FC Barcelona:Vielleicht ist Messi einfach der Fußball

Tottenham Hotspur - FC Barcelona

Dass Lionel Messi und der FC Barcelona in der Gruppenphase der Champions League ausscheiden, scheint undenkbar geworden zu sein.

(Foto: Nick Potts/dpa)

Von Sven Haist, London

Vielleicht ist Lionel Messi nicht nur der Spieler, der den Ball berührt, passt und ins Tor schießt. Vielleicht ist Lionel Messi einfach der Fußball. Anders ist wohl nicht mehr zu erklären, warum Messi so viel besser mit dem Ball am Fuß umgehen kann als die anderen Abermillionen an Menschen auf diesem Planeten. Das Bemühen, den Großmeister aller Meisterklassen zumindest einigermaßen unter Kontrolle zu halten, war Tottenham Hotspur keinesfalls abzusprechen an diesem Champions-League-Abend, aber die Spieler kamen halt nicht an den Ball, nicht mal mit den Fußspitzen, obwohl sie in der Nähe standen. Egal wie viele Spieler sich auf Messi stürzten, der kleine Genius des FC Barcelona fand stets einen Ausweg, den offenbar nur er sehen konnte. Unter seinen 96 Ballaktionen fanden sich zwei Tore (56./90.), allerhand Dribblings, Finten, Körpertäuschungen und Rhythmuswechsel.

Und als würde Messi sich beim Durchspielen seines Sammelsuriums langweilen, führte er den 82 137 Besuchern im Wembley noch eine neue Errungenschaft vor: den Versuch eines Doppelpasses mit dem Pfosten. Innerhalb von 255 Sekunden zu Beginn der zweiten Halbzeit schob Messi den Ball zweimal mit dem linken Fuß an den linken Torpfosten. Sein Tor-Schuss ähnelte einem Tor-Pass. Allerdings prallte der Ball nicht zurück zu Messi, was weniger an ihm gelegen haben dürfte, sondern an der Tatsache, dass der Pfosten wohl schlicht nicht mit ihm mithalten konnte. Das dumpfe Geräusch, als der Ball auf die Aluminiumstange traf, erinnerte an einen Glockenschlag in der Kirche, umgehend kehrte andächtige Ruhe ein in der englischen Fußballkathedrale - bis die Messi-Fans sich mit "Messi, Messi, Messi"-Rufen vor ihrem Idol verneigten.

"Er zeigt in jedem Spiel, warum er Messi ist. Seine durchschnittliche Leistung ist so ein Spiel wie heute. Er steht immer über den Dingen", sagte Tottenhams Trainer Mauricio Pochettino nach der Niederlage seiner Spurs gegen den FC Barcelona. Messi besaß an diesem Abend ein derartiges Übermaß an Spielfreude, dass er sich sogar in die ungeliebte Defensivarbeit einbrachte. Für die Zeitung Mundo Deportivo stand deshalb fest, dass Messi sein Team "mit und ohne Ball" angeführt habe.

Messi lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf sich

Die Sternstunde bei diesem 4:2 über Tottenham beweist, dass es Messi in dieser Saison absolut ernst ist mit dem Gewinn der Champions League. Seine bisherigen vier Erfolge mit Barcelona in der Königsklasse in den Jahren 2006, 2009, 2011 und 2015 verblassten zuletzt zusehends hinter dem Triple von Real Madrid in Europas prestigeträchtigstem Klubwettbewerb. Bei der Verleihung des Awards für den besten Fußballer der Welt vor anderthalb Wochen in London gehörte Messi nicht mal zu den drei Nominierten, mit Argentinien gab es zuvor bei der WM in Russland das vorzeitige Aus im Achtelfinale. Mit fünf Toren an den ersten beiden Spieltagen der Champions League hat Messi als Führender der Torschützenliste die Aufmerksamkeit wieder auf sich gelenkt. Auch mit 31 scheint es ihm mitunter noch ein Leichtes zu sein, den Verlauf eines Spiels zu bestimmen.

Schon in der zweiten Minute leitete sein Pass den Führungstreffer durch Philippe Coutinho ein, bei der Entstehung der sehenswerten Volleyabnahme von Ivan Rakitic hatte er ebenso seine Füße im Spiel (28.). Nach zwei Siegen gegen Eindhoven und Tottenham kann sich Barcelona mit sechs Punkten an der Tabellenspitze der Gruppe B fast schon im Achtelfinale wähnen, in der spanischen Liga sind die Katalanen ebenfalls Tabellenführer mit dem punktgleichen Real Madrid.

Tottenham kämpft gegen den sportlichen Einbruch

Die Vorführung der katalonischen Spielkultur ging am Mittwochabend deutlich auf Kosten der Spurs, die durch die Auftakt-Niederlage bei Inter Mailand nun mit null Punkten vor dem Vorrunden-Aus stehen. Erst zehn von 126 Vereinen haben mit dieser Bilanz noch den Einzug in die nächste Runde geschafft. Je mehr die Engländer ihre Chancenlosigkeit an diesem Abend einsahen, desto mehr zogen sie sich aus der gegnerischen Hälfte zurück - so weit, dass die vorderste Verteidigungslinie nach etwa einer halben Stunde beinahe schon am eigenen Strafraum angelangt war.

Der offene Schlagabtausch, auf den sich der Tabellenvierte der Premier League nach dem Seitenwechsel mangels Alternativen einlassen musste, offenbarte dann das gegenwärtige Grundproblem des Teams: die zu geringe personelle Substanz im Aufgebot. Durch die Entscheidung, im Sommer auf teure Zukäufe zu verzichten, sind die Spurs derzeit offenkundig nicht in der Lage, verletzt fehlende Stammkräfte wie Christian Eriksen, Dele Alli, Jan Vertonghen und Mousa Dembélé einigermaßen adäquat zu ersetzen. Hinzu kam ein schwerer Patzer von Torwart Hugo Lloris.

Eigentlich wollten die Spurs in dieser Saison um einen Titel mitspielen, um sich für die Aufbauarbeit der vergangenen Jahre zu belohnen, aber derzeit geht es wohl eher darum, zumindest die Stellung als Spitzenteam auf der Insel zu wahren. Ein sportlicher Einbruch könnte zur Folge haben, dass sich die besten Spieler mit einem Vereinswechsel beschäftigen - allen voran Harry Kane, der mit einer Einzelaktion zwischenzeitlich den Rückstand verkürzte (52.), so wie später auch Erik Lamela (66.).

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