Es gilt als heiliges Gesetz im Mannschaftssport, dass man seine Mitspieler nicht öffentlich kritisiert. Schon gar nicht, wenn man selbst nur zugeschaut hat. Arjen Robben hat sich am Dienstagabend kurz vor Mitternacht über diese Regel hinweggesetzt.
Zuerst fasste er die erste Halbzeit des FC Bayern passend zusammen: "Da haben wir nicht gut gespielt, da waren wir nicht bei der Sache", erklärte er. Doch dann fügte er hinzu: "Das hat leichtsinnig ausgesehen, da hat die Aggressivität und die Schärfe gefehlt, um nach vorne zu spielen und Tore zu machen." Der Niederländer hätte nur noch anfügen müssen: Das alles ist passiert, weil ich nicht dabei war! Stattdessen sagte er auf die Frage, ob er nicht enttäuscht gewesen sei, nicht in der Startelf zu stehen: "Dazu sage ich nichts. Jedes Wort wäre eines zu viel. Wenn ich jetzt meine Emotionen ausspreche, dann bin ich morgen bei Herrn Rummenigge und dann weiß ich nicht, was es dann gibt."
Wer einen Robben in einem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League zu Spielbeginn auf die Bank setzt, der weiß, was er zu erwarten hat. Es gibt nur wenige Fußballer auf dieser Welt, in denen es dann so brodelt. In denen die Überzeugung, eigentlich viel besser zu sein als der Rest, so verfestigt ist. Und hatte er nicht Recht? Lief es nicht mit ihm nach der Pause viel besser?
Der FC Bayern hat das Fußballteam von Beşiktaş Jimnastik Kulübü (zu deutsch: Beşiktaş Gymnastik-Klub) am Dienstagabend mit 5:0 besiegt und kann sich nun auf einen ruhigen Ausflug nach Istanbul zum Rückspiel freuen. Selbst das Stadion am Ufer des Bosporus kann den Münchnern mit seiner gefürchteten Atmosphäre nun nichts mehr anhaben. Dabei offenbarten die Bayern während der 90 Minuten, zu was sie fähig sind - im Guten wie im Schlechten.
Sie begannen schlecht. Träge, langsam, ohne Pressing, ohne Wucht. Treten sie im Viertelfinale gegen einen stärkeren Gegner mit so einer mauen Körperspannung an, dürfte der Traum vom Champions-League-Sieg vorbei sein. Diesmal durften die Bayern sich beim Gegner und dessen Kapitän Atiba Hutchinson sowie Verteidiger Domagoj Vida bedanken, die ihnen mehr oder weniger den Sieg schenkten. Hutchinson spielt einen Pass so schlampig, dass Robert Lewandowski mit dem Ball alleine aufs Tor zurannte, Vida grätschte hinterher - Foul und rote Karte. Nach 16 von insgesamt 180 Minuten plus Nachspielzeiten war dieses Achtelfinale praktisch entschieden. Trainer Jupp Heynckes bedauerte den Gegner: "Mit zehn Mann zu spielen, das ist ein großer Nachteil."
Dennoch brauchten die Bayern fast bis zur Pause, um sich aufzurappeln. Höhepunkt der schlaffen Vorstellung war der wilde Schuss von Thomas Müller ans Ohr von James Rodríguez, der an eine Bolzerei im Englischen Garten erinnerte. Erst als Kingsley Coman links einmal erfolgreich antrat und in der Mitte Thomas Müller den Ball mit der Fußspitze ins Tor schubste, veränderte sich das Spiel. Und natürlich wegen Robben.
Der FC Bayern hat das Problem, dass kaum jemand verletzt ist
"Das war genau die richtige Einwechslung", lobte Müller, "wenn auch nicht ganz freiwillig." Denn James musste kurz vor der Pause mit Schmerzen in der Wade raus. Und während sich Robben in der Halbzeit weiter aufwärmte, gab es drinnen in der Kabine offenbar ein paar scharfe Ansagen. Heynckes wiederholte später: Die taktische Ordnung im Mittelfeld sei mangelhaft, bei Ballbesitz des Gegners die Elf viel zu passiv gewesen. Schnelles, präzises Passspiel habe gefehlt und vor allem "das schnelle Spiel in die Tiefe". Das sei schließlich "das Salz in der Suppe". Was nütze der ganze Ballbesitz, wenn man nicht in die Spitze komme?
Es spricht für den 72-jährigen Trainer, dass seine hochbezahlten Kicker all seine Anweisungen umstandslos umsetzten. Plötzlich sprintete ein Bayern-Spieler nach dem anderen Richtung Grundlinie, die Pässe kamen im rechten Moment, die Tore fielen zwangsläufig. Coman (53.), Müller (66.) und zwei Mal Lewandowski (79., 88.) trafen. Wobei Müller von sich selbst begeistert war: "Meine Tore waren richtige Torjäger-Tore." Speziell beim 3:0 habe er schnell reagiert, es sei schließlich nicht so einfach, die Richtung des Balles zu verändern, wenn der schon am Körper vorbei geflogen sei. Jupp Heynckes zuckte da mit den Schultern und erklärte: "Das ist eben Müller - er kann's."
Es blieb die Frage, ob es auch Arjen Robben kann. Am Montag habe er erfahren, dass er nicht spielen werde, und war "sehr überrascht". Er sei nun 34 Jahre alt, tue im Alltag alles, um gerade für solche Spiele fit zu sein, "wenn du dann nicht spielst, ist es eine schmerzhafte Geschichte". Allerdings saß auch Kumpel Franck Ribéry draußen, sogar bis zur 81. Minute. Nationalspieler Sebastian Rudy und der Spanier Juan Bernat standen nicht einmal im Kader. Sie haben das Problem, dass außer Thiago derzeit kein Profi im Münchner Luxuskader verletzt ist, das Gedränge um Start- und Bankplätze ist groß.
Doch wer könnte das Gedränge besser moderieren als Heynckes mit seiner väterlichen und gleichzeitig strengen Art? "Dass ein Spieler nicht zufrieden ist, wenn er nicht von Anfang an spielt, das ist normal", sagte er: "Ich muss das managen und ich mache das, was ich für richtig halte. Das muss jeder akzeptieren. Punkt." Zustimmung erhielt er unter anderem von Torwart Sven Ulreich. Es sei für den Trainer nicht einfach, wenn so viele Topstars im Kader stehen. "Da gibt es Härtefälle." Ulreich hat derzeit übrigens leicht reden. Die Rückkehr des verletzten Manuel Neuer ist weiterhin nicht terminiert.
