FC Bayern und BVB:Was Kovac und Favre fehlt

Lesezeit: 6 min

Einer wird Meister werden: Niko Kovac (links) in München oder Lucien Favre in Dortmund (Fotomontage). (Foto: imago images / Sven Simon)
  • Die zwei Cheftrainer der beiden bestplatzierten Bundesligateams können sich in ihren Jobs nicht sicher fühlen.
  • Nico Kovac wird in München öffentlich von Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge in Frage gestellt.
  • Lucien Favre steht sich in Dortmund zum Teil selbst im Weg.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund, und Benedikt Warmbrunn

Drei Spieltage noch, dann steht fest, welcher Trainer zum ersten Mal in seiner Trainerkarriere deutscher Meister sein wird: Niko Kovac mit dem FC Bayern oder Lucien Favre mit Borussia Dortmund. Beide nehmen allerdings einen gewissen Ballast mit in den Liga-Endspurt, beide wissen, dass sie in ihrem Verein trotz des exzellenten Tabellenplatzes umstritten sind. Eine Situation, die selbst in der an Kuriositäten reichen Bundesliga ungewöhnlich ist: dass die besten Klubs des Landes trotz Erfolgen eine interne Trainerdebatte führen. Ein Überblick.

Die Situation beim BVB:

Die Reise nach Jerusalem hat Hans-Joachim Watzke erkennbar gut getan. Ein bisschen Abstand zum Fußball-Getriebe, zu der 2:4-Pleite gegen Schalke, zu den aufkommenden Diskussionen um den Trainer. Borussia Dortmund hat eine Million Euro gespendet für den Ausbau der Holocaust-Gedenkstätte in Yad Vashem in Jerusalem, BVB-Geschäftsführer Watzke und sein Marketing-Chef Carsten Cramer waren zur Grundsteinlegung eingeladen, sie verbrachten fast die ganze Woche in Israel. Dieser Anlass stellte alles in eine andere Perspektive, erst recht Debatten um Derby-Niederlagen und schnöde Fragen nach der Qualifikation des Trainers Favre.

Am Freitagmittag aber hatte die Fußball-Wirklichkeit den BVB-Boss wieder. "Ich verstehe manches gerade nicht", sagte Watzke noch am Flughafen, "wir haben uns intern doch klar festgelegt: Lucien Favre ist auch am 1. Juli noch unser Trainer. Ohne Wenn und Aber." So ähnlich hatte sich Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc ein paar Tage zuvor schon im kicker geäußert. Favre besitzt in Dortmund einen Vertrag bis 2020, also noch für ein gutes Jahr. Aber inzwischen wabern Gerüchte durch Dortmunds VIP-Treffs, Namen von Trainern wie André Villas-Boas oder gar José Mourinho werden über die Pilsgläser geraunt. Spinnereien sind das nicht.

Eigentlich würde es den Branchenritualen entsprechen, wenn ein Vertrag wie der von Favre längst verlängert wäre. So etwas ist nicht immer klug, aber im Überschwang guter Ergebnisse wird die Verlängerung oft als strategisches Treuebekenntnis eingesetzt. Immerhin hat Favre mit Dortmund schon mehr erreicht, als selbst Menschen mit rosa Brillengläsern erwartet hatten: Der BVB ist immer noch im Titelrennen und schon jetzt zwölf Punkte besser als im letzten Jahr. Der Professoren-Typ Favre ist keiner, der im Bierzelt Tische erklimmt, aber seine Ergebnisse mit Dortmunds komplett umgebauter, zum Teil blutjunger Elf waren so gut, dass sie für sich sprechen könnten.

Tun sie in Dortmund aber offenbar nicht. Neun Punkte Vorsprung auf Bayern hat Dortmund in der Rückrunde verspielt, inklusive einer 0:5-Schmach in München, und jetzt auch noch dieses 2:4 ausgerechnet gegen Schalke. Dazu kommt Favres Total-Verriss seiner Elf nach dem Untergang in München, obwohl die versammelte Expertenschaft dem Trainer eine verfehlte Aufstellung anlasten wollte. Und am vorigen Samstag gab Favre dann freiwillig und öffentlich alle Hoffnung auf den Meistertitel auf, bei zu diesem Zeitpunkt nur einem Punkt Rückstand auf den Rivalen aus München - der dann tags darauf auf immer noch überschaubare zwei Punkte anwuchs. Bei drei noch zu absolvierenden Spielen und einem Schlussprogramm, das für Bayern ganz schön anspruchsvoll ist - in Leipzig und gegen Frankfurt. Gibt man da etwa schon auf?

