Der Spieler Kimmich ist zwar erst 24, aber er ist schon so etwas wie der Seismograf des FC Bayern. Eigentlich kommt er über die Saison mit einem einzigen selbstsicheren Gesichtsausdruck aus, doch wenn sein Temperament ausschlägt, ist Gefahr in Verzug. Kimmich gilt als harter, konsequenter, im Wesenskern jedoch fairer Profi. Dass er in Dortmund die Gesetze des Rasens gebrochen hat, kann auch flächendeckend interpretiert werden: Sein Fehltritt gegen Jadon Sancho symbolisiert die Gereiztheiten beim gesamten FC Bayern.
In zwei Wochen wird an einem Freitag mit einem Heimspiel die Bundesliga-Saison angepfiffen, der FC Bayern empfängt Hertha BSC, und Kimmich darf, so er sich nicht verletzt, dabei sein. Er hätte auch zwei, drei Spiele gesperrt werden können, hätte das Schnellgericht aus Schiedsrichter und Videoassistent es nicht fälschlicherweise bei einer Verwarnung belassen, sondern Rot gezeigt.
Supercup BVB vs Bayern:Euphorie schlägt Nervosität
Der 2:0-Sieg der Dortmunder im Supercup zeigt, wie stark die Borussia schon jetzt ist - und wo der FC Bayern die größten Baustellen hat.
Der FCB wird nachjustieren, so hat er es schon oft gemacht
Ein solches Kimmich-Rot hätte den Kontrast noch schärfer gezogen: zwischen jenem flirrenden 3:0 im Berliner Pokalfinale, mit dem sich der FC Bayern gegen RB Leipzig in die Sommerpause verabschiedet hatte - und diesem 0:2 in Dortmund verlorenen Supercup, dem Präludium zur neuen Saison, dessen Verlauf signalisierte: Der Meister ist nicht fertig! Der Meister ist eine Baustelle!
Der Kontrast zum 25. Mai spiegelte sich in Stil und Resultat. Im Berliner Olympiastadion war es der FC Bayern, der mit Präzisionskontern den Leipziger Sturm und Drang abwürgte. In Dortmund hingegen führten die Münchner anschaulich den Beweis, dass Ballbesitz kein positiver Wert an sich ist. Sie besaßen den Ball im prozentualen Verhältnis 65:35, wussten aber im Verlauf des Spiels immer weniger Sinnvolles mit ihm anzufangen. Stattdessen herrschte der BVB zu Hause mit der Igel-Taktik. Er beschränkte sich in der zweiten Halbzeit auf zwei von Toren gekrönte Präzisionskonter, die zudem Tempodefizite der Münchner in der Rückwärtsbewegung aufdeckten.
Die Verlierer werden nachjustieren, so haben sie es schon oft und auch in der Vorsaison bei ihrer siebten Meisterschaft in Serie gemacht. Herbst und Winter werden sie wieder einmal benötigen, um die Defizite des Sommers zu kaschieren. Es warten gewaltige Aufgaben: Deutschlands neuer Weltstar-Aspirant Leroy Sané, der weiterhin in Kürze im Trainingslager am Tegernsee erwartet wird, wäre zu integrieren. Und der Abschied des Klub-Patrons Uli Hoeneß, der demnächst gewiss nicht leise aus dem Präsidentenamt scheiden will, ist zu moderieren.
Sportliches Nahziel wird es deshalb sein, trotz all der Gereiztheiten erst einmal dran zu bleiben, nicht noch einmal - wie im Vorjahr - in der Tabelle neun Punkte Rückstand auf die Dortmunder anzuhäufen. Neun Punkte dürften, und das ist die einzig klare Erkenntnis aus diesem Supercup, gegen einen personell verstärkten und demonstrativ mutigeren BVB nicht noch einmal aufzuholen sein.
Das 0:2 wird beim FC Bayern als Warnung verstanden werden. Beruhigend wirkt beim Meister aber wohl eine Erkenntnis: Die Mia-san-mia-Aura, die einschüchtern und irritieren kann, nahm in der Sommerpause keinen Schaden. Hätte Kimmich folgerichtig Rot gesehen, wären die Erschütterungen jetzt größer.