Süddeutsche Zeitung

FC Barcelona:Sicherheit in ungewisser Zeit

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Beim Erfolg gegen Neapel wirkt Barcelona wie ein Team, das sich gegen den Abgesang aufbäumt. Vor dem Viertelfinale lautet der Name der Hoffnung einmal mehr: Lionel Messi.

Von Javier Cáceres

Um 22.08 Uhr am Samstag waren die Beklemmungen in der katalanischen Hauptstadt wieder verflogen. Denn das war der Moment, da Lionel Messi wieder aus dem Spielertunnel kam, die Kapitänsbinde richtete und sich also anschickte, trotz einer Blessur am rechten Sprunggelenk, von der noch die Rede sein wird, auch die zweite Halbzeit der Partie seines FC Barcelona gegen den SSC Neapel zu bestreiten.

Messi hielt durch. Letztlich sogar über die gesamte Spielzeit, die mit dem gleichen Resultat endete, das zur Halbzeit gegolten hatte: 3:1. Und das bedeutete nach dem 1:1 aus dem Hinspiel des Achtelfinales der Champions League, dass der FC Barcelona am Freitag in Lissabon im Viertelfinale der Königsklasse auf den FC Bayern trifft. Es wird das Duell der beiden einzigen Klubs, die schon mal Europas wichtigste Trophäe gewonnen haben und noch im Wettbewerb sind. "Der FC Bayern ist eine großartige Mannschaft", sagte Trainer Quique Setién: "Aber wir sind es auch." Dem ist einerseits kaum zu widersprechen. Die Klubgeschichte mit fünf Champions-League-Titeln und die schillernden Namen des bestbezahlten Kaders Europas sprechen da eine eindeutige Sprache. Andererseits hinterließ die Partie gegen die Neapolitaner genau den Eindruck, den Barça schon in der spanischen Meisterschaft hervorgerufen hatte: dass es ein Team ist, das in vielerlei Hinsicht gegen den Verfall ankämpft. "Diese Mannschaft ist nicht mehr die, die sie vor ein paar Jahren war. Sie praktiziert nicht mehr das Pressing von früher", sagte Neapels Trainer Gennaro Gattuso nach der Niederlage. "Mein Eindruck ist, dass dieses Barcelona nicht sehr gut drauf ist", fügte Gattuso hinzu. Und dürfte damit in der Vereinszentrale des FC Bayern wohl Vorfreude auslösen.

Schon in der 2. Minute hatte Neapel den Katalanen einen fabulösen Schrecken eingejagt: Der belgische Stürmer Dries Mertens traf den Pfosten. Doch noch ehe sich eines der beiden Teams zum Herrscher der Partie aufschwingen konnte, kam Barcelona zur Führung (10.). Dem Treffer wohnte nichts von der kollektiven Kunst inne, mit der Barcelona in den vergangenen Jahren die Welt verzaubert hatte, sondern er kam vergleichsweise plump daher: Ecke Ivan Rakitic, Kopfball Clément Lenglet, Tor. Überdies trug das Tor einen Makel. Ehe er zum Kopfball hochstieg, hatte Lenglet den früheren Leipziger Diego Demme umgestoßen, ohne dass der Schiedsrichter eingriff.

Danach aber folgten drei prägende Szenen mit einem Protagonisten namens: Messi. Die erste Szene, in der 23. Minute, war eine Erinnerung daran, dass Lionel Messi eben immer noch der Spieler im Weltfußball ist, der die wenigsten Quadratmeter braucht, um ein Maximum an Emotionen hervorzurufen. Der Argentinier nahm den Ball in Strafraumnähe an, sah eine Gruppe an Neapolitanern vor sich und wühlte sich hindurch: Er behielt den Ball am Fuß, fiel zu Boden, raffte sich auf, hatte bei einem Abpraller Glück und schickte dann - im Fallen - den Ball in Richtung des Tores, das Neapels Kolumbianer David Ospina hütete. Dann wurde Messi vom Videoschiedsrichter ein weiteres, gleichfalls betörendes Tor genommen. Nach einem grandiosen Außenristpass von Frenkie de Jong nahm Messi den Ball im Strafraum mit der Brust mit und lupfte ihn subtil an Ospina vorbei; doch nach der x-ten Wiederholung war in den Augen des Videoassistenten bewiesen, dass Messi den Ball in einer fließenden Bewegung mit dem Unterarm berührt hatte.

Und schließlich war da die dritte Szene, die in der 40. Minute doch zum 3:0 führte: Messi stibitzte Neapels Innenverteidiger Kalidou Koulibaly im Strafraum den Ball; allerdings just, als der Senegalese zum Befreiungsschlag ausholte. Koulibaly traf Messi am Sprunggelenk. Erst nach Ansicht der Videobilder entschied Schiedsrichter Cüneyt Cakir auf Elfmeter, den schließlich Luis Suárez verwandeln sollte. Doch das war in den Augen der Barcelona-Fans an den TV-Bildschirmen weniger von Belang als der Umstand, dass Messi mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen blieb und minutenlang behandelt werden musste. Wie gesagt: Die Beklemmungen, die man auch im Gesicht von Trainer Setién erkennen konnte, waren erst um 22.08 Uhr überwunden. Als die Halbzeitpause vorüber war.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Neapel bereits den Anschlusstreffer erzielt. Nach einem Foul von Rakitic hatte der Referee auch einen Strafstoß für die Italiener verhängt, den Lorenzo Insigne verwandelte (45.+5). Dieser Treffer sollte all die Limitierungen bloßlegen, unter denen Barcelona in dieser Spielzeit leidet. Denn trotz der Führung schaffte es Barcelona nicht, das Spiel mit Souveränität zu regieren. Am Ende hatte Neapel 53 Prozent Ballbesitz und erweckte den Eindruck, in einer besseren physischen Verfassung zu sein als Barcelona, das sich im Stile einer kleinen Mannschaft verteidigte. "Ich bin müde, weil ich enorm viel gerannt bin", klagte Mittelfeldspieler Sergi Roberto nach der Partie, "um solche Spiele zu gewinnen, muss man rennen und leiden, und das haben wir getan." Wann hat man so was mal von einem Barça-Profi gehört?

Letztlich blieb es dabei, dass Neapel bellte und nicht biss und nur zu einem weiteren Pfostentreffer sowie einem Abseitstor des eingewechselten Arkadiusz Milik (80.) kam. Doch das zweite Tor, das die Partie hätte kippen lassen können, fiel nicht. Ob sich so ein Spiel in Lissabon wiederholt? Gegen die Bayern wird Setién auf den früheren FC-Bayern-Profi Arturo Vidal und auf Sergi Busquets zurückgreifen können, sie waren gegen Neapel gesperrt. Entscheidender ist ohnehin, dass einem Einsatz Messis wohl nichts entgegensteht. Und das heißt, dass Barça nicht ohne Hoffnung nach Lissabon reisen wird. Denn "in Zeiten der Ungewissheit gibt es eine Sicherheit: Messi", schrieb die Zeitung El País.

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SZ vom 10.08.2020
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