Süddeutsche Zeitung

FC Bayern München:Wird die Serie des Serienmeisters jemals reißen?

Lesezeit: 3 min

Diese Meisterschaft haben die Münchner nicht gewonnen - Dortmund hat sie verloren. Wann, wenn nicht in Jahren des Generationswechsels, ist der FC Bayern zu schlagen?

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Mancher mag es nicht glauben, aber der FC Bayern ist wie ein offenes Buch. Seit Menschengedenken schon wird er allein regiert von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, er kennt keine Geheimnisse, im Gegenteil, er lässt Gefühle, Launen und Debatten so offen nach außen quellen wie Hoeneß seine Meistertränen am Samstagabend oben auf der Ehrentribüne. Neu war in dieser Saison, dass alles noch öffentlicher wurde, als es ohnehin schon ist. Die gesamte Fußballrepublik diskutiert die Münchner Trainerfrage - oder sie kalkuliert per Taschenrechner fleißig mit, ob sich das denn überhaupt rentieren kann, wenn Frankreichs Weltmeister für die kommende Saison gleich im Rekordpaket eingekauft werden: Lucas Hernandez (Atlético Madrid, 80 Millionen Ablöse) samt Benjamin Pavard (VfB Stuttgart, 35 Millionen).

Dass das Gute gar nicht teuer genug sein kann, um mit einer gewissen Militanz alle Ziele zu erreichen, steht quasi als Auftrag in einem Gesangsbuch. Dieses ist das dünnste Buch der Welt. Es besteht aus zwei Seiten, aus zwei Liedern, die auch am Samstag in der Arena in aller Ohren dröhnten. Das Buch ist quasi das Grundgesetz des Klubs, die Präambel formulierte der Barde Willy Astor in Lied eins, "Stern des Südens". Darin kommt schon bald die Zeile: "FC Bayern Deutscher Meister, ja so heißt er, mein Verein, ja so war es und so ist es und so wird es immer sein." Basta.

Dieses Lied ist allenfalls für Parteigänger des FC Bayern ein Ohrwurm. Die Spalier stehende Konkurrenz aber muss mehr denn je fürchten, dass das Lied in einer Endlosschleife auch den weiteren Weg der Münchner akustisch pflastert. Gerade jetzt, da der Klub die siebte Meisterschaft in Serie ins Ziel brachte, am letzten Spieltag zwar erst, aber doch mit mehr künstlicher als echter Spannung.

Man tritt den Maximalfixierten von der Isar auch kaum zu nahe, wenn das realistische Fazit dieser 56. Bundesliga-Runde lautet: Diese Meisterschaft haben die Münchner weniger gewonnen, als die Dortmunder - und mit ihnen alle Übrigen - sie verloren haben. Immerhin zierte die blitzgestartete Borussia an 21 von 34 Spieltagen die Spitze der Tabelle.

Das Jahr der verpassten Gelegenheit

Wann aber, wenn nicht in den Spielzeiten nach den großen Turnieren, Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften, sind die Münchner zu stürzen? In Jahren der Ermüdung, des Umbruchs, der Generationswechsel wie nun bei der Abschiedstour von Franck Ribery und Arjen Robben. Beispielgebend ist immer noch die Saison 1974/75. Ausgelaugt vom Gewinn des WM-Titels, verloren Beckenbauer-Maier-Müller mit 0:6 bei Kickers Offenbach und landeten auf Bundesliga-Platz zehn.

Vorbei jedoch jetzt die Chance, aus den Nach-WM-Turbulenzen mal wieder den Knalleffekt eines Königssturzes abzuleiten. Zwar lähmte der Vorrunden-Knockout beim 2018er-Turnier in Russland die Münchner in der Hinrunde. Dann jedoch klingelte Bundestrainer Joachim Löw plötzlich im März an der Säbener Straße an der Haustür ... - und warf die Altgedienten Hummels, Müller, Boateng hinaus. Die Trotzreaktion, die dem spektakulären Überfall folgte, hat die Münchner Aufholjagd beschleunigt, inklusive eines 5:0 gegen den BVB.

Damit zu Lied zwei aus dem Grundgesetz der bayerischen Fußballer. Auch dieses strömte am Samstag durch die tränengeflutete Arena. Das Lied kommt auf Englisch daher, weil es sich nicht nur an die Bundesliga, sondern an den ganzen Planeten richtet und schon in der Titelzeile droht: "Forever number one". Anschließend wird aus vollen Kehlen noch einer draufgesetzt: "...You can call us the champions of the world ...."

Wenn aber mal nicht? Wenn der FCB in der großen Fußballwelt mal draußen steht?Wenn im Finale in zwei Wochen in Madrid der FC Liverpool steht, der die Münchner recht humorlos aus der Liga der Champions entfernte? Zudem Tottenham, das im Achtelfinale die Dortmunder rauswarf? Dann ist dies zum einen der Beleg dafür, dass die Bundesliga im internationalen Vergleich qualitativ längst nicht so gut ist, wie es das zugespitzte Saisonfinale suggeriert. Zum anderen aber zeigt es, warum Niko Kovac, obwohl nun sogar Meistertrainer, in München weiterhin ein akutes Akzeptanzproblem begleitet.

Denn nur auf dieser Definitionsebene, der der Champions, entscheiden Hoeneß&Rummenigge, und nur diese beiden, ob Kovac bleiben darf. Dieser schmerzhafte Prozess zieht sich seit Wochen. Öffentlich, widersprüchlich, ehrenrührig. Sollte Kovac dennoch weitermachen dürfen, wird das Trio hart in Klausur gehen. Die Chefs werden Kovac zu vermitteln versuchen, dass sie ihre Elf nicht so verzagt wie gegen Liverpool, sondern fixiert wie im Saisonfinale gegen Dortmund (5:0) und Frankfurt (5:1) erwarten - aktiv, nicht reaktiv; am anderen, nicht am eigenen Strafraum; scharf passend, nicht ballschleppend.

Gelingt dies, wird es gefährlich. Dann wird man sich an die Saison 2018/19 womöglich nur als "die Einstellige" erinnern. Das Jahr, in dem der FC Bayern anstatt mit 25 oder 21 einmal nur mit zwei Punkten Vorsprung ins Ziel kam. Das Jahr der verpassten Gelegenheit, an dessen Ende die ewige Number-one-Frage steht: Wird die Serie des Serienmeisters denn niemals reißen?

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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