Süddeutsche Zeitung

FC Augsburg:Vom Schlurfer zum Sprinter

Florian Niederlechner verkörpert wie kein Zweiter den Augsburger Stil.

Von Sebastian Fischer

Er hatte gesehen, dass der Torwart unsicher wirkte, er hatte es schon zweimal versucht, also sprintete er ein drittes Mal auf ihn zu. Es muss weh getan haben, als Florian Niederlechner mit Rune Jarstein zusammenstieß, dem Torhüter von Hertha BSC. Niederlechner blieb danach jedenfalls erst mal liegen. Aber er hatte den Ball gewonnen, das Tor für seinen Mitspieler Sergio Cordova vorbereitet und eine rote Karte für Jarstein provoziert, der Cordova beim Torschuss foulte. Und Niederlechner hatte damit gezeigt, wie gut seine größte Stärke derzeit zum FC Augsburg passt.

"Das ist mein Spiel, ganz klar", sagt er zu jener Szene beim 4:0 gegen Hertha BSC vor zwei Wochen, die Trainer Martin Schmidt in der Videoanalyse ausdrücklich lobte, weil sie exemplarisch sein soll für den Augsburger Stil, den Gegner aggressiv anzulaufen. Vor der Begegnung mit Mainz 05 an diesem Samstag hat Niederlechner sechs Tore geschossen und zwei vorgelegt. Er widerspricht nicht, wenn man ihn fragt, ob er gerade, mit 29, vielleicht so gut sei wie nie.

Die Saison des FC Augsburg ist nach einem schwachen Start eine vorerst solide. Die im Sommer konfuse Defensive hat an Sicherheit gewonnen. Torhüter Tomas Koubek passieren zwar immer noch Fehler wie beim 1:1 in Köln am vergangenen Samstag, aber er hat auch schon wichtige Bälle gehalten. Kapitän Daniel Baier, 35, macht es gerade so viel Spaß, dass er sein Karriereende weiter in die Zukunft verschoben hat. Und für die Offensive, die immerhin in elf von 13 Spielen für mindestens ein Tor gut war, steht kein Spieler derart wie Niederlechner, der immer von Beginn an spielte, zuerst als Mittelstürmer und zuletzt als hängende Spitze, so viele Minuten wie kein anderer Feldspieler. Wenn man ihn fragt, dann ist seine Geschichte die einer Heimkehr zur richtigen Zeit. "Als Stürmer passiert viel im Kopf", sagt er. "Da bin ich momentan sehr gut."

"Ich war noch nicht so weit"

Niederlechner, geboren in Ebersberg bei München, einst ausgemustert in der B-Jugend beim TSV 1860, der erst mit 20, als ausgebildeter Industriekaufmann, zum Drittligisten SpVgg Unterhaching in den Profifußball wechselte, war schon mal Spieler unter Schmidt. 2015 ging er aus Heidenheim nach Mainz. "Ich war noch nicht so weit", sagt er heute, nach einem halben Jahr wechselte er zum SC Freiburg, zunächst in die zweite Liga. Dort sei er zu dem Fußballer geworden, der er jetzt ist.

Trainer Christian Streich machte aus dem Stürmer, der zu Beginn seiner Zeit im Erwachsenenfußball, in der Landesliga bei Falke Markt Schwaben, noch mit einem eher schlurfenden Laufstil aufgefallen war, einen auf das Spiel gegen den Ball spezialisierten Athleten. Gerade ist er in der Bundesliga unter den Top 50 der Profis mit den meisten Sprints. Und man kann sich keinen Verteidiger vorstellen, der sich freut, wenn Niederlechner, 1,87 Meter groß und bullig, auf ihn zu rennt. Der Fußball, den Schmidt in Augsburg sehen will, Pressing und schnelles Umschalten, "ist genau mein Spiel", sagt Niederlechner.

Er war einer der ersten Augsburger Transfers in diesem Sommer. Schon in den ersten Wochen, als sich in den Testspielen ein schwieriger Saisonstart abzeichnete, war ihm die Freude über die Rückkehr nach Bayern anzusehen. "Meine Freunde kommen jedes Spiel, Onkel, Tanten, meine Eltern und mein Bruder sowieso", sagt Niederlechner, seit Sommer Vater eines Sohnes. Neulich, zum Derby gegen 1860, ist er auch mal wieder nach Unterhaching gefahren. "Wenn man Bundesliga spielen kann und dann noch so in der Nähe von daheim, das ist natürlich ein Traum."

Nach dem siebten Spieltag, an dem der FCA chancenlos mit 1:5 in Mönchengladbach verlor, hatte Niederlechner schon vier Tore geschossen. "Ich habe immer versucht, positiv zu sein", sagt er, und damit war er zwischenzeitlich vielleicht in der Minderheit in der Augsburger Kabine. "Ich glaube, dass das ganz wichtig war." Er habe auch das Gespräch mit Michael Gregoritsch gesucht, der jüngst seinen Frust über seine Rolle als Ergänzungsspieler und seinen Wechselwunsch im Winter in einer Wutrede öffentlich machte, suspendiert wurde und inzwischen wieder mit der Mannschaft trainiert. Er habe dem "Gregerl" gut zugeredet, sagt Niederlechner.

In Köln traf Niederlechner wieder nach Vorlage von Max

Bei der inflationären Anzahl an Vereinswechseln im Fußball, selbst bei einem Klub wie Augsburg, ist der Transfer Niederlechners schon ein besonderer, so passend scheint er für beide Seiten zu sein. Drei von sechs seiner Tore hat Linksverteidiger Philipp Max vorbereitet, mit dem er einst in Taufkirchen zur Schule ging und befreundet ist. "Macht richtig Bock, wenn du so einen über außen hast, der die Dinger so reinschlägt", sagt er. Gegen Berlin passte Max beim Freistoß den Ball an der Mauer vorbei, Niederlechner traf aus spitzem Winkel zum 4:0. "Ich habe ein bisschen was angezeigt und gehofft, dass er's gecheckt hat." Er checkte es. In Köln traf Niederlechner wieder nach Vorlage von Max.

Es ist gerade natürlich längst nicht alles gut beim FCA, "wir haben oft Situationen, in denen wir gut pressen, dann spielen wir's nicht sauber aus", sagt Niederlechner, das Spiel gegen Mainz könnte richtungsweisend sein. Vielleicht wird es auch für ihn nicht so leicht weitergehen, in Freiburg war er am Ende kein Stammspieler mehr. Vielleicht wird sich die Verletzung von Stürmer Alfred Finnbogason noch bemerkbar machen. Gerade aber beschreibt es Augsburgs Fußball gut, wie Niederlechner nach dem Spiel gegen Berlin im Kabinengang stand: müde, zufrieden, mit zerrissenem Stutzen.

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Quelle:
SZ vom 06.12.2019
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