Süddeutsche Zeitung

Fußball in Spanien:1210 Euro für den Kurzarbeiter Messi

  • Der Etat des FC Barcelona war schon von der Corona-Krise auf Kante genäht.
  • Nun sucht der Klub nach Auswegen aus der finanziellen Misere.

Von Javier Cáceres

In einer in jeder Hinsicht vormaligen Zeit, die aber noch gar nicht so lange her ist, durchbrach der FC Barcelona eine Schallmauer - am 19. September 2019, um genau zu sein. Óscar Grau, Exekutivdirektor des spanischen Meisters, verkündete voller Stolz Zahlen, die einen Weltrekord "für einen Sportverein" bedeuteten. Der Etat des Vereins für die zumindest buchhalterisch noch laufende Saison werde sich auf mehr als eine Milliarde Euro belaufen, präzise: auf 1047 Millionen Euro.

190 Tage später schlottern, wie in Barcelona zu hören ist, den Verantwortlichen die Knie. Auch der Klub des mehrmaligen Weltfußballers Lionel Messi ist schwer getroffen von der Coronakrise.

In Spanien ist diese Krise so dramatisch, dass sich die nationale Fußballföderation RFEF und der Ligaverband LFP auf eine neue Sprachregelung geeinigt haben: Statt wie vor wenigen Tagen noch von einem fixen Termin zu sprechen, an dem der Ball wieder rollen soll, hat man sich nun ausdrücklich in die Hand der Regierung begeben: Die Primera División werde ruhen, bis die Behörden den Neustart erlauben, hieß es am Montag. Am Mittwoch übertraf die Zahl der Coronatoten in Spanien (3434) bereits die Opferzahlen aus China. In Madrid, der mit Abstand am heftigsten geprügelten Stadt, soll bald eine Eishalle als Leichenschauhaus herhalten. Auch Barcelona erlebt Tage der Hölle.

Viele von Barcelonas Geldquellen versiegen

Schon am Freitag hatte sich das Präsidium des FC Barcelona getroffen und sich danach bemüht, die Mitglieder zu beruhigen. Man habe sich "diversen Szenarien und möglichen Maßnahmen angenähert - mit dem Ziel, alle wirtschaftlichen Betroffenheiten zu minimieren", hieß es. Wie das gelingen soll? Gute Frage.

Der FC Barcelona ist anders als die meisten Klubs in Spanien keine Sportaktiengesellschaft, sondern wie Real Madrid und Athletic Bilbao ein Mitgliederverein geblieben. Einen schwerreichen Eigentümer wie bei Paris St. Germain oder Manchester City, der bei Bedarf Geld nachschießen könnte, gibt es nicht. Barcelona ist angewiesen auf Zuschauereinnahmen, Prämien aus der Champions League und TV-Gelder. Doch die entfallen ohne Spiele.

Auch andere Quellen sind versiegt, zum Beispiel die Einnahmen durch das Vereinsmuseum, das zu den bestbesuchten der Stadt gehört, nicht zuletzt, weil es eine Stadionführung im Camp Nou umfasst. Allein diese Erlöse beliefen sich im Vorjahr auf 60 Millionen Euro. Die Fanshops mit den weltweit gefragten Merchandisingartikeln des Klubs brachten sogar 86 Millionen ein - auch sie sind nun geschlossen.

Die hohen Ausgaben aber bleiben, weitgehend jedenfalls. Das bedeutet für Barcelona einen Stresstest sondergleichen, der zu Spekulationen führt. Die Zeitung Sport sprach am Mittwoch von einer Liste möglicher Verkaufsobjekte: Ivan Rakitic, Arturo Vidal, Samuel Umtiti und der an Bayern München verliehene Coutinho stehen angeblich zur Disposition.

