FC Bayern:Gefräßiger als ein Weißkopfseeadler

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Robert Lewandowski und Leroy Sané jubeln nach einem der späten Tore. (Foto: Gerardo Santos via www.imago-images.de/imago images/GlobalImagens)

Das 4:0 der Bayern bei Benfica ist ein wunderbar chaotisches Fußballspiel - und Julian Nagelsmann funkt die Kommandos aus dem Hotel. Die Münchner müssen improvisieren und finden in Abwesenheit ihres Trainers erstaunliche Lösungen.

Von Jonas Beckenkamp, Lissabon

Neu ist die Nummer mit dem Adler nicht, unter den Klubmaskottchen dieser Welt zählt dieses Tier fast schon zu den Standards. Aber der Greifvogel namens Vitória blieb doch in Erinnerung mit seinem Segelflug durch das Estádio da Luz in Lissabon. Er schwebte majestätisch durch die Luft und landete unter dem Applaus der 55 201 Zuschauer auf dem Spielfeld, so wie er es immer tut, wenn der Klub Sport e Lisboa Benfica ein Heimspiel austrägt.

An Vitória hat es weiß Gott nicht gelegen. Das Problem war für Portugals Rekordmeister an diesem Abend ein anderes: Der deutsche Rekordmeister kam mindestens ebenso imposant vorbeigeflogen - und als er das Stadion wieder verließ, hatte der FC Bayern Benfica ein 0:4 (0:0) in der Vereinschronik hinterlassen. Und das in einem Spiel der Gruppenphase der Champions League, das wirklich alle Anwesenden genossen, selbst wenn sie es mit dem Heimteam hielten. Allzu oft verliert Benfica ja nicht so hoch, aber diesmal ließ es sich ertragen, denn der Gegner war von noch gefräßigerer Natur, als es ein Weißkopfseeadler je sein könnte.

SZ PlusBayern in der Einzelkritik
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Mit zwei Toren ist der Flügelstürmer der Mann des Spiels. Kimmich muss die Bayernflotte erst einmal justieren und Süle gleicht in der Abwehr dem Torre de Belém. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Von Jonas Beckenkamp

Der Gegner war ein FC Bayern, der sich in dieses wogende, sprudelnde Fußballspiel hineinwarf wie eine Seefahrertruppe in den Wellengang vor dem Kap. Die Bayern schien der Widerstand der Portugiesen zu animieren, vor allem in der Spätphase der Partie, weshalb Manuel Neuer für seine Verhältnisse ganz schön aus sich herausging, als er sagte: "Die zweite Halbzeit war überragend."

Adler Vitória landet auch gegen den FC Bayern zielsicher auf dem Benfica-Wappen. (Foto: Pedro Loureiro/SPP/imago images/Sports Press Photo)

100 Mal ist der Nationaltorwart nun schon in der Champions League aufgelaufen, aber "überragend" hat man ihn dabei nicht so oft sagen gehört. Es muss also schon einiges passiert sein bei diesem Betriebsausflug an den Tejo. Und manches hatte auch mit Neuer zu tun. Gleich zweimal flog nämlich auch der Bayern-Keeper wie ein Adler durch die Lüfte, als er erst gegen Benfica-Stürmer Darwin einen rausfischte und später in einer ähnlichen Szene gegen Diogo Gonçalves. Lange wogte dieses Spiel von Strafraum zu Strafraum, von Torszene zu Torszene. Wie eine Party mit vielen kleinen Showeinlagen, überall blinkte und brodelte es. Und doch stand es 0:0, weil den Bayern unter riesigem Gejohle zwei Tore vom Videoschiedsrichter aberkannt wurden.

