"Kaaahn! Kaaaahn! Die Bayern!", rief der freudig erregte Fernsehreporter, als der FC Bayern zum bisher letzten Mal in Norditalien Fußballgeschichte schrieb. Es war im Mai 2001 in Mailand, im Finale von Europas Bestenliga gegen Valencia. Seither endeten internationale Schlüsselspiele der Münchner oft mit der betrüblichen Einsicht, dass der Gegner strategisch und individuell - und nicht wegen einer bösen Laune des Zufalls - klar besser war.
Siehe: 2:4 in Chelsea, Aus im Viertelfinale (2005)! 1:4 beim AC Mailand, Aus im Achtelfinale (2006)! 0:2 gegen Milan, Aus im Viertelfinale (2007)! 0:4 in St. Petersburg, Aus im Halbfinale (2008/Uefa-Cup)! 0:4 in Barcelona, Aus im Viertelfinale (2009) - und Deckel drauf auf die Ära Klinsmann, die keine Ära wurde.
Es beschert den Bayern deshalb ein besonderes Wohlgefühl, in Turin nicht wieder krachend gescheitert zu sein, sondern die zentrale Tugend ihres alten Mia-san-mia reanimiert zu haben: grandios vor Kraft zu strotzen, wenn es am nötigsten ist. Und der Druck am größten.
Louis van Gaal, kraft Visitenkarte ein großer Trainer, hat sein erstes großes Endspiel gewonnen. Das erspart dem gerade an der Spitze neu sortierten Verein, sich eventuell schon wieder mit substantiellen Neustrukturierungen befassen zu müssen und die nächste Ära zu stornieren. Van Gaal, der ebenso Streitbare wie Umstrittene, wird nun Zeit erhalten, um seine komplexen Lehrprojekte voranzutreiben.
Ein Scheitern in Turin hätte zwar nicht zwingend zu einer Trennung geführt. Doch ein Champions-League-Ausscheiden schon nach der Vorrunde - ein bisher einmaliger Vorgang beim FC Bayern (2002) - ist für den Glanz und Gloria gewohnten Verein ebenso inakzeptabel wie eine Nicht-Qualifikation für die Königsklasse. Solche Mindestziele muss jeder Bayern-Trainer mit seinem Reformeifer in Einklang bringen. Auch van Gaal - zumal der Klub 2009, erstmals seit Jahren, keine Trophäe in seine Vitrine stellen konnte. Er konnte sich zuletzt nur mit der Uli-Hoeneß-Theorie trösten, dass die graue Gegenwart wegen der rosigen Klubfinanzen in eine goldene Zukunft münden werde.
Van Gaal? Polarisierte bislang. Weil seine Pädagogik vielen hart anmutet. Weil er womöglich die Wucht und Größe des FC Bayern am Anfang etwas unterschätzt hat. Und weil sein Fußball bisher oft nach einem "Overkill" an fachlichen Vorgaben aussah - und selten Spielraum ließ für spontane Lust und Leichtigkeit.
Doch van Gaal ist ein Experte für langfristigen Aufbau, bei dem sich Geduld auszahlen könnte. Und der sehr gute Vortrag in Turin - mit Esprit, Strategie und Haltung - lässt jetzt den Schluss zu, dass auf dem Weg zu fernen Zielen die Richtung stimmt. Vielleicht muss so manches trübe, frühe Urteil über den kantigen und facettenreichen Holländer revidiert werden. Vielleicht lernt München van Gaal nun besser kennen. Und zu schätzen.
Im Video: Bayern-Trainer Louis van Gaal äußerte sich nach dem 4:1-Champions-League-Erfolg bei Juventus Turin zufrieden über die Leistung seiner Mannschaft.