Zumindest waren Favres vorsichtige Sätze eine Vorlage für jene Kritiker, die finden, dass dieser taktisch versierte Coach vielleicht nicht genug Mumm verbreitet und sich im Laufe der Zeit immer mehr im taktischen Diskurs mit sich selbst verliert, anstatt wie einst ein Jürgen Klopp aufs Erreichen des Unmöglichen zu pochen.

BVB-Niederlage gegen Schalke
:Für Favre ist der Titel futsch

Nach dem 2:4 im Revierderby gegen Schalke erklärt Dortmunds Trainer den FC Bayern zum Meister - und bezeichnet die Handspielregel als "lächerlich".

Von Saskia Aleythe

Watzke korrigierte Favre nicht das erste Mal, als er am vorigen Sonntag umgehend die gegenteilige Parole ausgab: Dortmund wolle übrigens sehr wohl noch Meister werden. Als Generalkritik an Favre wollte Watzke das aber nicht verstanden wissen: "Ich nehme mir als Verantwortlicher das Recht heraus, Sachen mal anders zu sehen als der Trainer." Favre hat sich inzwischen verbessert: Es sei "jetzt wieder alles möglich", versicherte er vor dem BVB-Spiel bei Werder Bremen am Samstagabend. Allerdings müsste man dann in Bremen endlich mal wieder die sogenannten big points gewinnen.

"Man kennt Luciens Stärken, man kennt auch gewisse Schwächen"

An dieser Frage scheiden sich in Dortmund die Geister. Favre wird als überragender Tüftler geschätzt, aber in München und gegen Schalke und vorher schon in einer Reihe allzu verhaltener Spiele soll sich das Naturell des introvertierten Schweizers durchgesetzt haben. Ändern wird sich das nicht mehr. Aber die offizielle Haltung des Klubs formuliert Watzke nicht ganz überraschend: "Man kennt Luciens Stärken, man kennt auch gewisse Schwächen. Wir haben das bekommen, was wir geglaubt haben zu bekommen." Übersetzt: Favre ist mit seiner Art die beste aller real möglichen Lösungen. Nicht mehr, nicht weniger. So viel Nüchternheit ist eben nicht jedermanns Sache in diesem durchemotionalisierten Fußball.

Dass sich die Dortmunder als Nachfolger des 2017 - trotz des DFB-Pokalsiegs - entlassenen Thomas Tuchel am meisten den jungen Hoffenheimer Trainer Julian Nagelsmann gewünscht hätten, ist ein offenes Geheimnis. Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp aber wollte Nagelsmann nicht hergeben. Auch 2018 nicht, als Dortmund dann Favre aus Nizza holte, das den Schweizer wiederum ein Jahr vorher nicht gehen lassen wollte, so dass der BVB sich mit Peter Bosz und später Peter Stöger durch eine sehr durchwachsene Übergangssaison wursteln musste.

Den Schmerz, das eine Jahr des Schwächelns bei den Bayern nicht noch besser genutzt zu haben, um wieder einmal vorbeizuziehen, er wird von manchem in Dortmund weiterhin an Lucien Favre festgemacht werden. Es sei denn, Dortmund würde doch noch Meister. Jetzt, wo auch der Trainer das wieder für möglich hält.

Die Situation beim FC Bayern:

Es sei nicht so, sagt Niko Kovac über sein Zusammenleben mit Karl-Heinz Rummenigge, "dass wir aneinander vorbeigehen, um Gottes Willen". Der Klubboss und er würden miteinander sprechen, sie hätten "ein ganz normales Verhältnis, von daher gibt es da überhaupt keine Probleme". Es ist eine recht nachsichtige Art und Weise, mit einem Mann umzugehen, der ihn fast wöchentlich öffentlich hinterfragt. Kovac sagt: "Ich muss meine Leistung bringen, und wenn ich sie bringe, denke ich mir, müssen wir gar nicht diskutieren." Wenn es nur so einfach wäre.

