Boateng beim FC Bayern:Die Ruhe des Bosses

Boateng beim FC Bayern: Oben auf: Jérôme Boateng schweigt zwar, spielt aber stark.

Oben auf: Jérôme Boateng schweigt zwar, spielt aber stark.

(Foto: AP)
  • Eine Torvorlage, kein Patzer - und ein gemeinsamer Jubel mit den Mitspielern: Jérôme Boateng ist wieder wichtig beim FC Bayern.
  • Der Rekordmeister verfügt derzeit tatsächlich über eine erste Elf ohne Schwachstelle.
  • Die Mannschaft kommt dem achten Meistertitel in Serie immer näher.

Von Benedikt Warmbrunn

Der Boss schweigt. Manchmal schüttelt er zumindest den Kopf, legt ihn leicht zur Seite, ganz selten murmelt er vielleicht noch eine Heute-sage-ich-nichts-Entschuldigung, und schon ist er weg. Meistens aber läuft Jérôme Boateng einfach dem Ausgang entgegen, den Blick nach vorne, entschiedenen Schrittes an den Journalisten vorbei. Woche für Woche wiederholt sich dieses Prozedere, nur einmal, nach dem Spiel beim FC Chelsea, hatte er eine Ausnahme gemacht, für ein kurzes Interview auf Englisch am Spielfeldrand. Zwei, drei kurze Frage, zwei, drei kürzere Antworten, dann hatte es ihm schon wieder gereicht; für dieses eine Interview hatte Boateng, den sie zu seinen besten Zeiten Boss gerufen hatten, im Grunde also sein selbstauferlegtes Schweigen nicht wirklich unterbrechen müssen.

Ein paar Monate lang ist Boateng, 31, mit seinem Schweigegelübde kaum aufgefallen, das Thema, das ihn begleitete, veränderte sich ja nicht, variierte allenfalls in der Fragestellung. Am einen Tag ging es darum, ob er zur nächsten Möglichkeit den Verein verlassen werde; am nächsten Tag war die Frage vielleicht ein bisschen offener, dann ging es darum, wann er den Verein verlassen werde. Dass es irgendwann wieder ein ernsthaft interessantes Thema sein könnte, warum Boateng gerade so wichtig für die Mannschaft sei, das hat in all den Monaten niemand erwartet, wahrscheinlich nicht einmal Boateng selbst. Nun aber ist es genau so gekommen.

Doch der Boss schweigt weiter.

Auch nach dem 2:0 des FC Bayern am Sonntagnachmittag gegen den FC Augsburg verließ Boateng die Arena ohne einen Wortbeitrag, er vermied es dadurch zwar, sich irgendetwas einfallen lassen zu müssen zu der Frage, warum seine Mannschaft lange Zeit so einfallslos aufgetreten war. Er konnte so aber auch nicht über die Leistung des Mannes sprechen, der womöglich den größten Anteil an diesem Arbeitssieg hatte, über einen Mann, der Boateng heißt und tatsächlich nach wie vor für den FC Bayern verteidigt.

"Ich bin ja so ein kleiner Klugscheißer", erklärt Thomas Müller

"Träge" habe die Mannschaft in der ersten Halbzeit gespielt, sagte Joshua Kimmich am frühen Sonntagabend, und so ging es auch im zweiten Durchgang weiter. Dann aber bekam Boateng den Ball in der 53. Minute zugespielt, wenige Meter vor der Mittellinie, er legte ihn sich vor, passte ihn dann über zehn Augsburger hinweg in den Strafraum, dort musste Thomas Müller nur noch seinen linken Fuß in die Flugbahn halten, und schon wachten die Bayern wieder auf.

"Ich bin ja so ein kleiner Klugscheißer und habe da einen super Spruch auf Lager: Alles, was man kann, ist einfach", sagte Müller später, er meinte damit hauptsächlich die Leistung des Vorlagengebers. "Jérôme Boateng hat die Übersicht und das feine Füßchen für die Spielverlagerungen und auch für den Tiefpass." Von ihm, Müller, habe ja lediglich der Laufweg gepasst, und doch reichte es, um den Torschützen schwärmen zu lassen: "Es war tatsächlich ein schönes Tor."

Viel erstaunlicher aber war das, was nach diesem Tor passierte: Boateng, der sich in den vergangenen Monaten vielen Feierlichkeiten verweigert hatte, sprintete nach vorne, mit fast vergessener Dynamik, als dritter Spieler war er bei Müller. Und dieser Sprint verriet in seinem Mannschaftsdenken ohnehin mehr über Boatengs aktuelles Innenleben als jedes Interview auf dem Weg zum Ausgang der Arena.

München kommt dem Meistertitel immer näher

Durch das 2:0 sind die Münchner dem achten Meistertitel in Serie näher gekommen, sie haben nun vier Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger, auf Dortmund. "Gerade wenn du Titel gewinnen willst, musst du auch an solchen Tagen die drei Punkte mitnehmen", sagte Leon Goretzka, der in der Nachspielzeit den Endstand erzielt hatte. Und dass die Mannschaft lange Zeit träge gespielt hatte, das war ja nur die eine Seite. Die andere Seite war, dass sie trotz ihrer Trägheit die Kontrolle behielt, mit Ausnahme der letzten Minuten in der regulären Spielzeit, in denen der FC Augsburg beinahe den Ausgleich erzielt hatte. Und das hängt auch mit Boatengs aktueller Form zusammen.

Müller ist ohne den verletzten Angreifer Robert Lewandowski der wichtigste Spieler in der Offensive, er zieht alle anderen mit. Kimmich und Thiago bilden das Taktgeber-Duo, das dem Team lange gefehlt hat. Alphonso Davies ist einer der spektakulärsten Spieler der Liga. Manuel Neuer ist wieder ein Weltklasse-Torwart, das zeigte er bei einer Parade gegen Florian Niederlechner kurz vor Schluss. Aber Boateng steht dafür, dass die Bayern gerade keine Schwachstelle haben, keinen Wackelkandidaten - dass sie eine erste Elf haben, die sich auch müde Auftritte wie jenen gegen Augsburg leisten kann, weil sie die Partie dennoch routiniert herunterspielt.

In der Hinrunde hatte das Team auch an offensivfreudigen Tagen oft unnötige Fehler gemacht; das Hinspiel in Augsburg endete aufgrund eines frühen und eines späten Patzers 2:2. Unter dem damaligen Trainer Niko Kovac hatte sich auch Boateng Unkonzentriertheiten geleistet, unter dem aktuellen Coach Hansi Flick tritt auch der ewig Wechselwillige wieder ruhiger und souveräner auf - und dadurch die gesamte Defensive: Seit vier Partien haben die Bayern kein Gegentor kassiert.

Vielleicht wird Boateng demnächst doch erzählen wollen, wie es ihm gerade geht, warum er nun das Vertrauen spürt, das ihm lange gefehlt hat. Allzu viel Zeit bleibt ihm dazu nicht. Denn dass er trotz seiner aktuellen Form seinen Wechselwunsch vergessen haben könnte, das glaubt beim FC Bayern niemand.

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