Der größte Posten beim FC Barcelona sind die Personalkosten. Sie waren in den vergangenen Jahren merklich heruntergeschraubt worden - vor zwei Jahren lagen sie noch bei einem Anteil von 70 Prozent der Gesamtausgaben, jetzt sollen sie immer noch 61 Prozent betragen. Dennoch war der Etat des Klubs schon vor der Krise auf Kante genäht, wie sich im vergangenen Sommer zeigte: Um den Transfer von Weltmeister Antoine Griezmann zu stemmen - es flossen dabei 120 Millionen Euro an Atlético Madrid -, musste vom Verein ein Kredit aufgenommen werden.

In den vergangenen Tagen hat sich Klubchef Josep María Bartomeu mit dem Mannschaftsrat in Verbindung gesetzt und um einen freiwilligen Gehaltsverzicht geworben. "Ich habe das den Verantwortlichen des FC Barcelona, aber auch anderer Vereine geraten", sagte dazu José María Gay de Liébana, Ökonom an der Universität Barcelona. Lokalen Medien zufolge soll Bartomeu bei Messi und Co. auf offene Ohren gestoßen sein.

Am Donnerstag berichtete die Zeitung As allerdings, der Mannschaftsrat habe die Kürzungen vorerst abgelehnt. Zuvor war berichtet worden, dass die Spieler zwar generell zu Verzicht bereit seien, allerdings nicht in der vom Klub vorgeschlagenen Höhe. Die Rede ist von einem 70-prozentigen Gehaltsverzicht - vorübergehend, also für die Dauer des faktischen Betätigungsverbots. Laut As beträfe dies aber nur einen Teil der Bezüge, das offizielle Gehalt. Dies dürfte sich bei den meisten Profis nur im fünfstelligen Bereich bewegen, auch bei Topverdienern wie Messi, der 50 Millionen Euro netto einstreichen soll. Der Großteil fließt für die Leistungen als Lizenzspieler, Bildrechte und Prämien - und der Bereich bleibe unangetastet, heißt es, vorerst jedenfalls. Dies könnte sich jedoch nach einem großen Kassensturz des Vereins ändern. Der Klub bestätigte nur, dass diverse Modelle geprüft werden.

Hintergrund ist: Barcelona will offenbar Kurzarbeit beantragen. Die spanische Liga LFP hat bereits allen Klubs zugesichert, sie diesbezüglich rechtlich beraten zu wollen. Das könnte auch die Fußballprofis betreffen. Jesús Cruz, Arbeitsrechtler der Universität Sevilla, geht davon aus, dass Profivereine für ihre gesamte Belegschaft Kurzarbeit beantragen können.

Die Kurzarbeit-Regelungen sind in Spanien etwas anders als in Deutschland, erklärt Cruz. Die Unternehmen können, unter anderem wenn "höhere Gewalt" vorliegt, die Arbeitszeit reduzieren oder die Arbeitsverträge zeitweise aufheben. Die Bediensteten haben damit sofort Anspruch auf Arbeitslosengeld; der Arbeitnehmer ist dann nicht mehr verpflichtet ist, in die Sozialversicherungskassen einzuzahlen.

Für einen gigantischen Verein wie den FC Barcelona ist das eine relevante Größe: Man hat 1300 Festangestellte weltweit, Sozialversicherungszahlungen und Arbeitslosengeld sind gedeckelt. In gesetzliche Sozialversicherungen werden (für Messi und Co.) maximal 6000 Euro abgeführt; das monatliche Arbeitslosengeld beläuft sich für Ledige auf monatlich maximal 981 Euro. Messi wäre ein wenig besser gestellt: Weil er drei Kinder hat, käme er auf 1210 Euro. Belustigend? Im Falle Messis kann man das (unter Ausblendung realer Ansprüche) so sehen.

Aber es wirft ein Schlaglicht darauf, was für ein soziales Drama in Spanien droht - auch für Angestellte des FC Barcelona, zu denen auch Ticketkontrolleure, Telefonisten, Putzkräfte zählen. Ganz abgesehen von der realen Gesundheitsgefahr: Ramón Canal, Chefmediziner des FC Barcelona, liegt mit Corona im Krankenhaus.

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SZ vom 26.03.2020/tbr
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