FC Augsburg:"Ich teile aus und stecke ein"

GER 1 FBL Werder Bremen vs FC Augsburg 01 09 2019 wohninvest WESERSTADION Bremen GER 1 FBL; Fußball - Bundesliga - FC Augsburg - Lichtsteiner

Stephan Lichtsteiner, hier vor seinem Platzverweis in Bremen, spielte vor dem FC Augsburg für die Grasshopper Zürich, OSC Lille, Lazio Rom, Juventus Turin und den FC Arsenal.

(Foto: imago)

Stephan Lichtsteiner über sein Image als Connaisseur des dreckigen Spiels, seine ruhmreiche Karriere in Italien und England, die Motivation für seinen Wechsel zum FC Augsburg im Sommer - und die Herausforderung, sich auf Fußball im Abstiegskampf einzustellen.

Interview von Sebastian Fischer

Als der FC Augsburg kurz vor dem Ende der Transferphase im Sommer die Verpflichtung von Stephan Lichtsteiner für eine Saison bekannt gab, war das eine erstaunliche Nachricht. Lichtsteiner, 35, hat die vergangenen Jahre auf den großen Bühnen des Fußballs verbracht, mit Juventus Turin gewann er siebenmal die Meisterschaft und stand zweimal im Champions-League-Finale, 2018 wechselte er zum FC Arsenal. Der Schweizer gilt in seiner Heimat als einer der erfolgreichsten Fußballer der Geschichte und ist seit Kurzem auch wieder Kapitän in der Nationalmannschaft, für die er 105 Spiele bestritten hat. Und nun Augsburg?

Lichtsteiners Start in der Bundesliga war ein schwieriger. Die Viererkette in der Besetzung mit ihm auf der rechten Seite wird am Samstag beim SC Paderborn (15.30 Uhr) erst zum achten Mal zusammenspielen. Sie agierte in den Vorwochen noch häufig fehlerhaft. Lichtsteiner sah einmal Gelb-Rot. Beim 2:3 am vergangenen Wochenende gegen den FC Schalke erzielte er ein Eigentor. Das Gespräch in der Loge des Augsburger Stadions führt er bisweilen so bissig, wie es auch seinem Ruf auf dem Platz gerecht wird. Auch im Training, heißt es, braust Lichtsteiner manchmal auf, wenn der Ball Zentimeter im Aus war und die Kollegen weiterspielen.

SZ: Herr Lichtsteiner, Martin Schmidt hat neulich über Sie gesagt: "Man weiß, dass er schnell auf 100 ist. Aber er wird auch viel provoziert und springt darauf an." Wie kann man Sie provozieren?

Stephan Lichtsteiner: Eigentlich gar nicht. Ich sehe das nicht so extrem. Ich bin ein Spieler, der immer Gas gibt und alles gibt für den Erfolg.

Schmidt sagte das, nachdem Sie in Ihrem zweiten Bundesligaspiel gegen Bremen in der ersten Halbzeit mit Gelb-Rot vom Platz geflogen waren - und in Ihrem vierten Spiel wieder vor der Pause Gelb sahen. Pfeifen die Schiedsrichter in der Bundesliga nach Ihrem Geschmack zu kleinlich?

Es gibt sehr schnell Gelb in der Bundesliga, das ist schon so. Es gehört ein bisschen zum Leben eines Verteidigers, dass er schneller Gelb bekommt, aber das muss man sich als Schiedsrichter schon auch anschauen. Was habe ich jetzt? Acht Bundesligaspiele und drei gelbe Karten, aber über zehn Fouls habe ich nicht (sieben, Anm. d. Red.). Aber darauf muss ich mich einstellen. Andere Länder, andere Sitten.

Sie sind aber auf dem Platz schon auffällig oft da, wo was los ist. Werden Sie tatsächlich provoziert?

Das gehört dazu und daran habe ich mich gewöhnt. Man teilt aus, muss aber dann auch einstecken können.

Das englische Magazin "Midfieldgeneralities" schrieb über Sie: "Wenn ein Fußballspiel so etwas ist wie ein Streit, dann ist Lichtsteiner ein Weltklasse-Spieler. Er ist ein Mistkerl nach intellektuellem Geschmack, ein Connaisseur des dreckigen Spiels. Er ist auf dem Platz permanent in einem Zustand lebendiger Empörung." Können Sie sich damit identifizieren?

Die Engländer sind manchmal speziell mit ihren Ansichten. Ich gebe alles für den Erfolg, aber ich sehe mich nicht als Dreckskerl. Wie schon gesagt: Ich teile aus und stecke ein. Trotzdem denke ich, dass ich nicht wirklich viele Karten kriege.