Inzwischen ist kein Szenario mehr ausgeschlossen. Sollte Kovac, 47, in seiner ersten Saison als Trainer in München Meisterschaft und Pokalfinale gewinnen, müssten im Grunde alle Diskussionen enden; selbst der in der Rückschau immer größer werdende Pep Guardiola hat ja den Pokal nicht in jedem Jahr gewonnen (die Meisterschaft allerdings schon, und zwar ein paar Wochen früher).

Transfers des FC Bayern
:Wer kommt - und wer vielleicht kommt

Der FC Bayern will neue Spieler verpflichten, Uli Hoeneß sagt: "Wenn Sie wüssten, was wir alles schon sicher haben." Die möglichen Kandidaten in der Übersicht.

Doch dass Rummenigge sich alle paar Wochen als größter Skeptiker des eigenen Trainers positioniert, dass er wiederholt und demonstrativ keine Jobgarantie ausspricht, dass er immer wieder an die defensive Taktik im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Liverpool erinnert, dass er bereits den Namen von Xabi Alonso als möglichen zukünftigen Trainer platziert hat: All diese Anmerkungen summieren sich zu einer Gemengelage, in der für Kovac selbst zwei Titel nicht zwangsläufig als ausreichender Leistungsnachweis gelten müssen.

Vielleicht muss nach zwei Titeln niemand mehr diskutieren

Im Sommer endet beim FC Bayern ein Zyklus, spätestens mit dem Abschied von Arjen Robben und Franck Ribéry; bis zu 200 Millionen Euro an Investitionen für neue Spieler hat Uli Hoeneß angekündigt. Rummenigges kühle Aussagen stehen auch dafür, dass einige im Verein glauben, es brauche für diesen Umbruch nicht nur einen Trainer, der jeden Samstag die elf besten Spieler auswählt. Sondern einen Trainer, der Spieler entwickelt, wie das so schön heißt, der bisher unbekannte Potenziale freilegt, der mehrere taktische Varianten entwirft, der seine Idee auch während eines Spiels anpassen kann. Rummenigges Sätze stehen dafür, dass nicht alle im Verein sicher sind, ob Kovac dieser Trainertyp auch wirklich sein kann.

Wohlwollend gestehen aber selbst die Kritiker ein, dass Kovac eine überalterte Mannschaft übernommen hat. Eine Mannschaft, die beim 5:0 gegen Dortmund noch einmal leidenschaftlich alle Reserven mobilisiert hat. Aber eben auch eine Mannschaft, die gegen unangenehme, tief stehende Gegner wie die Nürnberger am vorigen Sonntag (1:1) schnell verloren wirkt.

Die Grundfrage lautet also, ob Kovac für mehr taktischen Esprit zu konservativ ist - oder ob diese spezielle Elf eben nur eine bisweilen etwas starre Ausrichtung verträgt. Immerhin hat Kovac diese Mannschaft, die im Herbst auseinanderzufallen drohte, tapfer in dieses aussichtsreiche Saisonfinale geführt - und nicht immer war er nachsichtig: Der Kolumbianer James landete nach seiner pampigen Kritik ein paar Wochen auf der Bank; zuletzt in Nürnberg wechselte Kovac den Kapitän Thomas Müller aus. Jeder Titel, den er nun gewinnen wird, wäre einer, den er mit seinem eigenen Stil herbeigeführt hat.

Doch ob das auch für die nächste Phase des Umbruchs reichen wird, diese Frage scheint sich nicht nur Rummenigge zu stellen, auch aus dem Umfeld der Mannschaft ist zu vernehmen, dass manche Spieler ähnlich denken. "Ich nehme das wahr", sagt Kovac zur fehlenden Unterstützung seines obersten Vorgesetzten, "aber ich versuche, es auszublenden." Zwei Titel, daran arbeitet Kovac, dabei will er sich von niemanden irritieren lassen. Und vielleicht, ganz vielleicht muss danach wirklich niemand mehr diskutieren.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungRummenigge und Hoeneß beim FC Bayern
:Die Chefs reden stur aneinander vorbei

Kontroverse Sätze von Rummenigge und Hoeneß über Trainer Kovac gefährden die Saisonbilanz des FC Bayern. Manche Aussagen grenzen an Mobbing gegen den Coach.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: