Süddeutsche Zeitung

Basketballer des FC Bayern:Frustriert am peinlichen Tiefpunkt

"Das schlechteste Spiel, das ich in meinen Jahren in Deutschland gecoacht habe": Bayern-Trainer Andrea Trinchieri reagiert auf die höchste Saisonpleite seiner Basketballer - der Italiener wirkt zunehmend verzweifelt.

Von Sebastian Winter, München

Andrea Trinchieri, der gebürtige Mailänder, changiert an der Seitenlinie des Öfteren zwischen Ätna und Vesuv. Mal rennt der 54 Jahre alte Trainer der FC-Bayern-Basketballer brodelnd auf und ab, mal brüllt er seine Spieler mit weit ausgebreiteten Armen an und macht auf dem Absatz kehrt, mit so viel Schwung, dass seine Krawatte zu fliegen beginnt. Am Sonntag in Ludwigsburg war aber auch Trinchieri mit seinem Latein am Ende.

"Spielt verdammt noch mal fürs Team", raunzte er die Spieler in der letzten Auszeit noch an, doch sie starrten nur noch mit leerem Blick ins Nichts. Wenig später war die höchste Saisonniederlage der Münchner amtlich, 68:96 gegen die MHP Riesen, eine Mannschaft, die als Sechster ordentlich dasteht in der Basketball-Bundesliga, aber normalerweise nicht die Kragenweite besitzt, um den Münchnern gefährlich zu werden - geschweige denn sie dermaßen zu demütigen.

Das Schlimmste für Trinchieri war, dass es keine dieser Niederlagen war, wie sie halt mal vorkommen nach einer Vier-Spiele-Woche, in einer 90-Spiele-Saison, in der irgendwann im Dickicht aus Bundesliga, Pokal und Euroleague schon mal die Beine und der Kopf schwer werden. Vielmehr wurde der Trainer nach dem schwarzen Sonntag grundsätzlich wie vielleicht noch nie in seiner Zeit in München: "Vor einer Woche ist Gianluca Vialli gestorben, ein großartiger Fußballer", hob der Italiener an: "Er hat immer eines gesagt: Wer gewinnt, genießt - wer verliert, der erklärt. Doch ich kann heute nichts erklären. Für mich ist es das schlechteste Spiel, das ich je in meinen sechseinhalb Jahren in Deutschland gecoacht habe. Wir waren peinlich, das ist der Tiefpunkt."

Dieser völlig leidenschaftslose Auftritt wirft die Frage auf, wie die Münchner nach ihrer titellosen vergangenen Saison erstmals seit 2019 wieder deutscher Meister werden wollen. Das Double ist das erklärte Ziel, wie Geschäftsführer Marko Pesic im SZ-Interview kürzlich bekräftigte. In der Euroleague müsste dem Klub nach schwachem Start eine furiose Aufholjagd gelingen, um die Playoffs der besten Acht noch zu erreichen. Ohnehin hecheln die Münchner schon seit dem Saisonbeginn eher mühevoll durch die Wettbewerbe. Auf eindrückliche Siege wie gegen Maccabi Tel Aviv folgten schlimme Pleiten, die Konstanz fehlt.

Auffallend neben der schwachen Wurfquote: die Abwehrfehler

In Ludwigsburg stand der US-Amerikaner Cassius Winston im Zentrum der Kritik, der an guten Tagen wie am Fließband trifft (gegen die MHP Riesen gelangen ihm 21 Punkte), der aber eher Solist als Teamplayer ist. Auffallend war neben den schwachen Wurfquoten: In der Abwehr waren die Spieler viel zu weit von den Gegnern entfernt, verteidigten schlampig, schienen überhaupt nicht wach zu sein. Und wenn Säulen wie der verletzte Kapitän Vladimir Lucic oder Othello Hunter, der geschont wurde, dort fehlen, wo auch mal eine härtere Spielweise gefragt ist, dann bröselt das System derzeit schnell auseinander. "Wir reden darüber, müde zu sein, und okay, es ist unsere dritte Woche hintereinander mit Back-to-back-to-back-to-back-Spielen - aber sorry, das ist mir scheißegal. Wir sind hier, um ein Trikot in Ehren zu halten, hart zu spielen. Das haben wir nicht getan", sagte Trinchieri fast schon flehentlich. Und: "Natürlich ist das jetzt ein Wendepunkt."

Der Italiener war im Sommer 2020 nach München gekommen, er hat mit den Bayern bislang den BBL-Pokal gewonnen und sie als erstes deutsches Team ins Euroleague-Viertelfinale gebracht. Er hat die Mannschaft mit seiner fordernden Art auch durch die Corona-Pandemie mit all ihren Klippen geleitet, gesundheitlich war auch er damals gebeutelt. "Wir werden nach jedem Ball hechten und alles auf dem Court lassen", hatte er bei seiner Verpflichtung 2020 noch gesagt. In Ludwigsburg hechtete niemand nach dem Ball.

Man erlebt gerade einen Trainer, der nach jedem Spiel aufs Neue mit sich ringt, mit der Mannschaft, vielleicht auch schon mit seinem Erbe. Sein Vertrag läuft nach dieser Saison aus, ein einziger Titel binnen drei Jahren, das wäre zu wenig, für die Bayern mit ihrer Anspruchshaltung sowieso, aber auch für Trinchieri. In seiner Zeit in Bamberg hat er zwischen 2014 und 2018 drei DM-Titel gewonnen.

Ist der Kader zu unausgewogen? Sind die Profis überfordert vom gnadenlosen Spielplan? Hat der Trainer sein Motivationsfeuer in den zehrenden letzten Jahren irgendwo an der Seitenlinie verloren? In Ludwigsburg zog Trinchieri eine bittere Bilanz: "Nicht ein Spieler hat einen Weg gefunden zu spielen. Und dabei geht es allein um Energie und Intensität." Die wiederherzustellen, ist seine Aufgabe.

Er sehe das Team und sich gerade als U-Boot-Crew, die sich auf einer Mission befinde und nicht nach rechts, links, oben oder unten schaue, sagte Trinchieri, der Sprachbilder liebt, kürzlich. Nun ist er als Krisenmanager gefragt, der das Sonar reparieren muss, während das Boot immer weiter sinkt und die Besatzung unter akutem Sauerstoffmangel leidet. Bis Freitag ist Zeit vor dem nächsten Auftauchen - dann wartet Euroleague-Sieger Anadolu Efes Istanbul.

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