FC Barcelona mit historischer Wende:Rückkehr des Originals

In einer rauschhaften Nacht dreht der FC Barcelona als erste Mannschaft in der Champions League ein 0:2 aus dem Hinspiel und zieht ins Viertelfinale ein. Lionel Messi sorgt beim 4:0 gegen den AC Mailand für die magischen Momente. Der Klub glaubt an die Rückkehr alter Stärken - und nun kehrt auch der krebskranke Trainer früher zurück als gedacht.

Von Thomas Hummel

Was sollte Massimiliano Allegri auch sagen? "Wir haben gegen einen außergewöhnlichen Gegner verloren, gegen die beste Mannschaft der Welt", versicherte der Trainer des AC Mailand sich, der Welt und auch seinem Chef Silvio Berlusconi, der zu Hause in Italien vermutlich einen dünnlippigen Wutausbruch bekommen hatte. 0:4 verlor der stolze Klub aus Norditalien. 0:4, nachdem viele nach dem 2:0 im Hinspiel von einer Zeitenwende gesprochen hatten. Vom Ende der Ära des FC Barcelona. Doch auch wenn dieses Ende schon am Horizont des Weltfußballs glimmt, am Mittwochabend war es noch nicht so weit. Im Gegenteil.

"Heute waren wir wieder das Original", erklärte Abwehrspieler Javier Mascherano, "das macht uns neben dem Ergebnis am glücklichsten." Fast 95.000 Zuschauer im Camp Nou feierten ihr Original in einer rauschhaften Nacht. Nach den Niederlagen zuletzt gegen Real Madrid im Pokal und in der Meisterschaft, nach dem schrecklichen Hinspiel in Mailand, hatte Barcelona der Selbstzweifel erfasst, ob ihre Mannschaft noch über den Dingen stehen kann. Ob die Stadt noch die beste Fußballmannschaft der Welt beherbergt. Jetzt ist der FC Barcelona das erste Team in der Champions League, das nach einem 0:2 im Hinspiel die Wende geschafft hat.

Dazu diese sonnige Meldung aus New York: Trainer Tito Vilanova wird nach seiner Krebsbehandlung eher als geplant aus den USA in die Heimat zurückkehren. "Es scheint so, als ob er am 25. März wieder hier ist", sagte der frühere Barca-Spieler sowie Trainer und heutige Berater Carles Rexach, "Tito ist glücklich." Andres Iniesta erklärte: "Wenn Gott will und der Trainer bald zurückkommt, wird uns das neue Stärke geben."

Dabei hatte Tito Vilanova auch aus dem fernen New York seinen Beitrag zum kleinen Wunder gegen den AC Mailand geleistet. Zusammen mit Stellvertreter Jordi Roura hatte er für die Aufholjagd eine besondere Taktik entworfen. Eine Taktik, die Mut uns Selbstvertrauen ausdrückte: Barcelona stand sehr offensiv auf dem Platz und hatte immer genug Spieler in der gegnerischen Hälfte, um den Gegner wie in allerbesten Zeiten zu attackieren, dass diesem die Luft zum Atmen fehlte.

Die Trainer stellten überraschend den lange verletzten David Villa in die Sturmmitte, wodurch Lionel Messi wieder zu der "falschen Neun" mutierte, die ihn einst berühmt machte. Messi bewegte sich hinter Villa zwischen den italienischen Abwehrlinien und sorgte für die magischen Momente des Spiels. Das 1:0 nach sechs Spielminuten hinterließ fassungslose Gesichter nicht nur bei den Mailändern.

