. Den Rest der Hinrunde wird er mindestens ausfallen.

Für den FC Bayern und Coman ist das fast eine beruhigende Diagnose, sie bedeutet ein wenig Glück für den Unglücklichen. Denn als dieser hochbegabte 23-Jährige nach etwas mehr als 20 Minuten an der Seitenlinie in der gegnerischen Hälfte lag, musste man Schlimmeres befürchten. Auch wenn Coman offenbar geahnt hatte, dass ihm das Schicksal erneut einen Streich gespielt hat. "Er dachte im ersten Moment auf jeden Fall, dass was kaputt ist", berichtete Joshua Kimmich, der als einer der Ersten beim Franzosen war. Coman habe ihm ein wenig ermutigendes Zeichen gegeben, "da habe ich mich schon erschrocken", sagte Kimmich. "Man denkt natürlich gleich an das Schlimmste", sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic.

163 Tage fiel Coman wegen zwei aufeinander folgenden Verletzungen aus

Die Schreckhaftigkeit der Münchner ist nachvollziehbar. Coman ist in seinen jungen Jahren ein Vielgezeichneter, was schwerere Verletzungen angeht. Als er gestützt von Müller-Wohlfahrt in die Kabine humpelte, bahnten sich Szenen aus dem Eröffnungsspiel der vergangenen Saison den Weg zurück ins Gedächtnis. Damals hatte sich der Flügelspieler nach einem Foul von Nico Schulz das Syndesmoseband gerissen. Ein halbes Jahr zuvor war ihm dieses Unglück schon einmal passiert. Im Dezember 2018 hatte er deswegen gar über ein vorzeitiges Karriereende sinniert. Aussagen, die er zuletzt in Bayerns Vereinsmagazin wieder einfing. "Ich meinte damals, wenn es mir sofort ein drittes Mal passieren würde. Ich hatte mich gerade zurückgekämpft und gesagt, dass ich mich nicht ein drittes Mal operieren lassen würde."

163 Tage fiel Coman damals wegen dieser zwei aufeinander folgenden Verletzungen aus. Nun werden noch einmal ein paar Krankentage mehr in seine Akte geschrieben werden, aber eben nicht annähernd so viele wie damals. Wie und ob der französische Nationalspieler diesen Rückschlag körperlich und mental verkraftet, bleibt abzuwarten. Bevor die Diagnose die Runde gemacht hatte, war Kimmich noch als Bittsteller aufgetreten, Coman möge hoffentlich nicht ausfallen, "weil er extrem wichtig für uns ist". Das Wort "extrem" hatte er dabei betont.

Warum der Franzose für die Münchner so essenziell ist

Den Nachweis seiner Wichtigkeit hatte Coman gegen Tottenham mit dem Treffer zum 1:0 erbracht. Dem ersten Tor einer Partie wird im Fußball ja häufig eine besondere Bedeutung zugesprochen. Für den FC Bayern war Comans Treffer sogar von doppelter Tragweite, da die Mannschaft drohte, wieder ins Chancenverschwenden abzurutschen. Dabei ist das Toreschießen - auch wenn er es recht ordentlich beherrscht - nicht unbedingt Comans Metier. Der Franzose ist für die Münchner so essenziell, weil er oft mehrere Gegenspieler gleichzeitig vereinnahmt. Wenn er ins Dribbling geht, folgen ihm zwei, drei Verteidiger wie Schatten, die er regelmäßig abhängt. In die Lücken, die er so heraufbeschwört, schleichen findige Stürmer wie Thomas Müller.

Flick muss seinen besten Eins-gegen-eins-Spieler ersetzen

Bayern-Trainer Hansi Flick muss sich nun überlegen, wie er den besten Eins-gegen-eins-Spieler seiner Mannschaft ersetzt. In der Bundesliga geht im Durchschnitt niemand so oft ins Dribbling, in der Champions League probieren es nur sechs Spieler häufiger. Diesen Aspekt werden die Münchner in ihrem Spiel missen, denn der Kader bietet keine gleichwertigen Spielertypen.

Ivan Perisic ist in seinem Ansatz direkter, der Kroate kam bislang aber nicht über die Rolle der soliden Aushilfskraft hinaus. Nun dürfte er wichtiger werden. Gegen Tottenham nahm er Comans Platz bereits ein, ohne dabei zu glänzen. Als Alternativen stehen noch Serge Gnabry und Müller zur Verfügung. Gnabry beherrscht die linke wie die rechte Flanke, kann aber immer nur auf einer der beiden spielen. Müller fremdelt dagegen mit der Aufgabenstellung eines Flügelspielers häufig. Und dann ist da noch Alphonso Davies, der gelernter Offensivspieler ist, aber gerade als linker Verteidiger stark spielt.

Für die Champions League muss sich Flick jedenfalls nicht mehr den Kopf zerbrechen, wie er Comans Abstinenz auffängt. Der FC Bayern hat die Gruppenphase mit einem Rekord abgeschlossen: Sechs Siege in sechs Spielen gelangen zuvor nie einer deutschen Mannschaft. Am Montag wird der Achtelfinal-Gegner ausgelost. Ende Februar findet dann das Hinspiel statt. Sehr wahrscheinlich wird Coman dann schon wieder fit sein. Die Rückrundenvorbereitung wird er jedenfalls bestreiten, stellte Müller-Wohlfahrt am Donnerstagnachmittag nach weiteren Untersuchungen fest.

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