124 gelbe Karten in 609 Vereinsspielen, vier gelb-rote Karten, keine rote.

Das ist nicht wirklich viel als Verteidiger, der auch mal ein taktisches Foul machen muss und oft in Zweikämpfe verwickelt ist.

Was sind denn dann Ihre charakteristischen Mittel als Verteidiger - wenn es Ihrer Meinung nach nicht das hochklassig-giftige Spiel ist, das seit Jahren Ihr Image in der Fußball-Öffentlichkeit definiert?

Das ist schwer zu sagen, es kommt auf die Taktik an. Beim 2:2 gegen Bayern am achten Spieltag zum Beispiel: Da entstehen immer Drei-gegen-zwei- oder Zwei-gegen-eins-Situationen. Als Verteidiger musst du dich entscheiden zwischen zwei Gegenspielern. Meistens nimmst du den, der direkt aufs Tor laufen kann. Du lässt den breiten weg, weil er im ersten Moment nicht gefährlich ist. Und dann kommst du erst raus, wenn er den Ball bekommt, hast das Eins-gegen-eins gegen schnelle Spieler wie Coman und Gnabry. Da muss man sich anpassen können. Bayern spielt über Jahre über die Flügel. Aber es gibt andere Vereine, da kannst du nicht vor dem Spiel sagen: Das ist deren Konzept.

Und was machen Sie dann?

Als Verteidiger probierst du, deinen Gegenspieler zu kennen, seine Stärken und Schwächen, damit du ihn wenn möglich auf seinen schwachen Fuß leiten kannst, zum Beispiel. Verteidigen sieht einfach aus, ist aber sehr schwer, weil du vielfach zwischen zwei Sachen entscheiden musst - und es in manchen Situationen einfach nicht möglich ist, alles zu verteidigen.

Sie verteidigen nun auf einem neuen, einem niedrigeren Level als in den Jahren zuvor. Der Saisonstart mit dem FC Augsburg geriet mit sieben Punkten in den ersten zehn Spielen sehr durchwachsen, auch Sie standen bereits in der Kritik. Liegt Ihnen Abstiegskampf?

Es ist keine komplett neue Erfahrung für mich, gegen den Abstieg zu spielen, aber selbstverständlich bin ich es überhaupt nicht mehr gewohnt. Ich will unbedingt jedes Spiel gewinnen! Daran ändert sich auch in Augsburg nichts, auch wenn die Gegebenheiten komplett unterschiedlich sind. Für mich ist diese Umstellung eine große Herausforderung, die ich unbedingt nochmals erleben wollte.

Was macht die Umstellung auf Abstiegskampf so schwer?

Als kleinere Mannschaft verteidigst du tiefer, versuchst schnell vertikal zu spielen. Bei Lazio, Juve und Arsenal haben wir mehr Ballbesitzfußball gespielt, ich hatte mehr Zeit, aufzurücken. Hier spielen wir Konterfußball, als Verteidiger kommst du in der Offensive meist gar nicht mehr hin. Da versuchst du nach zwei Pässen schon, hinter die Abwehr zu kommen. Für einen Verteidiger bedeutet das, mehr Risikobälle spielen zu müssen.

Müssen Sie mit bald 36 also eine neue Art zu spielen lernen?

Nein, darauf stellt man sich schnell ein. Ich kann das Spiel gut lesen und mit der Hilfe meiner Teamkollegen geht es auch immer besser. Ich weiß, wann ich mitgehen kann und wann nicht.

Liegt Ihnen die Bundesliga?

Ja, ich denke schon. Ich habe jetzt in vier von fünf großen Ligen gespielt, und ich denke es ist kein Problem. Natürlich ist die Premier League qualitativ höher als die Bundesliga, aber von der Spielart her ist es ähnlich: Viele Mannschaften wollen schönen Fußball spielen, die vermeintlich Kleinen versuchen es mit Vertikalspiel.

Wieso haben Sie diesen Ehrgeiz, es noch mal bei einem kleinen Klub zu versuchen?

Im Leben braucht es immer wieder neue Herausforderungen. Ich funktioniere so: Sachen zu machen, die man vorher noch nie gemacht hat. Mich selber zu challengen: Kannst du auch noch in deinem Alter einer Mannschaft wie Augsburg helfen, geht das? Für mich war Augsburg, auch mit der Nähe zur Schweiz, eine geile Challenge. Und es hängt auch mit meiner Rolle in der Nationalmannschaft zusammen.

