FC Barcelona:Messis Stille

Liverpool v Barcelona - UEFA Champions League Semi Final: Second Leg

Vor die Liverpooler Wand gelaufen: Lionel Messi (in Gelb), in Agonie vor den Fans an der Anfield Road.

(Foto: Shaun Botterill/Getty Images)

Nach dem epochalen Scheitern in Liverpool steht Trainer Valverde in der Kritik - und das in die Jahre gekommene Team vor einem radikalen Umbau.

Von Javier Cáceres, Liverpool

Der Körper des ehemaligen Bayern-Profis Arturo Vidal ist übersät mit Tattoos. Doch es gibt tatsächlich noch eine Stelle, die frei und reserviert ist. Oder, wie man seit Dienstagabend wohl besser sagt: reserviert war.

Auf dem letzten freien Flecken seines Körpers wollte sich der chilenische Nationalspieler die Champions-League- Trophäe in die Haut stechen lassen, um die Titelsammlung seiner Karriere zu komplettieren. Doch zumindest in diesem Jahr wird er nicht mehr unter die Nadel müssen. Und er ging mit dem Gefühl, eine einzigartige Chance verpasst zu haben. Statt eines Tattoos brennt ein Schmerz in seinem Herzen. Der Schmerz über eine ungeheuerliche, in vielerlei Hinsicht historische Niederlage beim FC Liverpool. 0:4 in Anfield nach einer 3:0-Führung aus dem Hinspiel. Obwohl Lionel Messi in den eigenen Reihen stand, obwohl Liverpool ohne zwei seiner wichtigsten Spieler angetreten war - ohne Mo Salah und Roberto Firmino.

Wer hätte das gedacht.

Es ist nicht das beste Indiz für die Qualität des Gesamtvortrags Barcelonas, wenn 90 Minuten vorüber sind und Vidal als der beste Spieler des Teams dasteht. Nur er hatte, getreu seinem Wesen, den Kampf angenommen, Normalform erreicht, Mut gezeigt. In der ersten Halbzeit wusste man nicht, "wie viele Vidals auf dem Platz standen", schrieb die Zeitung El Periódico. Der Rest des Teams? Niedergerannt von einem großartigen Liverpool-Team, niedergebrannt von einem Feuerzungenmeer, das auf den Rängen tobte und ein Déjà-vu erzeugte. "Das Schlimmste ist, noch einmal dasselbe erlebt zu haben", sagte Trainer Ernesto Valverde in Anspielung auf das Champions-League-Viertelfinale vom Vorjahr. Damals gab man einen 4:1-Hinspielsieg aus der Hand, schied nach einem 0:3 im Rückspiel aus. Doch Anfield war "schlimmer als Rom", titelte die Zeitung El Mundo Deportivo. "Ich kann die Fans nur um Vergebung bitten", sagte Sergi Busquets. "Diese Niederlage wird man sehr lange nicht vergessen."

Das kann man wohl sagen. Und sie wird Folgen zeigen. "In der Erregung möchte ich lieber keine Erklärungen liefern. Wir brauchen Zeit, um nachzudenken", sagte Präsident Josep Maria Bartomeu. Die Verpflichtung von Frenkie De Jong (Ajax Amsterdam) weckt die Hoffnung auf eine Erneuerung des Teams, der Klub hofft auch auf die Verpflichtung von De Jongs Freund und Teamkameraden Matthijs de Ligt. In Barcelona wird zudem geraunt, dass der französische Weltmeister Antoine Griezmann (Atlético) im Sommer wieder ein Thema wird. Er soll bereit sein, auf Gehalt zu verzichten, um bei Barça anzuheuern.

