Süddeutsche Zeitung

Basketball:Raus aus dem Ghetto

Zylan Cheatham wuchs in einem Problemviertel von Phoenix auf - und flüchtete vor Drogen und Gewalt in den Sport. Beim 87:66-Erfolg über den Mitteldeutschen BC hilft der 27-Jährige dem FC Bayern vor allem mit seiner unorthodoxen Spielweise.

Von Sebastian Winter

Nach gut sechs Minuten kam Zylan Cheatham am Sonntag erstmals aufs Feld im Ligaspiel gegen den Mitteldeutschen BC. Er gab ein paar Kommandos in der Defense, dann wurde er unter dem gegnerischen Korb gefoult - und vergab beide Freiwürfe. Kurze Zeit später rutschte er aus. Das Spiel, erst sein drittes im Trikot der FC-Bayern-Basketballer, begann nicht ganz erfreulich für den 27-jährigen US-Amerikaner. Aber es wurde besser: Die Bayern besiegten den MBC mit 87:66 (37:37), Cheatham steuerte fünf Punkte, sieben Rebounds und zwei Assists bei. Bester Bayern-Scorer war Andreas Obst, der zwei Tage nach seiner Vertragsverlängerung bis 2026 eine sehr starke Vorstellung zeigte, inklusive 27 Punkten.

Der Klub hatte Cheatham auch wegen seiner unorthodoxen Spielweise als Ersatz für Augustine Rubit verpflichtet, für den die Saison wegen seiner Achillessehnenverletzung vorbei ist. Cheatham soll Unruhestifter und Brandherd sein, der Modellathlet bringt Bewegung ins Gefüge, überrascht mit eigenwilligen Pässen. Manchmal ist das selbst für die Bayern zu unkonventionell, weswegen Trainer Andrea Trinchieri ihm noch nicht allzu viel Spielzeit anvertraut hat.

Am Freitag bei der hauchdünnen Euroleague-Niederlage der Münchner gegen Alba Berlin erzielte Cheatham nur vier Punkte, machte zwei Rebounds, das Spiel lief an ihm vorbei. "Ich denke, wenn Cheatham etwas mehr den Euroleague-Basketball versteht, wird er hilfreicher sein", kritisierte Trinchieri seinen Neuling. Aber für den Ligaendspurt - und um den geht es für die Bayern ja nur noch, nachdem sie in der Euroleague die Playoffs so gut wie verpasst haben - kann Cheatham zum großen Faktor werden. Schon in seinem ersten Spiel in Bayreuth, das die Bayern gerade so 80:79 gewannen, hatte er mit 18 Punkten, sechs Rebounds und vier Assists beeindruckt.

Tags darauf erkundete er, weil Trinchieri dem Team einen freien Tag verordnet hatte, seine neue Wahlheimat und schlenderte ein wenig durch den Olympiapark. "Es ist ein historischer Ort. Ich wusste auch noch nicht von dem Massaker, das da stattgefunden hatte", sagte Cheatham am vergangenen Mittwoch - er meinte das Attentat auf die Olympiamannschaft Israels, bei dem während der Olympischen Spiele 1972 alle neun israelischen Geiseln, ein Polizist und fünf der acht Geiselnehmer getötet wurden.

"Wenn du dort nicht Basketballer, Entertainer, Rapper wirst, dann bleibst du in den Verhältnissen gefangen."

Cheatham, der Profi-Basketballer, blickt gerne über den eigenen Tellerrand hinaus. Das ist nicht verwunderlich, wenn man weiß, in welchem Umfeld der Zwei-Meter-Mann aufgewachsen ist. In einem Problemviertel im Süden von Phoenix, Arizona, ging er zur Schule, inklusive Gang- und Drogenkriminalität. "Es ist eine arme, von Gewalt geprägte Gegend", sagt Cheatham: "Wenn du dort nicht Basketballer, Entertainer, Rapper wirst, dann bleibst du in den Verhältnissen gefangen." Cheatham wurde tatsächlich Basketballer, "es war für mich auch ein Weg, um rauszukommen". Seine Familie lebt noch immer in Southern Phoenix.

Die Bayern haben Cheatham, den sechsmaligen US-Nationalspieler, nun zunächst bis Saisonende aus der G-League verpflichtet, wo er zuletzt für die Salt Lake City Stars, das Farmteam der Utah Jazz, auflief. Der Unterschied jetzt bei den Bayern zur G-League sei "wie Tag und Nacht", sagt Cheatham: "Ich habe in der G-League manchmal vor 50 Fans gespielt oder um zehn Uhr morgens." Fast hätte er nach seiner College-Zeit den Sprung in die NBA geschafft, aber einmal hatte er Pech mit einer Corona-Erkrankung, und über Zehntagesverträge mit fünf Kurzeinsätzen für New Orleans und Utah Jazz kam er letztlich nicht hinaus.

Nun spielt Cheatham mit Cassius Winston und Freddie Gillespie zusammen, gegen die er einst in der G-League gespielt hat; Winston hatte ihm die Bayern-Basketballer empfohlen. Und Nick Weiler-Babb kennt er aus Highschool-Duellen. "München ist jetzt der richtige Ort für mich", sagt Cheatham. Und eine zweite Heimat, in der man an freien Tagen mit gutem Gefühl durch den Park spazieren kann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5771792
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lib/lein
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.