Süddeutsche Zeitung

3:3 gegen Inter Mailand:Es sieht zappenduster aus für Barcelona

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Skurrile Löcher in der Defensive, ein frustrierter Coach und die Europa League vor Augen: Ein Aus in der Champions League würde dem gebeutelten Klub einen großen Rückschlag bescheren - auch wirtschaftlich.

Von Jonas Beckenkamp

Als den FC Barcelona das nächste Leid heimsuchte, sah es kurzzeitig so aus, als würde ein Deutscher den Katalanen den K.-o.-Schlag verpassen. Robin Gosens aus Emmerich am Rhein hatte kurz vor Schluss das 3:2 für Inter Mailand in dieser Champions-League-Keilerei erzielt, da war Barça quasi ausgeschieden. Raus in der Vorrunde, so wie im vergangenen Jahr - eine Fatalität, die sie im Camp Nou kaum ertragen können.

Doch zum Vollzug dieser Demütigung kam es nicht, und das lag an Robert Lewandowskis Kopfballtreffer zum 3:3 in der Nachspielzeit - Entscheidung vertagt, die Dramatik der Partie ließ trotzdem reihenweise blasse Gesichter im Stadion zurück. Denn es sieht auch so zappenduster aus für den FC Barcelona, der in Person von Trainer Xavi ein niederschmetterndes Fazit hinnehmen musste: "Es ist brutal für uns", fand der Coach, der früher selbst manches erlebt hat auf dem Spielfeld. Aber solche Tölpeleien in der Defensive?

Da dürfte er sich schwertun in seinen Erinnerungen. "Wir haben in der ersten Halbzeit gut gespielt und hätten mehr verdient gehabt", erklärte Xavi, der noch versuchte, sein Team zu schützen. Die eigenen Unpässlichkeiten jedoch sprach er mit jener Klarheit an, die früher sein Passspiel auf dem Platz auszeichnete.

Ohne mehrere Glanztaten von Keeper Marc-André ter Stegen wäre es Barcelona noch schlimmer ergangen

"Wir haben viele Fehler gemacht und haben es selbst aus der Hand gegeben", monierte der 42-Jährige, "und dann verdienst du es auch nicht. weiterzukommen." Was ihn am meisten plagte: Barças Schicksal hängt nun allein von Inter ab - gewinnen die Italiener eines ihrer beiden verbleibenden Duelle gegen Viktoria Pilsen und den FC Bayern, blüht Barcelona wieder eine Schmährunde durch die Niederungen der Europa League. Besonders angesprochen von Xavis Analyse durften sich die Innenverteidiger Gerard Piqué und Eric García fühlen, die bei den Treffern zum 1:1 durch Inters Dauermotor Nicolò Barrella (50. Minute) und zum 1:2 durch Lautaro Martínez (63.) skurril anmutende Aussetzer präsentierten. Da half es auch nichts, dass Ousmane Dembélé zunächst das 1:0 (40.) erzwungen hatte.

Barças Defensivleute gewährten ihren Gegenspielern Räume wie unter akuten Abstandsregeln zu Pandemiezeiten. Und das nicht nur bei den Gegentreffern. Ohne mehrere Glanzaktionen von Keeper Marc-André ter Stegen (darunter eine in letzter Sekunde, kurz nach Lewandowskis spätem Ausgleich) wäre Barcelona wohl arg versohlt aus der Arena gehumpelt. "Enttäuschend", beschrieb Kapitän Sergio Busquets das Geschehen, er selbst hatte mit einem Ballverlust ebenfalls ein Gegentor mitverursacht.

Barcelona gab 143 Millionen für Zugänge aus - und scheidet trotzdem wohl in der Vorrunde aus

"Eine schwierige Gruppe" sei das mit den Schwergewichtsgegnern Bayern und Inter, die deutlich gefestigter wirken als Barcelona mit ihrer "letzten Hoffnung auf ein Wunder", wie es die Zeitung Marca umschrieb. Schonungslos zählen die Experten nun wieder die Investitionen des hoch verschuldeten Klubs auf: geschätzte 143 Millionen Euro allein in dieser Saison für Zugänge wie Lewandowski, den Brasilianer Raphinha (der ausgewechselt wurde) oder Sevillas Verteidiger Jules Koundé (der verletzt fehlte), dazu ein Kader und ein Umfeld mit utopischen Ambitionen.

"Mit all den Neuen im Team hätten wir es besser machen müssen", haderte Busquets, dessen Fitness und Zweikampfgeschick im Zentrum mit 34 nachzulassen scheinen. Aufgeben werde man zwar nicht, eine kleine Chance bestehe schließlich noch, "aber es wird jetzt sehr schwer, weil wir nicht mehr nur von uns abhängig sind". Was das Aus für ein Desaster für den Klub wäre, liegt auf der Hand: Barcelona wirtschaftet auf Pump, der Erfolg muss eher jetzt sofort als übermorgen her, die Ungeduld zerschießt jegliche Projektplanung im Langfristbereich.

Mehr als 21 Millionen Euro würden dem Verein bei einem Scheitern entgehen. Um der Schuldenberge (angeblich um die 1,35 Milliarden Euro) irgendwie Herr zu werden, erwartet Barça in dieser Spielzeit schwindelerregende 1,255 Milliarden Euro an Einkünften, der Gewinn soll bei 274 Millionen Euro liegen, wie die Klubführung kürzlich bekannt gab. Der Verkauf von TV- und Marketing-Rechten war zuletzt der einzige Weg, die Zahlen etwas zu begradigen. Das Leid ist indes nicht nur ökonomischer Natur - auch sportlich wirft es den FC Barcelona derzeit akut aus der Bahn. Und am Sonntag steht auch noch der Clásico bei Real Madrid an. Wobei: In der Liga ist Barcelona Tabellenführer mit gerade mal einem Gegentor.

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