Ein vergnügliches Spiel, ja, aber vieles wirkte auch unstrukturiert. Und vielleicht lag das wunderbare Chaos auch an der Abwesenheit von Trainer Julian Nagelsmann, der kurzfristig im Hotel Home-Office machte. "Grippaler Infekt", teilte der Verein zunächst mit, am nächsten Tag vermeldete der Klub jedoch, dass der Trainer positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Er habe einen vollständigen Impfschutz, werde von der Mannschaft getrennt und fliege mit einem Ambulanzflieger zurück nach München, teilte der FC Bayern am Donnerstag mit.

Ihm blieb am Mittwochabend jedenfalls nur die Verbindung per Funk mit seinen Assistenten Dino Toppmöller, Xaver Zembrod und mit Analyst Benjamin Glück. Wie also läuft ein Spiel ohne den Cheftrainer, der ganz bestimmt keinen solchen Konfettifußball im Sinn gehabt hätte?

Die Antwort: Es läuft halt einfach drauf los. "Das hat Spaß gemacht in ungewohnter Rolle", erzählte Toppmöller hinterher, "die Jungs haben heute fortgesetzt, was sie in Leverkusen begonnen haben." Justierungen durch Nagelsmann drangen erst zur zweiten Halbzeit durch, davor hatte die Technik gestreikt.

"Es ist ja nicht so, dass ich in Julians Abwesenheit meine eigenen Entscheidungen treffe", betonte Toppmöller, dessen Trainererfahrung sich bisher eher aus der Peripherie des Fußballs speiste. Heißt: Die Kommandos gab dann doch der Boss. Und eine dieser Weisungen war die Einwechslung des zunächst geschonten Serge Gnabry für den leicht schlingernden Benjamin Pavard. "Es war schon eine mutige Entscheidung, Serge zu bringen, aber am Ende des Tages eine goldrichtige", sagte Toppmöller. Da habe man gemerkt, "dass Julian zwar krank ist, im Kopf aber dennoch fit. Gut gemacht, Julian!"

Dino Toppmöller gab die Anweisungen in Abwesenheit von Julian Nagelsmann. (Foto: kolbert-press/Christian Kolbert/imago images/kolbert-press)

Mit Gnabry kam Zug in die Nummer und mit zunehmender Müdigkeit bei Benfica fielen die Tore: 1:0 durch Leroy Sanés Freistoßkanone (70.), 2:0 durch Evertons Eigentor (80.) auf Vorlage von Gnabry, 3:0 durch Robert Lewandowski (82.) nach Ferserl von Sané und Flachpass von Gnabry und schließlich das 4:0, wieder durch Sané (84.). Treffer im Akkord, Spiel herumgerissen.

"Die Einwechslung von Serge war sicher ein entscheidender Punkt für uns, da wurden wir noch mal viel gefährlicher", so die Beobachtung von Toppmöller, der gleichzeitig auch das gelungene Comeback von Kingsley Coman nach dessen Herz-OP und den neuen Chef auf der Zehnerposition bestaunen durfte: Sané, dessen Läufe ihn überall dorthin führten, wo es gefährlich wurde. Ein "sehr, sehr gutes Spiel" habe man gemacht, fand der Nationalspieler selbst, er sei "sehr zufrieden mit der Leistung heute".

Dass die Bayern zwischendrin auch gewackelt hatten, dass Manuel Neuer im Gebrüll des Stadions zur Wand mutierte und Marcel Sabitzer sich ein paar deftige Worte von Joshua Kimmich wegen seiner Laufwege anhören durfte, geriet schnell in den Hintergrund. Den Fado musste wegen dieser Darbietung keiner kriegen, dafür fiel das Muskelspiel der Münchner zum Schluss zu deutlich aus.

Noch ein Sieg, zum Beispiel im Rückspiel gegen Benfica in zwei Wochen, dann wäre das Achtelfinale bereits klar. Und vielleicht schaffen es die Portugiesen im Rennen um Gruppenplatz zwei auch weiter, dann könnte Vitória noch eine Weile seine Kreise drehen, wenn Europa zuschaut. Dieser stolze Vogel verdient durchaus eine große Bühne.

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