Messi hatte den Ball bekommen vor dem Strafraum, spielte noch einen Blitz-Doppelpass mit Xavi, doch von fünf bis sechs Männern im weißen Trikot umzingelt konnte eigentlich nichts passieren. Es folgte der Beweis, dass Lionel Messi im Wilden Westen sicher derjenige gewesen wäre, der am schnellsten zieht. Der Sundance Kid unter den Revolverhelden. Für die fünf Mailänder ging alles viel zu schnell. Messi benötigte für seinen Schuss mit dem linken Fuß kaum eine Ausholbewegung, dennoch traf er den Ball so wuchtig und präzise, dass er zwischen all den Gegenspielern hindurch genau links oben ins Tor sauste. Mit diesem Treffer stärkte er beim Publikum und der eigenen Mannschaft den Glauben, das 0:2aus dem Hinspiel noch drehen zu können. Während die Mailänder sich von diesem Schrecken nicht mehr erholten.

Messi, der Schlüssel

Messi war der Schlüssel für den Triumph. Auch das zweite Tor erzielte der Argentinier aus ähnlicher Position (40.). Doch der Schlüssel musste im übertragenen Sinne erst ins Schloss getragen werden. Und das machten andere. Der ewig unterschätzte Linksaußen Pedro etwa, der mit seiner aufopferungsvollen Laufarbeit schon die deutsche Nationalmannschaft im WM-Halbfinale 2010 vor unlösbare Probleme gestellt hatte. Im Verbund mit David Villa führte Pedro das Pressing der Spanier. Dazu hatten Vilanova und Roura Rechtsverteidiger Dani Alves praktisch auf die Rechtsaußen-Position geschickt, Barcelona verteidigte fast die gesamte Spielzeit mit einer Art Dreierkette.

"Wir wussten, was wir zu tun hatten", erklärte Interimstrainer Roura, "wir mussten den Platz öffnen und wir musste viel mehr Druck auf den Gegner in dessen Hälfte ausüben." Auch das dritte Tor entsprang dem schnellen Pressing nach Ballverlust, Mascherano spritzte dazwischen, Xavi spielte flugs den Ball zum freistehenden Villa, der gewohnt sicher verwandelte (55.). Es folgte ein Gefühlsausbruch des Stürmers, der nach einem Beinbruch acht Monate pausieren musste und nun das erste Tor in der Königsklasse seit Oktober 2011 erzielt hatte.

In dieser erfolgsverwöhnten Mannschaft stimmt auch immer noch das soziale Gefüge. Nach Villas Treffer schrie ihm Pedro (auch ein Konkurrent um einen Stammplatz) entgegen: "Das hast du verdient. Das hast du verdient." Oder als Messi das 2:0 erzielt hatte: Da lief Xavi, Gehirn und Kapitän der Elf, nicht zum jubelnden Torschützen, sondern nach hinten, um Verteidiger Mascherano zu umarmen. Der hatte eine Minute zuvor mit einem Stellungsfehler fast das Spiel kaputt gemacht, der Mailänder Stürmer M'Baye Niang war alleine aufs Tor enteilt, hatte aber nur den Pfosten getroffen. Ein Gegentor hätte wohl alles verändert.

Die Szene von Niang war Sinnbild dessen, dass der AC Mailand noch nicht soweit ist, um auf der ganz großen Bühne zu bestehen. Stürmer Giampaolo Pazzini verletzt, Stürmer Mario Balotelli nicht spielberechtigt, so sollten der 18-jährige Niang und der 20-jährige Stephan El Shaarawy an der Seite des Berliners Kevin-Prince Boateng die Angriffe zum Ende bringen. Das klappte nur dieses eine Mal.

Nach dem 4:0 durch Jordi Alba in der Nachspielzeit brachen im Camp Nou alle Jubeldämme. "Es waren schwierige Tage. Die Kritik an den Spielern war übertrieben", erklärte Trainer Roura. Dieser FC Barcelona ist immer noch zu besonderen Leistungen fähig, die Trainer zu besonderen Kniffen. Dennoch gingen einige auch nachdenklich in die Nacht. "Ich hoffe, dass wir keine weitere Ohrfeige brauchen, um zu unserem Spiel zurückzufinden", sagte Mascherano. Es könnte dann die eine Ohrfeige zu viel sein.

Alle Statistiken zum Spiel

Hier finden Sie alle Statistiken zum Spiel

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: