FC Barcelona:"Niemand ist unverzichtbar"

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Am Ende seiner Kunst - zumindest in dieser Saison: Auch Lionel Messi ging in Lissabon unter. (Foto: Manu Fernandez/dpa)

Der FC Barcelona steht vor einem kolossalen Umbruch. Präsidium, Trainer und die halbe Mannschaft müssen gehen. Das große Rätsel: Was wird aus Messi?

Von Javier Cáceres, Lissabon

Wenn sich an diesem Montag die Führung des FC Barcelona um elf Uhr zu einer außerordentlichen Präsidiumssitzung trifft, wird eine Meldung keine Überraschung mehr sein: dass der seit Januar amtierende Trainer Quique Setién von seinen Aufgaben entbunden wird. Auch Sportdirektor Eric Abidal dürfte sich mit der Suche nach einem neuen Job beschäftigen müssen. Tatsache ist, dass die 2:8-Niederlage gegen den FC Bayern München vom Freitagabend, die schlimmste Pleite der Klubgeschichte, ein Beben auslöste, das alle Seismografen gesprengt hat. Und dass dieser weltberühmte Klub an einer Wegscheide steht. "Ausnahmezustand", gellte die Zeitung Sport, und El País sieht Tage im Anflug, in denen sich entscheidet, ob der FC Barcelona den Weg des FC Bayern geht und zu einem stabilen Gebilde mutiert. Oder in der Bedeutungslosigkeit verschwindet wie der AC Mailand, der einst den Weltfußball so revolutionierte und dominierte, wie dies dem FC Barcelona in den vergangenen 15 Jahren gelungen war.

"Més que un club", lautet das Motto des Klubs: mehr als ein Verein. Nun hat er "més que una derrota" erlitten, mehr als eine Niederlage. Die historische Demütigung, der die Spieler am Ende beiwohnten wie Schlafwandler, war das eine. Das andere ist die Kulisse, vor der sich die Niederlage vollzog: am Vorabend der ursprünglich für 2021 vorgesehenen Präsidentenwahlen, die man im Lichte der allumfassenden Krise vorziehen müsste, aber nicht so einfach kann, allein schon wegen der Pandemie, die eine Urwahl erschwert. Gleichzeitig wirkt die Corona-Krise wie ein Brandbeschleuniger für die Geldprobleme Barcelonas. Der Klub ist hochverschuldet, hat nun akute Liquiditäts-Probleme und muss trotzdem den bestbezahlten Kader der Welt dringend erneuern.

In den Medien kursieren die ersten schwarzen Listen, es liest sich, als würden der frühere Schalker Ivan Rakitic, der ehemalige Bayern-Profi Arturo Vidal und der aktuell an die Münchner verliehene Brasilianer Coutinho einem Ruf zum Opfer fallen, den man so allenfalls aus der argentinischen Staatskrise von 2001 kannte: "Que se vayan todos!" - alle sollen verschwinden, skandierten damals die Menschen auf den Barrikaden. Die Zeitung Sport kam immerhin auf vier "Unberührbare": DFB-Torwart Marc-André ter Stegen, Verteidiger Clément Lenglet, Mittelfeldspieler Frenkie de Jong und natürlich Lionel Messi. Doch vom bewährten Allheilmittel ist Messi zum Teil des Problems mutiert.

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Die Niederlage gegen die Bayern, sie kam nicht aus dem Nichts - sondern fußte auf einem der größten Erfolge der Vereinsgeschichte - dem Triple-Erfolg von 2015. Schon danach hatte es desaströse Pleiten in der Champions League gegeben, gegen Rom (0:3), Paris St. Germain (0:4) oder den FC Liverpool (0:4). Man konnte sie allesamt als schrille Warnsignale deuten. Doch sie wurden überhört.

