Basketball:Die Eiche und der Rohrspatz

Lesezeit: 3 Min.

Huch, wir sind plötzlich ganz oben: Devin Booker dürfte weniger erschrocken als erfreut sein über den fabelhaften Start der Münchner in der Euroleague. (Foto: Philippe Ruiz/Imago)

Der FC Bayern bleibt im SAP Garden ungeschlagen, bezwingt Kaunas und ist nun punktgleich mit dem Euroleague-Tabellenführer. Im Spitzenduell begegnen sich Münchens neuer Coach Gordon Herbert - und einer seiner impulsiven Vorgänger.

Von Ralf Tögel

Da stand er nun am Spielfeldrand inmitten der 11 200 tobenden Zuschauer und musste sich eine Standpauke vom Trainer gefallen lassen. Gerade hatte Lonnie Walker IV einen Pass ins Nirwana gegeben, weshalb er von Trainer Andrea Trinchieri auf die Bank beordert wurde. Er war groß angekündigt worden, der Neue aus der NBA: Walker spielte sechs Jahre (San Antonio Spurs, Los Angeles Lakers, Brooklyn Nets) in der NBA, zuletzt wurde sein Vertrag aber von den Boston Celtics aufgelöst – Zalgiris Kaunas hatte das nötige Kleingeld und ergriff die Chance. Jetzt soll der Flügelspieler dem litauischen Rekordmeister helfen, die mäßige Vorsaison zu korrigieren: Sowohl Meisterschaft als auch Euroleague-Playoffs wurden verpasst – ein inakzeptabler Zustand für den Vorzeigeklub dieses basketballverrückten Landes.

Es war schon ein komisches Bild, das sich den Zuschauern bot: Auf der einen Seite der knapp zwei Meter große, muskelbepackte NBA-Athlet, auf der anderen Seite der zwei Köpfe kleinere, eher untersetzte Trainer, der wild gestikulierend auf ihn einredete und ihn dann kopfschüttelnd auf die Bank schickte. Es war kein schönes Debüt für Walker IV, kein einziger Wurf des 25-Jährigen fand ins Ziel. Es war auch kein schöner Abend für Trinchieri, der bekanntermaßen den FC Bayern zweimal in die Playoffs geführt hatte. Wie zu besten Münchner Zeiten hüpfte, fuchtelte, schrie und litt der impulsive Italiener am Spielfeldrand, im Kontrast zum Kollegen ein paar Meter weiter: FCB-Trainer Gordon Herbert stand meist wie eine kanadische Eiche in seiner Coaching-Zone, fest verwurzelt mit dem Hallenboden und in sich ruhend.

Extrovertierter Ex-Coach: Andrea Trinchieri, einst in Diensten der Münchner, am Donnerstagabend an für Kaunas an der Seitenlinie. (Foto: Christina Pahnke/Sampics)

Gleichwohl verrichtet Trinchieri in der litauischen Metropole gute Arbeit, Kaunas war als Tabellenführer angereist – und ist trotz der letztlich knappen 74:77-Niederlage auch als Primus abgereist. Das liegt daran, dass im momentanen Ranking noch das Korbverhältnis den Ausschlag gibt (in der Endabrechnung wird der direkte Vergleich höher bewertet), denn nach dem fünften Euroleague-Sieg in Serie sind die Münchner mit 6:2 Siegen gleichauf mit Kaunas.

Am Donnerstagabend konnten die Bayern ihren Zuschauern kein neuerliches Offensivspektakel bieten, Trainer Herbert bezeichnete das Spiel hernach als Abnutzungskampf gegen ein physisch und abwehrstarkes Team. Die Gastgeber starteten stark, führten nach dem ersten Viertel deutlich (19:7), was auch daran lag, dass nicht nur Walker IV einen Fehlwurf nach dem anderen abdrückte.

„Wir haben es gut hinbekommen, uns um ihn herum ordentlich einzuspielen“, sagt Weltmeister Johannes  Voigtmann über den Kollegen Carsen Edwards

Allerdings versäumten es die Münchner, aus den Schwächen des Gegners vorentscheidend Kapital zu schlagen, weil sie mit 14 Ballverlusten, meist durch Fehlpässe, selbst ungewöhnlich fehlerhaft agierten. So plätscherte das Spiel vor sich hin, bis – natürlich – Carsen Edwards die Kulisse mit einem Zirkuswurf aufweckte. Der Bayern-Topscorer, der seit Wochen in bestechender Form agiert und auch gegen Kaunas mit 24 Punkten den Bestwert erzielte, feuerte in Zeitnot einen Wurf noch vor der Mittellinie ab, der tatsächlich im gegnerischen Korb einschlug.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Kaunas den Rückstand allerdings fast vollständig wettgemacht und war dem Gegner dank Sylvain Francisco, der im Vorjahr noch für den FC Bayern spielte und im finalen Viertel 16 seiner 20 Punkte erzielte, bis auf einen Punkt (67:68) auf den Pelz gerückt.

Dass es trotz solcher Nachlässigkeiten momentan zu Erfolgen reicht, liegt nicht nur an der Treffsicherheit von Edwards. Es sind viele Puzzleteilchen, die sich immer deutlicher zu einem Bild zusammensetzen: der wichtige Block von Oscar da Silva, die sicheren Dreier von Andreas Obst, die Reboundstärke von Devin Booker oder die aggressive Deckungsarbeit von Nick Weiler-Babb oder Johannes Voigtmann. „Es ist wichtig, dass wir uns immer besser als Mannschaft finden und in unseren Rhythmus kommen“, erklärte Voigtmann, Siege seien dafür die beste Begleitmusik: „Das bringt Ruhe und erleichtert vieles.“ Natürlich stehe der kollektiven Entwicklung ein Solitär wie Edwards nicht im Wege, im Gegenteil: „Er kann Punkte machen, wenn eigentlich nichts mehr geht. Wenn er heißläuft, trägt er uns offensiv.“ Allein könne es aber auch der 26-Jährige nicht richten, betonte der Weltmeister:  „Wir haben es gut hinbekommen, uns um ihn herum ordentlich einzuspielen.“

Das darf man als kleine Untertreibung werten, zumal dem Team in Vladimir Lucic und Niels Giffey zwei Schlüsselspieler wohl noch länger verletzt fehlen. Deshalb hat der FCB-Flügelspieler Onuralp Bitim bis Saisonende von Fenerbahce Istanbul ausgeliehen, das den türkischen Nationalspieler längerfristig gebunden, aber keinen Platz für ihn im Kader hat. Der 25-Jährige lief vergangene Saison für die Chicago Bulls auf, sein Vertrag wurde im Oktober aufgelöst – Fenerbahce ergriff die Chance. Bitim wird in den kommenden Tagen in München erwartet und soll demnächst sein Debüt feiern.

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