Bayern-Basketballer Harris:Wie ein gemütlicher Bär im dritten Frühling

Lesezeit: 3 Min.

„Je eingespielter ich mit den anderen bin, desto mehr Selbstbewusstsein bekomme ich“: Bayerns Elias Harris (links) setzt sich gegen Barcelonas Jabari Parker durch. (Foto: Urbanandsport/NurPhoto/Imago)

Vor den Augen von Hansi Flick ringen die Bayern-Basketballer Barcelona mit 102:101 Punkten nieder. Mitverantwortlich für den Erfolg: Elias Harris, der mit 35 Jahren nun zum Unterschiedsspieler heranreift. Auch, weil ihm Coach Gordon Herbert viel Vertrauen schenkt.

Von Sebastian Winter

Es muss jetzt schnell gehen an diesem späten Mittwochvormittag, auch für Elias Harris. Boarding-Zeit, „die Ersten sind schon im Flugzeug“, sagt der Center der Bayern-Basketballer. Aber der 35-Jährige nimmt sich noch Zeit für ein kurzes Telefonat am Gate in Barcelona vor der Rückreise – und er dämpft gleich mal alle Erwartungen: „Es ist jetzt ganz wichtig für uns, dass wir uns keine Tabellenstände anschauen und Rechenspielchen anfangen.“

Am Vorabend hat der 2,03-Meter-Mann, der in Speyer geboren wurde und in der Saison 2013/14 mal zwei Kurzeinsätze in der NBA für die Los Angeles Lakers hatte, vielleicht eines seiner besten Spiele gezeigt, seit seinem Wechsel nach München vor zweieinhalb Jahren. Er war mitverantwortlich dafür, dass die Bayern Barcelona in der Euroleague, dem höchsten europäischen Klubwettbewerb, mit 102:101 (56:55) niederrangen. Und das heißt schon etwas, auch wenn Barcelona aktuell, anders als Fenerbahce Istanbul, Olympiakos Piräus oder Panathinaikos Athen, nicht mehr zur absoluten europäischen Spitze zählt. „Dritter-Frühling-Routinier“, so bezeichnete sein Klub Harris nach dem Coup im Palau Blaugrana. Dem bald 36-Jährigen gelangen 17 Punkte, so viele wie noch nie in dieser Euroleague-Saison, dazu drei Offensiv-Rebounds.

Basketball-Bundestrainer Herbert
:"Vertraute sagten mir: Da ist nichts mehr in deinen Augen"

Wie ergeht es erfolgreichen Menschen, wenn sie in ein Loch fallen? Weltmeister-Coach Gordon Herbert erklärt seinen Weg aus einer Depression, was ihm dabei half und wie Basketball den Charakter formt.

SZ PlusInterview von Jonas Beckenkamp

Neben Münchens Topscorer Carsen Edwards (23 Punkte), der für die Bayern ohnehin in dieser Spielzeit als derzeit drittbester Werfer aller Euroleague-Spieler unersetzlich ist, und Nick Weiler-Babb (16 Punkte, vier Rebounds, drei Assists, zwei Steals), war Harris der Schlüsselspieler gegen Barcelona. Aber auch andere trugen ihren Teil zum Erfolg bei, wie Shabazz Napier (13 Punkte), Danko Brankovic (12), Vladimir Lucic (8), Andreas Obst (6) und Johannes Voigtmann (4, 5 Rebounds). In einer Partie, in der die Führungen vor den Augen von Barcelonas Fußballtrainer Hansi Flick ständig wechselten; in der es kurz vor Ende des zweiten Viertels 54:43 für die Bayern stand und Minuten später nur noch 56:55, als die Pausensirene erklang. Das hochklassige Spiel bog schließlich in eine denkwürdige Schlussphase ein, in der sich Barcelonas Chimezie Metu zunächst ohne gegnerische Einwirkung die Achillessehne riss, lange auf dem Boden lag und weinte. Barcelona wirkte aber nicht geschockt, führte gut fünf Minuten vor Schluss mit 94:83, die Bayern schienen geschlagen.