Von Johan Cruyff, der Klubikone, stammt der Satz, dass man Spielerverträge nicht auf der Basis vergangener Meriten verlängern dürfe, sondern nur aufgrund der Dinge, die sie einem in der Zukunft bieten können. Das war die Folie, vor der Cruyffs gelehrigster Schüler, Pep Guardiola, 2011 erklärte, dass er gehe, "weil man sonst einander wehtun müsse". Sprich: Spieler ausmustern, die er schätzte. Und bei Barça geschah das Gegenteil, aus Dankbarkeit des Klubs, aber auch wegen des großen Einflusses von Lionel Messi.

Er fordert zwar schon seit längerem frisches Blut. Gleichzeitig hat er Neuerungen auch blockiert oder die Dekadenz nicht verhindert. Dass Spieler wie Jordi Alba, Luis Suárez oder Arturo Vidal zu seinen Freunden zählen, schlägt auch auf die Personalpolitik durch: Alba zum Beispiel, heute 31, verlängerte 2019 seinen üppig dotierten Vertrag bis 2024. Also bis ins fußballerische Rentenalter hinein. Die Notwendigkeit einer Rundumerneuerung ist so eklatant und offensichtlich, dass Innenverteidiger Gerard Piqué, 33, sie einforderte, als er nach dem 2:8 gegen Bayern noch in kurzen Hosen auf dem Platz stand und vom Fernsehen interviewt wurde. "Strukturell braucht die Mannschaft, braucht der Klub alle möglichen Veränderungen. Niemand ist unverzichtbar. Wenn neues Blut kommen muss, um die Dynamik zu ändern, bin ich der Erste, der geht. Denn jetzt sind wir wirklich am Boden angekommen."

Zieht es Messi wirklich zu Inter Mailand?

Ob Messi da weiter- und mitrobben will? Das ist eine Frage, die man sich in Barcelona durchaus stellt. Bislang galt als sicher, dass er die unselige Tradition des Klubs durchbrechen würde - und dem Verein bis ans Ende der Karriere treu bleiben werde. Cruyff, Maradona, Schuster, Ronaldo, Ronaldinho - sie alle gingen durch das kleine, nicht das große Tor des Stadions. Seit Wochen ertragen die Fans des FC Barcelona eine Art chinesischer Wasserfolter, denn aus Italien tropft auf ihre Köpfe fast schon täglich das Gerücht, Inter Mailand könnte Messi mit irrwitzigen Gehaltszahlungen in die Lombardei locken. Messis Vater hat sich eine Luxuswohnung in Mailand gekauft; Messi soll in Laufnähe eine Luxusdachgeschosswohnung erworben haben. Nur Sommerloch-Fantasien?

Messi selbst hat sich nicht zu Wort gemeldet, aber er wird sich überlegen, ob er eine Perspektive sieht. Nur: Wer tut sich das an? Spätestens 2021 kommt ein neuer Präsident, bei der Wahl durch die Mitglieder ist nicht selten entscheidend, welcher Trainer mitgebracht wird. Zurzeit wird der Argentinier Mauricio Pochettino gehandelt. Er wies bei Tottenham Hotspur gute Arbeit nach, 2019 führte er die Londoner ins Champions-League-Finale. Ihm haftet aber der Makel an, dass er beim verfemten Nachbarn Espanyol Barcelona als Legende gilt und nicht nur mit Real Madrid kokettiert, sondern auch noch gesagt hat, er würde "lieber zurück auf meine Ranch gehen", als Barça-Coach zu werden.

Ronald Koeman, seit seinem Tor im Champions-League-Finale von 1992 eine Barça-Legende, steht beim niederländischen Verband unter Vertrag. Xavi Hernández, derzeit Trainer in Katar, liegt mit dem aktuellen Präsidium über Kreuz und würde nur ungern Aufräumarbeiten übernehmen; mit vielen aktuellen Barça-Profis hat er noch zusammengespielt. Ausgeschlossen ist eine Rückkehr von Pep Guardiola, sein Kontrakt bei Manchester City läuft bis 2021. Vielleicht fällt daher am Ende die Wahl auf einen Außenseiter wie den Argentinier Marcelo Gallardo (River Plate) oder Francisco Javier García Pimienta. Er ist Trainer von Barças zweiter Mannschaft.

© SZ vom 17.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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