Süddeutsche Zeitung

FC Barcelona:Juwelen aus dem Steinbruch

Kein Krafttraining, keine Dauerläufe, Technik pur: Die Jugendarbeit von Stuttgarts Champions-League-Gegner FC Barcelona ist einzigartig.

Ronald Reng, Barcelona

Nichts passt Männern wie Albert Benaiges besser als ein Trainingsanzug. Bei jedem Schritt, den der Jugendkoordinator des FC Barcelona macht, bebt der kugelrunde Bauch. Er ist in den Fünfzigern, hat fleischige Arme, riesige Hände, silberfarbene Haare. Gerade trainiere die Elf der 13-Jährigen, sagt er, dort sei zu erkennen, was Barças Jugendarbeit so einmalig macht. Aber wenn man etwas vorführen will ... "Wo ist der Trainer?", staunt Benaiges. Der Trainer der Jungen ist mit der katalanischen Schülerauswahl unterwegs. "Ja, gut, aber der Assistenztrainer?" Krank - stellt sich heraus. Orientierungslos stehen die Buben herum. Er wird einen anderen Trainer holen, sagt Benaiges, und schickt, um Zeit zu gewinnen, die 13-jährigen erst einmal zum Laufen. Dann erklärt er die Gebote Barças. "Bei uns laufen die Kinder nie", sagt er, während die Kinder Runde um Runde vorbeilaufen. Aber dann kommt der Aushilfstrainer, das richtige Training beginnt, und bald stimmt das Bild mit den schönen Worten des Jugendkoordinators überein.

Bojan Krkic, 17, und Giovani dos Santos, 19, sind die neuesten Sternchen

Partien wie an diesem Mittwoch in der Champions League zwischen Barça und dem ausgeschiedenen VfB Stuttgart werden genutzt, um der Jugend eine Chance zu geben. Doch bei Barça gilt das Spiel eher als Rehabilitation für jüngst verletzte Stars wie Samuel Eto'o oder Deco. Denn die Jugend spielt ohnehin schon regelmäßig mit. Die Stürmer Bojan Krkic, 17, und Giovani dos Santos, 19, sind die neuesten, im Klub groß gezogenen Sternchen. Zehn Spieler in Barças Profiteam - vom einzigartigen Leo Messi über die Mittelfeldgeneratoren Andrés Iniesta und Xavi bis zu Kapitän Carles Puyol - stammen aus der eigenen cantera, dem Steinbruch, wie die Jugendabteilung in Spanien heißt. Das ist im Spitzenfußball ein einmalig hoher Anteil. Mehr als 30 aktuelle Erstligaspieler, darunter Juwelen wie Arsenals Francesc Fàbregas, zogen zudem aus der Barceloneser Schule in die Welt. Es ist die gern übersehene Seite Barças, wenn Bundesliga-Manager jammern, Klubs wie der Champions-League-Sieger 2006 seien erfolgreicher, weil sie so viel mehr Geld hätten.

"Barças Ansatz ist anders als der von fast allen anderen Klubs", sagt der ehemalige Profi Jordi Cruyff, der eines von Barças ersten Steinbruchkinder war und etwas von der Ausbildung verstehen sollte: Sein Vater Johan Cruyff initiierte sie, als er 1988 Trainer Barças wurde. "Es interessiert hier nicht, wie kräftig ein Junge ist, wie lange er rennen kann. Es interessiert nur: was kann er mit dem Ball. Darauf ist die ganze Ausbildung ausgerichtet: technisch einmalige Spieler hervorzubringen." Die 13-jährigen absolvieren nun eine Trainingspartie. Sie benutzen dazu nur ein Drittel des Felds: 20 Spieler auf 30 Metern. Das ist das Credo ihrer Ausbildung: zu lernen, auf minimalem Raum zu spielen. Später bei den Profis wird es auch nicht anders sein. "Bis die Spieler 16 sind, gehen sie bei uns kein einziges Mal in den Kraftraum, machen sie keinen Dauerlauf, kein Zirkeltraining", sagt Benaiges. "Am Ball verbessern sie alles, Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer - sie merken es nur nicht, weil sie immer an den Ball denken."

Viele Klubs reden von ihrer "Philosophie". Wenige wissen, was das ist. Barça aber hat seinen Stil. Präzises, schnelles Kurzpassspiel ist der Richtwert. Weshalb sie für die Jugendteams quasi nie nach Verteidigern suchen; Offensivspieler sind flinker, technisch beschlagener. Einige werden dann bei Barça zu flinken, technischen Abwehrkräften umgeschult. Die Besessenheit mit dem eleganten Spiel hat einen kuriosen Nebeneffekt: Barça bringt viele kleine Profis hervor. "Letztens war Iniesta hier", sagt Benaiges. "Da sagte ich zu ihm: ,Hör mal, du Winzling, du siehst aber nicht aus wie ein Fußballer.'" 1,69 Meter misst Iniesta, einen Zentimeter mehr als Xavi, sein Partner in Barças "Mittelfeld der Zwerge". "Barça lehrt, nicht kräftig, sondern intelligent zu sein", sagt Jordi Cruyff.

Diese Ausbildung ist nicht nur der Vernunft geschuldet, sondern auch einer Verbohrtheit: dem katalanischen Nationalismus. Barça sei Kataloniens Armee ohne Waffen, dichtete der Schriftsteller Vázquez Montalbán. So lastet der Druck auf der Jugendschule, gute, katalanische Fußballer zu produzieren. Gut erzogen sollen sie, nebenbei, auch noch sein. Weshalb Benaiges plötzlich hinter eine Hecke tritt. Das Team der Elfjährigen kommt vorbei. "Wir lehren sie, die Trainer mit Handschlag zu begrüßen", flüstert Benaiges. "Deshalb ist es manchmal besser, sich zu verstecken, damit ich nicht schon wieder 20 Hände schütteln muss."

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SZ vom 12.12.2007/lsp
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