FC Bayern:Alles auf Lewandowski

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Will im Rückspiel gegen Real dabei sein: Bayern-Angreifer Robert Lewandowski (M.). (Foto: dpa)
  • Robert Lewandowski will im Champions-League-Rückspiel gegen Real Madrid dabei sein, trotz Schulterverletzung.
  • Mit dem Mittelstürmer auf dem Platz ändert sich die Stabilität der gesamten Mannschaft.
  • Sorgen bereitet nun aber die Innenverteidigung, denn neben Javi Martinez und Mats Hummels droht auch Jérôme Boateng auszufallen.

Von Christof Kneer, München

Mittelstürmer ist im Prinzip kein schlechter Berufswunsch. Man lebt im steten Bewusstsein, wichtig zu sein, es werden einem Respekt und Anerkennung entgegenbracht, und wenn man besonders gut ist, bekommt man viel Ruhm, viel Geld und viele Liebesbriefe. Der Vollständigkeit halber sollte man allerdings nicht verschweigen, was einem als Mittelstürmer auch passieren kann: Man kann zum Beispiel Sergio Ramos begegnen.

Die Frage, ob Thomas Müller ein Mittelstürmer ist oder nicht, hat Philipp Lahm nach dem 1:2 gegen Real Madrid schon endgültig beantwortet. "Unser einziger Stürmer hat heute gefehlt", sagte Lahm und meinte damit Robert Lewandowski. Müller sei ja "eher ein hängender Stürmer", sagte Lahm noch und aus Solidarität mit seinem bayerischen Schafkopfpartner verschwieg er, dass es sich bei Thomas Müller in diesem Viertelfinal-Hinspiel präziser gesagt um einen in der Luft hängenden Stürmer gehandelt hatte. Müller kam kaum vor in dieser Partie, mit dem Ball verband ihn an diesem Abend nur eine sehr flüchtige Bekanntschaft, aber zu seiner Ehrenrettung ist anzumerken, dass er nicht gegen einen Verteidiger des HSV spielte. Sondern gegen Sergio Ramos, einen Verteidiger, der sogar richtigen Mittelstürmern den Ball wegnimmt (der Verteidiger Sergio Ramos zu werden, wäre als Berufswunsch womöglich eine Alternative/Anm. d. Red.).

Er werde im Rückspiel am Dienstag wieder dabei sein, das hat Robert Lewandowski bereits ausrichten lassen, er will dann trotz Schulterverletzung spielen. Falls es so kommt, wäre das für die Bayern eine ausgezeichnete Nachricht, auch wenn niemand seriös abschätzen kann, ob diese Blessur den Mittelstürmer womöglich an der Entfaltung seiner vollen Geschmeidigkeit hindern wird. Nach Ansicht des Hinspiels ist dies tatsächlich die Hoffnung, die dem FC Bayern zweifellos noch bleibt: dass Lewandowski in Madrid das Spiel verändern könnte - und zwar nicht nur, weil er vielleicht das eine oder andere Tor erzielen und im Zweifel auch noch einen Elfmeter verwandeln könnte.

Müller und Robben sagen Sätze, die einer Sensation gleichen

Das Spiel in München war ein 90-minütiger Demonstrationsfilm über die innere Logik des modernen Spiels. Selten wurde so einleuchtend erkennbar wie an diesem Champions-League-Abend, dass Fußballspieler längst nicht mehr nur auf ihren jeweiligen Mannschaftsteil beschränkt sind. Jeder Spieler hängt heute mit jedem zusammen, und wenn es stimmt, dass Abwehrspieler jetzt auch für den Spielaufbau zuständig sind, dann gilt das mit gleichem Recht auch umgekehrt: Dann sind Mittelstürmer - jedenfalls: sehr gute Mittelstürmer - nicht mehr bloß diejenigen, die das, was das Team ihnen vorlegt, reinhauen oder halt nicht. Sehr gute Mittelstürmer wie Lewandowski können durchaus auch für die Stabilität einer ganzen Elf zuständig sein - weil sie vorne die Bälle sichern und weiterleiten, weil sie dafür sorgen, dass das Spiel in seinem Fluss erhalten bleibt und nicht ständig ins Stocken gerät.

Das war das FC-Bayern-Problem gegen Real: dass in der grundsätzlich guten ersten Hälfte erstens die Zuspitzung auf einen Zielspieler im Sturm fehlte - und dass die Münchner, zweitens, trotz anfänglicher Überlegenheit selten imstande waren, sich in gewohnter Selbstverständlichkeit durchzukombinieren. Immer wieder brachten sie sich und ihr Spiel selbst aus der Ruhe, immer wieder mussten sie abbrechen und neu anfangen, weil der Ball vorn bei Müller (und Ramos) verloren ging.

