Süddeutsche Zeitung

Titelrennen in der Bundesliga:Bayern verspürt Jagdlust

  • Die Münchner fühlen sich vom 4:0 bei Hertha BSC in der Rolle des Verfolgers bestärkt.
  • Offen ist, welchen Einfluss der erfolgreiche Start in die Rückrunde auf die Transferdebatte hat.
  • Hier geht es zur Tabelle der Bundesliga.

Von Maik Rosner, Berlin

Als Oliver Kahn mit Hasan Salihamidzic durch den Bauch des Olympiastadions stapfte, unterschied sich sein Gesichtsausdruck kaum von jener wenig erbauten Miene, mit der er lange Zeit sein erstes Spiel als Vorstandsmitglied des FC Bayern verfolgt hatte. Ernst und ein bisschen verkniffen schritt Kahn durch die langen Gänge der Betonschüssel, während der Sportdirektor auf ihn einredete.

Zu öffentlichen Einlassungen über diesen lange Zeit mühsamen, dank einer Tempoverschärfung in der zweiten Halbzeit aber noch standesgemäßen 4:0 (0:0)-Sieg bei Hertha BSC, war dem früheren Torwart Kahn nicht zu Mute. Vielleicht auch, weil er während seines Gangs zum Mannschaftsbus einen Apfel aß. Dabei verstärkte sich der Eindruck, dass er seine Spielpremiere als Funktionär ähnlich verbissen beschloss wie ihn das Publikum als Bayern- und DFB-Schlussmann in Erinnerung behalten hat. Und auch sein damaliges Credo "weiter, immer weiter" lag in der Berliner Luft, als Thomas Müller und Kapitän Manuel Neuer in der improvisierten Interviewzone über die angestrebte Titelverteidigung in der Bundesliga sprachen, während Kahn in ihrem Rücken vorbeiging und energisch in den Apfel biss.

Für Müller war es ja nicht nur ein "optimaler Start", den er mit seinem 1:0 nach einer Stunde maßgeblich auf den Weg gebracht hatte gegen die Mannschaft von Trainer Jürgen Klinsmann, der ihm im August 2008 zu seinem Profidebüt als damaliger Coach der Münchner verholfen hatte. Es sei "sogar noch die bessere Antwort" gewesen auf die Siege von Leipzig und Dortmund vom Samstag, befand Müller, "wir hatten keine Phase des Spiels, wo wir zurücklagen", also im Gegensatz zu RB gegen Union Berlin und zum BVB beim FC Augsburg. Ob die Jagd also eröffnet sei auf Tabellenführer Leipzig, der nun als einzige Mannschaft noch vor den Münchnern steht, mit weiterhin vier Punkten Vorsprung? "Die läuft die ganze Zeit schon", sagte Müller. Neuer ergänzte durchaus selbstgewiss: "Wir kennen die Rolle aus der letzten Saison und haben schon da gezeigt, dass wir Kämpfer sind."

Es ist sogar so, dass sich die Ausgangssituation des Meisters schon nach dem ersten Spieltag der Rückrunde im Vergleich zu vor einem Jahr nun besser darstellt, jedenfalls rein tabellarisch. Im Januar 2019 lagen die Bayern sechs Punkte hinter dem damaligen Tabellenführer Dortmund zurück. Nun sind sie zwei Zähler näher dran an Platz eins und haben in Borussia Mönchengladbach auch schon den ersten Konkurrenten überholt, der nach seiner 0:2-Niederlage beim FC Schalke den zweiten Platz an die Münchner abtreten musste.

Befördert hat der erfolgreiche Start in die Rückrunde die Jagdlust der Bayern auch deshalb. Zumal nach einem Spiel, das sie trotz oder gerade wegen des lange Zeit mühsamen Verlaufs als Bestärkung werteten. Viel Kontrolle hatten sie zwar schon in der ersten Halbzeit ausgeübt, allerdings auch nur eine nennenswerte Torchance herausgespielt, als Robert Lewandowski den Ball knapp am Tor vorbeispitzelte. Später holte der Stürmer nach seiner Leisten-OP sein 20. Saisontor per Foulelfmeter nach (73.), wodurch er zumindest in dieser Disziplin mit Leipzigs Timo Werner gleichzog. Später trafen noch Thiago Alcántara (76.) und Ivan Perisic (86.) zum 3:0 und 4:0 und ließen einen Arbeitssieg als Auswärtsgala erscheinen.

Tatsächlich aber waren es eher vier kleine statt große Ausrufezeichen, für die es eines "klassischen Knotenlösers" bedurft hatte, wie Müller sein 1:0 einordnete. "Dann haben wir auch so ein bisschen mehr Freude und Spaß entwickelt" und ebenso "ein bisschen mehr Offensivgeist", sagte er. Und abzuleiten sei aus dem erfolgreichen Start in die Rückrunde, "dass wir weiterhin eine sehr wettkampfbezogene Mannschaft sind, die auf jeden Fall in der Lage ist zu liefern, wenn sie muss. Wir waren da unter Druck." Selbstvertrauen gebe dieser ungefährdete Sieg "für die nächsten Aufgaben", sagte Müller, er weiß aber auch: "Für die nächsten Ergebnisse sagt das natürlich gar nichts." Also darüber, welcher Ertrag aus den Spielen gegen Schalke, in Mainz und vor allem gegen Leipzig am 9. Februar in München erwirtschaftet werden kann.

Spätestens nach dem Topspiel gegen den aktuellen Tabellenführer werden die Münchner auch wissen, ob sie bis zum 31. Januar die richtigen Entscheidungen getroffen haben auf dem Transfermarkt. Trainer Hansi Flick hofft ja weiterhin auf Verstärkungen, wenngleich er seine vehemente Forderung nach "mindestens" zwei Zugängen jüngst etwas abschwächte, jedenfalls öffentlich. Das Spiel in Berlin könnte Salihamidzic vielleicht sogar in seiner eher defensiven Haltung zu Wintereinkäufen bestärkt haben. Thomas Müllers Meinung dazu ist klar: "Wenn die nächsten Wochen die Ergebnisse passen, müssen wir uns nicht verstärken und hätten uns auch nicht verstärken müssen. Falls die Ergebnisse nicht so gut ausfallen die nächsten Wochen, dann hätten wir uns auf jeden Fall verstärken müssen."

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