Sie wurden zwischenzeitlich nicht nominiert, nun sind Sie wieder Kapitän.

Auf das habe ich hingearbeitet, wie immer. Es ist klar, dass es ab einem gewissen Alter halt eng wird, aber schlussendlich hat mich der Trainer wieder gebracht. Das ist schön.

Wie sind Sie zu diesem extrem ehrgeizigen Spieler geworden?

Es ist ein Weg. Wenn du erfolgreich bist, immer wieder noch erfolgreicher sein zu wollen, das macht einen Topspieler aus. Nicht im negativen Sinne, dass du unzufrieden bist mit dem, was du hast. Sondern einfach immer mehr Erfolg zu haben. Irgendwann wird das nicht mehr möglich sein. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, aufzuhören. Jetzt mal ganz andere Ziele zu haben, mal nicht um einen Titel zu spielen, wird auch eine gute Erfahrung sein für später.

Später?

Ich lerne mit der Bundesliga eine weitere Top-Liga kennen. Wenn ich mich entscheide, im Fußballgeschäft zu bleiben, wird mir das sicher weiterhelfen.

Ihr Vater hat in einem Interview mal erzählt, dass sie schon als kleiner Junge ständig gewinnen wollten - und oft gewonnen haben, auch Rennen als Leichtathlet.

Wenn mein Vater es sagt, dann wird es schon stimmen. Ich habe viele Sportarten gemacht, auch Laufen nebenher.

Was machen Sie heute, wenn Sie merken, dass Ihr Gegenspieler schneller ist als Sie?

Es geht ja im Fußball nicht darum, wer schneller oder langsamer ist. Du musst gegen einen 20-Jährigen kein 100-Meter-Rennen gewinnen. Gegen Coman war das so ein Beispiel. Du musst gut stehen. Du weißt, dass du nicht alles verteidigen kannst. Die Challenge ist das Resultat.

Sie haben in Ihrer Karriere mit vielen erfolgreichen Trainern zusammengearbeitet. Wie hat Sie in den drei Jahren zu Beginn Ihrer Zeit bei Juventus Turin Antonio Conte geprägt, dem ein besonderer Einfluss auf Fußballer nachgesagt wird?

Conte hat die ganze Basis erschaffen für die erfolgreiche Periode, die Juve gerade durchmacht. Er hat das Gerüst aufgebaut. Er hat aus Topspielern Weltklassespieler mit extremer Persönlichkeit gemacht. Da hat er auch bei mir eine prägende Entwicklung vorangetrieben.

Wie genau?

Er ist extrem fordernd. Überall, wo er hingeht, erwartet er viel und gibt viel. Du weißt jeden Tag, was du machen musst. Du weißt auf dem Feld, was du machen musst. Und du weißt auch: Wenn jemand es nicht richtig macht, wird am nächsten Tag darüber diskutiert. Er ist ein Extrem-Winner.

In Turin waren Sie auch berühmt für Ihr Zusammenspiel mit Andrea Pirlo, Sie auf außen als Empfänger seiner Pässe.

Wenn du einen Spieler wie Pirlo im Team hast, macht das alles viel einfacher. Er ist für mich der beste zentrale Mittelfeldspieler. Wenn du ihm die Zeit gibst und das Timing hast, dann spielt er dir den Ball perfekt. So haben wir viele wichtige Tore erzielt. Wir haben uns sehr gut verstanden.

Mit Ihrer Vita geht auch besondere Verantwortung einher. Ruben Vargas, 21 und wie Sie aus Adligenswil in Luzern, konnte es kaum glauben, fortan mit Ihnen zusammen zu spielen. Wie gehen Sie damit um?

Du kommst als neuer Spieler immer in bestehende Hierarchien, da kommst du nicht rein und sagst den Leuten, wo es langgeht, sondern man muss sich einfügen. Aber du schaust natürlich auch, was man der Mannschaft geben kann. Vielleicht kann ich etwas von dieser Winner-Mentalität oder dieser Arbeiter-Mentalität reinbringen. Ich glaube, es entwickelt sich gerade gut.

Wie stellen Sie das sicher, dass es nicht so wirkt, als würde da jetzt der große Lichtsteiner ins kleine Augsburg kommen?

Ich bin einfach wie ich bin und verstelle mich nicht, sondern versuche, mich mit meinen Stärken ins Team einzugliedern. Fußball ist auch immer Konkurrenzkampf - und dem stelle ich mich auch hier in Augsburg.

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