"Die letzten zehn bis 15 Prozent Überzeugung" hätten gefehlt, sagte Arjen Robben später. Fast wortgleich äußerte sich Thomas Müller; er vermisste "die letzte Überzeugung, dass wir die bessere Mannschaft sind". So abstrakt hat man Fußballer schon häufiger daherreden hören, man horcht da manchmal schon gar nicht mehr hin - aber bei dieser Mannschaft und bei diesem Trainer grenzen solche Sätze fast schon an eine Sensation.

Denn war nicht genau das bisher Carlo Ancelottis Alleinstellungsmerkmal: dass seine Mannschaften in den entscheidenden Saisonphasen überzeugt sind, und zwar von sich, ihrem Spiel und davon, dass sie am Ende sowieso gewinnen werden?

Ancelotti ist kein Trainer, dessen Fußball einen eigenen Namen trägt. Es gibt einen Pep-Guardiola-Fußball, einen Ancelotti-Fußball gibt es eher nicht - was, wie ein Blick in die Vita des Italieners beweist, kein Nachteil sein muss. Ancelotti hinterlässt Städten, wenn er sie verlässt oder verlassen muss, keine durchkomponierten Kunstwerke, aber er hinterlässt überall Titel - das verleiht ihm auch bei der modernen, mit akademischen Matchplänen sozialisierten Spielergeneration eine hohe Glaubwürdigkeit. Umso erstaunlicher klingen nun Sätze wie die von Robben oder Müller. Denn mangelnde Überzeugung: Das kratzt an Ancelottis Markenkern.

Dieses Hinspiel gegen Real wirkte phasenweise wie eine Gegendarstellung zu all dem, was bisher über den großen Finalcoach Ancelotti und seine auf die großen Momente abgerichteten Teams bekannt war. Und so stellt sich einstweilen die Frage, warum die sonst so breitbrüstigen Bayern ausgerechnet gegen Real Madrid "zu großen Respekt hatten" und "statt des Risikos manchmal den Sicherheitspass bevorzugt haben", wie Müller später feststellte.

Plötzlich sah der FC Bayern aus wie der HSV

Ob es daran lag, dass Lewandowski fehlte, jener Spieler, der seinen Hinter- und Seitenmännern stets das Gefühl vermittelt, dass der Ball bei ihm gut aufgehoben ist? Oder haben sich die Spieler taktisch vielleicht nicht gut genug ausgestattet gefühlt? Als nach Arturo Vidals vergebenem Elfmeter, vor allem aber nach der gelb-roten Karte für Javi Martínez (61.) dringend Hilfe von der Trainerbank nötig gewesen wäre, blieben stabilisierende Signale von draußen aus. In Unterzahl wurden die Bayern szenenweise fast so hergespielt, als seien sie der HSV und Real der FC Bayern.

Nein, der FC Bayern ist noch längst nicht ausgeschieden, vielleicht braucht es nur 90 oder 120 spektakuläre Minuten im Bernabéu-Stadion, um das Urvertrauen in diesen sehr gelassenen Trainervollprofi wieder herzustellen. Eines darf aber seit diesem Hinspiel als sicher gelten: Ancelotti braucht eine intakte, möglichst unverletzte Stammelf womöglich noch dringender als andere Kollegen. Seine hohe Qualität entfaltet sich vor allem in der souveränen Steuerung und Moderation funktionierender Spitzenteams; er ist weniger der Coach, der einer Verletztenmisere kreative Lösungen abringt und, wie Vorgänger Guardiola, David Alaba oder Joshua Kimmich als Innenverteidiger erfindet.

So gesehen ist es wohl keine so gute Nachricht, die über Ostern von der Säbener Straße nach draußen drang: Zwar hoffen die Bayern weiter auf einen Einsatz von Mats Hummels in Madrid (Tendenz: eher unwahrscheinlich), aber nun leidet auch noch der gerade erst halbwegs genesene Jérôme Boateng an Adduktorenproblemen. Und Javi Martínez ist ohnehin gesperrt - wenn es dumm läuft, müssen in Madrid also die Guardiola-Erfindungen Alaba/Kimmich in der Innenverteidigung versuchen, Ancelotti-Fußball zu spielen.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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