Das bedeutet aber auch, dass wohl Ballast abgeworfen werden muss. So gesehen passte es, dass die Leistung mehrerer Spieler nicht gerade eine Bewerbung um eine Weiterbeschäftigung bei Barça darstellte. Es sind nicht wenige, die wie Vidal schon über 30 Jahre alt sind, aber auf dem Markt wohl noch für Einnahmen sorgen können - beispielsweise der frühere Schalker Ivan Rakitic, oder eben auch Luis Suárez, der seit 2015 nicht mehr bei Auswärtsspielen in der Champions League getroffen hat - und in den letzten beiden Spielzeiten nur jeweils ein Tor in Europa erzielte. Oder der Brasilianer Coutinho, der vor gut anderthalb Jahren für 140 Millionen Euro aus Liverpool nach Barcelona transferiert wurde und am Dienstag wirkte wie ein riesengroßer Bluff. Ein exzentrischer Wintertransfer wie Kevin-Prince Boateng schaffte es nicht einmal auf die Reservebank.

Die Schmach von Anfield wird auch die Diskussionen um Trainer Valverde neu entfachen. Die Niederlage war Wasser auf die Mühlen der Barça-Anhänger, die da meinen, man solle, wenn schon, wenigstens mit Stil verlieren. Mit dem Stil, den einst Johan Cruyff lehrte, Pep Guardiola fortführte, Luis Enrique nur zart veränderte. In Liverpool dauerte es eine Ewigkeit, bis Barça drei Pässe aneinander reihte. Und: Man kann Valverde wohl tatsächlich den Vorwurf machen, die falschen Schlüsse aus dem 3:0-Hinspielsieg gezogen zu haben. Hat er sich blenden lassen? Er bot in Liverpool nicht nur die gleiche Startelf auf wie in der Vorwoche, als man Glück hatte, ohne Gegentor davonzukommen. Er machte nach gut einer Stunde auch den gleichen Wechsel, Semedo kam für Coutinho. Auch wenn Vidal Barcelonas bester Spieler war: Womöglich wäre es besser gewesen, diesmal auf den Brasilianer Arthur zu setzen, der den Ball sicherer verwaltet als der Chilene. Wobei zur Wahrheit gehört, dass Barça nach dem frühen Rückstand durch Divock Origi (7. Minute) wieder zu sich gefunden, Chancen kreiert hatte. Nur: Barça traf das Tor nicht, ähnlich wie Liverpool in der Vorwoche im Camp Nou.

Nach der Pause rächte sich dies. "Das zweite und das dritte Tor (durch Giorgino Wijnaldum, 54./56.) folgten sehr rasch aufeinander, das hat ihnen den Impuls gegeben, weiterzumachen", sagte Valverde. Schließlich traf Origi ein zweites Mal (79.), nach einer Ecke von Trent Alexander- Arnold, bei der ganz Barça mit allem beschäftigt war, nur nicht mit dem Ball. "Das Tor war unglaublich", sagte Valverde, "als ich geschaut habe, war der Ball drin." Nun wird er Leidensfähigkeit beweisen müssen. "Wir haben schreckliche Tage vor uns. Diese Buße müssen wir nun leisten", fügte der Trainer hinzu.

Vor allem wird er nun die quälende, sentimentale Stille von Kapitän Lionel Messi ertragen müssen. Der Argentinier verließ erst gegen Mitternacht das Stadion, mit gesenktem Kopf und flinken Schrittes, begleitet von seinem persönlichen Assistenten Pepe Costa und einem Bodyguard. Messi hatte vor Monaten dem Anhang versprochen, den "schönen und ersehnten Pokal" wieder nach Barcelona zu holen, zum ersten Mal nach dem Champions-League-Triumph von Berlin 2015. Im Hinspiel hatte er gegen Liverpool geglänzt, in Liverpool war er so allein wie sonst nur mit Argentiniens Nationalelf, so dass das 3:0 vom Camp Nou sich als einer der sterilsten Siege der Fußballgeschichte entpuppte. Nun wird Messi am 1. Juni das Finale von Madrid am TV schauen müssen. Es heißt, er habe in der Kabine geweint.

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