„Unser Mindset ist, dass wir das als Team lösen müssen“, sagt Harris – genau das ist die Spezialität von Coach Gordon Herbert

Doch sie kamen zurück, auch dank Harris, der äußerlich immer ein wenig wirkt wie Balu, der gemütliche Bär aus dem Dschungelbuch. Der aber gegen Barcelona erneut sehr geschickt unter dem gegnerischen Korb agierte, 73 Prozent seiner Würfe fanden ins Ziel. Harris changierte dabei zwischen Center und Flügelspieler, er ist also jene Version eines modernen Offensivspielers, die sein Coach Gordon Herbert so sehr schätzt: extrem flexibel, nicht nur unter dem Korb klebend, sondern auch fähig, von außen zu werfen und Mitspieler freizublocken. Lange Zeit war Harris eigentlich nur ein Back-up-Spieler für Johannes Voigtmann und Devin Booker. Doch seit Booker sich Anfang Februar im Spiel gegen Alba Berlin schwer am Knie verletzte, ist Harris da. „Ich muss große Fußstapfen füllen, um ihn zu ersetzen“, sagt Harris am Gate, „aber ich bin ein Rhythmusspieler. Je eingespielter ich mit den anderen bin, desto mehr Selbstbewusstsein bekomme ich. Und dann fallen eben auch die Würfe, die sonst nicht fallen.“

Sie fielen, für Harris, für Edwards, für die anderen, aber sie mussten auch fallen in Barcelona. Denn die Bayern-Basketballer standen nach ihrer herben 89:112-Pleite in Vitoria zuletzt enorm unter Druck, auch das Euroleague-Aus schien noch möglich. Münchens Kapitän Lucic war es dann, der 17 Sekunden vor dem Ende beim Stand von 100:101 unter dem eigenen Korb spektakulär in der Luft den Ball ergatterte, dabei gefoult wurde und danach beide Freiwürfe nervenstark verwandelte. Der letzte Dreierversuch Barcelonas landete nur auf dem Ring. „Das war ein Sieg des Charakters. Wir hatten zwei schwere Minuten am Ende der ersten Halbzeit – und zwei grandiose am Ende des Spiels“, sagte Trainer Herbert.

Drei Spieltage vor dem Hauptrunden-Ende sind die Bayern nun wieder in den Top 6, damit würden sie sich nach aktuellem Stand direkt für die Playoffs qualifizieren. Aber sie haben noch drei schwere Spiele gegen Partizan Belgrad, Maccabi Tel Aviv und Fenerbahce Istanbul vor sich. Das Heimspiel gegen Partizan, das wegen der lautstarken serbischen Fans wohl wieder ein gefühltes Auswärtsspiel werden dürfte, steht bereits am Donnerstag an.

„Unser Mindset ist, dass wir das als Team lösen müssen“, sagte Elias Harris noch, bevor er ins Flugzeug stieg. Genau das ist ja Coach Herberts Spezialdisziplin: seine Mannschaften zu Einheiten zu formen und Spielern den Rücken zu stärken – gerade jenen, die auch mal längere Zeit auf der Bank schmoren. Das ist Herbert schon mit der deutschen Nationalmannschaft gelungen. Nun trägt seine Arbeit auch bei den Bayern langsam Früchte (Rückschläge wie gegen Baskonia eingeschlossen) – im Speziellen bei Harris, der schon fast ein wenig verloren gegangen war, auf der Bank.

Am 6. Juli wird er 36, sein Vertrag läuft noch bis 2026. „Es läuft gut, mir macht es Spaß“, betonte Harris zum Abschied. Im dritten Frühling ist er gerade in seinem eigenen Rhythmus angekommen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Interview mit Johannes Voigtmann
:„Jetzt sitzen wir da und sind alle unzufrieden mit dem vierten Platz“

Basketball-Nationalspieler Johannes Voigtmann spricht über das enttäuschende Abschneiden bei Olympia. Er erklärt, wie es mit dem Nationalteam weitergeht – und warum er sich für den FC Bayern entschieden hat.

SZ PlusInterview von Ralf Tögel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: