FC Bayern:Bermuda am Niederrhein

1 Fussball Bundesliga Borussia Mönchengladbach FC Bayern München 13 Sptg 2 0 durch Matthias Gin

Erst Innenverteidiger, dann Mittelfeld-Koordinator – und plötzlich Abstauber in Mittelstürmer-Manier: Matthias Ginter (links) schiebt zum 2:0 für Mönchengladbach ein.

(Foto: Siegfried Wensierski/ imago)

Bereits zum 20. Mal verlieren die Münchner ein Bundesliga-Spiel in Mönchengladbach. Nach seiner ersten Niederlage klagt Trainer Jupp Heynckes zumindest zart über die personellen Probleme im Team.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Bei 6.44 Grad östlicher Länge und 51.19 Grad nördlicher Breite bekommen Fußballer des FC Bayern München schnell Orientierungsprobleme - auf diesen Koordinaten am Niederrhein findet sich ihr Bermuda-Dreieck. Nirgendwo hat der deutsche Rekordmeister häufiger ein Bundesligaspiel verloren. Seit Samstag sind es 20 Niederlagen.

Die Fußballer von Borussia Mönchengladbach haben für den allseits gefürchteten FC Bayern seit jeher ein Faible, das sie jetzt auch am Samstagabend - zwischen 19.10 Uhr und 19.16 Uhr - in einem kurzen und heftigen Sturm zu einer 2:0-Führung nutzten. Kurz vor der Pause schossen Thorgan Hazard per Elfmeter und Matthias Ginter diese Führung heraus, von der sich die Münchner trotz eines Anschlusstreffers von Arturo Vidal in der zweiten Halbzeit nicht mehr erholten. Es war nach neun Siegen in Serie die erste Pflichtspiel-Niederlage unter dem reaktivierten Trainer Jupp Heynckes. Drei Tage nach einem bereits mit Mühe und Not gewonnenen Champions-League-Spiel im Brüsseler Stadtteil Anderlecht ging den Münchnern 150 Kilometer weiter nordöstlich endgültig die Luft aus. Und nicht nur die.

Waren die Münchner in Mönchengladbach schon ohne ihre sieben unpässlichen Stammkräfte Manuel Neuer, David Alaba, Rafinha, Thiago, Arjen Robben, Franck Ribéry und Thomas Müller angetreten, so verloren sie im Laufe der intensiven Partie auch noch: Juan Bernat mit muskulären Problemen im Oberschenkel sowie James Rodríguez mit einer Gehirnerschütterung. Zwei junge, Bundesliga-unerfahrene Burschen namens Marco Friedl und Kwasi Okyere Wriedt mussten einspringen. Es wird interessant sein, mit welchem Personal die Bayern das Heimspiel am kommenden Samstag gegen Hannover bestreiten, um ihren auf drei Punkte geschmolzenen Vorsprung auf den Verfolger Leipzig zu verteidigen.

Die Münchner waren sich nach der Niederlage nicht ganz im Klaren, ob sie die Personalnöte für ihren kleinen Zusammenbruch mitverantwortlich machen dürfen. "Es ist ein Problem, wenn so viele wichtige Spieler fehlten", sagte Heynckes an einer Stelle seiner Nachbetrachtung, um aber an anderer Stelle auch zu beschwichtigen: "Aber daran hat es heute nicht gelegen." Den Sportdirektor Hasan Salihamidzic beschlich eine ähnliche analytische Unentschlossenheit. "Das ist schon eine schwierige personelle Situation", klagte er nach dem Spiel, obwohl er zuvor betont hatte: "Wir haben auch so einen starken Kader - einen sehr, sehr starken sogar."

Bei der starken Borussia stechen die Torschützen Hazard und Ginter besonders hervor

Von dieser unbestrittenen Qualität zeigten die Münchner gegen leidenschaftliche Gladbacher allerdings zu wenig - und auch erst dann, als sie bereits 0:2 zurücklagen. Um eine fachmännisch verschlossene Gladbacher Defensivzentrale herum versäumten es die Münchner, über ihre mauen Ersatzflügel Rodríguez und Corentin Tolisso Geschwindigkeit aufzunehmen. "Viel zu wenig Tempo in der ersten Halbzeit", beklagte Heynckes, "keine Präzision, kein Rhythmus, keine Spielverlagerung." Das war eine respektable Mängelliste für ein bayerisches Markenprodukt, das seit Wochen ausschließlich Erfolgserlebnisse produziert hatte.

Gegen die einseitige Interpretation schwacher Bayern würden allerdings die Gladbacher protestieren, weil sie nicht grundlos stolz auf ihre eigene Leistung waren. Da brillierte zum einen der belgische Angreifer Thorgan Hazard, der seit Wochen in ansehnlicher Form spielt und für den spielerischen wie tabellarischen Aufschwung der Borussen maßgeblich mitverantwortlich ist. Im zehnten Spiel nacheinander war Hazard an einem Torerfolg beteiligt. Es glänzte aber auch der Abwehrspieler Matthias Ginter, der zunächst wie üblich als Innenverteidiger agierte und nach einem Knockout des schon wieder durch Schädelbrummen gebeutelten Christoph Kramer ins defensive Mittelfeld vorrückte. Dort koordinierte Ginter das Gladbacher Spiel zusammen mit dem Schweizer Denis Zakaria vorzüglich.

So gelang es den Borussen, dem gebürtigen Mönchengladbacher Heynckes die erste Bundesliga-Niederlage seit fünf Jahren beizubringen - eine Zahl, die freilich vor allem durch Heynckes' viereinhalbjährige Pause so beeindruckend klingt. Und doch: Eine Heimniederlage gegen Leverkusen am 28. Oktober 2012 und eine Champions-League-Niederlage beim FC Arsenal in London am 13. März 2013 waren seine zuvor letzten Niederlagen als Trainer gewesen. Dass es ihn nun bei seinem Heimatklub erwischt hat, machte die Angelegenheit für ihn ein bisschen erträglicher.

Zum 99. Mal haben Gladbach und der FC Bayern am Samstag in der Bundesliga gegeneinander gespielt. Heynckes war schon bei der ersten Partie dabei gewesen, die die Münchner am 2. Oktober 1965 auf dem Bökelberg gewannen - und er war auch bei diesem vorerst letzten Duell zugegen. Vor 52 Jahren war Heynckes ein 20 Jahre junger Angreifer bei den Gladbachern gewesen, am Samstag war er ein 72 Jahre alter Trainer bei den Münchnern. Die Borussia steckt dem FC Bayern durch die vielen intensiven Duelle in den Siebzigerjahren als natürlicher Feind wohl ungefähr so in den Genen wie einem Skorpion gewisse Mäuse-Arten, die gegen sein Gift weitgehend immun sind. Die Evolution kümmert sich um solche Balancen. Beim Fußball gibt es das offenbar auch.

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