FC Augsburg:Hardrock im Lummerland-Klub

FC Augsburg: Zieht aus negativer Stimmung im Fanblock Energie für sein Spiel: Augsburgs Torwart Rafal Gikiewicz.

Zieht aus negativer Stimmung im Fanblock Energie für sein Spiel: Augsburgs Torwart Rafal Gikiewicz.

(Foto: Stefan Puchner/dpa)

FCA-Torwart Rafal Gikiewicz ist Leistungsträger, Wortführer - und Reizfigur für die Gegner. Und der Routinier hasst es, mit schönem Fußball erfolglos zu sein. Vor dem Duell mit Union Berlin erhebt er deshalb seinen früheren Klub zum Vorbild.

Von Maik Rosner, Augsburg

An diesem Mittwochabend wird die Stimme im Stadion an der Alten Försterei wieder ertönen, kurz bevor die Mannschaften des 1. FC Union Berlin und des FC Augsburg auf den Rasen laufen. Ein Beat wird die Stimme des Erzählers unterlegen und Spannung erzeugen. Die Stimme wird erinnern an "die goldenen Zwanziger" und an einen "Schlachtruf wie Donnerhall, der all jenen - so erzählt die Legende weiter -, die ihn in diesem Augenblick zum ersten Mal hörten, das Blut in den Adern zum Sieden brachte". Kurz darauf werden ruppige Gitarrenriffs einsetzen, in die hinein das Berliner Publikum mehrfach ein kollektives "Huah" brüllen wird. Dann endet das Intro für die Vereinshymne - und Nina Hagen besingt "Eisern Union".

Rafal Gikiewicz, 35, kennt diese einzigartige Atmosphäre sehr genau. Der Torwart hat sie oft erlebt, wenn auch gedämpft, weil er sich noch im Kabinentrakt befand, ehe er für Union auflief, zunächst für eine Saison in der zweiten Bundesliga und nach dem Aufstieg 2019 für eine weitere in der ersten. Seit zweieinhalb Jahren hütet Gikiewicz nun das Tor des FC Augsburg, dessen Torhymne "Eine Insel mit zwei Bergen" vergleichsweise niedlich daherkommt. Doch trotz des Lummerlandlieds aus der Augsburger Puppenkiste gibt es auch beim FCA Hardrock-Momente. Für diese sorgt immer wieder Gikiewicz, und er schafft das ganz ohne ruppige Gitarrenriffs, einfach mit Gesten und Worten. Es ist, als habe der Torwart eine eigene Interpretation des Hardrocks mitgebracht bei seinem Umzug 2020 von Berlin-Köpenick nach Augsburg.

Er sagt, was er denkt - und es ist ihm egal, wenn er damit aneckt

Neulich in Bremen, beim 1:0-Sieg des FCA, legte er sich nach seinem gehaltenen Elfmeter in der Nachspielzeit mit den Werder-Fans an. Auch für den Schalker Anhang wurde er vor wenigen Wochen zur Reizfigur. Gikiewicz stört das offenbar nicht, er provoziert offenbar eine gegen ihn gerichtete Stimmung sogar ganz gerne. Ihm gebe das Gepfeife "Energie und Power", erzählte er zuletzt. Als er noch für Union spielte, hatte er sich sogar mal den eigenen Fans entgegengestellt, nachdem einige auf den Platz gestürmt waren. Beim FCA scheut er sich ebenfalls nicht, auch nach innen sehr unbequem zu sein. Der Routinier kann sich das erlauben, weil er sich in dieser Saison zum absoluten Leistungsträger entwickelt hat. Für das Fachmagazin Kicker ist Gikiewicz nach Noten aktuell sogar der beste Torhüter der Bundesliga, deutlich vor den deutschen Nationalkeepern Manuel Neuer und Kevin Trapp.

Gikiewicz sagt, was er denkt, und es ist ihm egal, wenn er damit aneckt. Wie nun auch vor dem Spiel bei Union, in dem es für die Augsburger beim gerade gestürzten Tabellenführer darum geht, den eigenen Abwärtstrend zu stoppen. Seit sechs Pflichtspielen warten sie beim FCA auf einen Sieg, nur zwei Punkte konnten sie in dieser Phase ergattern. Vor allem aber blicken sie zurück auf zuletzt fünf Spiele, in denen sie stets führten, ihren Vorsprung aber stets verspielten und viermal sogar verloren - zuletzt am Samstag beim 1:2 gegen Frankfurt. Das einzige Remis in den vergangenen fünf Spielen kam gegen Leipzig zustande (3:3), als die Augsburger sogar schon 3:0 vorne gelegen hatten.

Wie genervt Gikiewicz vom Abwärtstrend ist, hat er nun ohne Umschweife deutlich gemacht. Sechs Punkte fordert er aus den verbleibenden Partien vor der WM-Pause in Berlin und gegen Bochum (Samstag). Lob für die oft mitreißende Spielweise des FCA will er nicht hören, weil der Ertrag zuletzt zu oft ausblieb: "Das ist das Problem. Für mich ist schön spielen wirklich Quatsch", sagt Gikiewicz - und erinnert an den 1:0-Sieg in Bremen, bei dem man mit langen Bällen "einfache drei Punkte" erobert habe. "Du spielst schön, bist aber nicht ganz konsequent hinten und machst mehr Fehler als der Gegner, dann verlierst du", sagt der Torwart. Zu viele Punkte habe man so schon verschenkt, weshalb man sich nun doch wieder im Abstiegskampf befinde.

Andere beim FCA sehen es nicht ganz so kritisch wie ihr Torwart. "Der Weg ist absolut der richtige", betont Trainer Enrico Maaßen. Er setzt bei Union auch auf die Rückkehr der zuletzt gesperrten Sechser Elvis Rexhbecaj und Carlos Gruezo. Doch Gikiewicz findet, dass sie sich beim FCA die Eisernen ruhig zum Vorbild nehmen könnten. Wie stabil die Berliner seit Jahren auftreten und was sie auch in der Europa League leisten, das sei schon "geil", sagt der Pole, "sie spielen auch nicht schön manchmal", aber sie gewännen "fast jedes Spiel 1:0".

Nur gegen Augsburg hat es noch nicht geklappt mit einem Dreier für Union, jedenfalls seit Gikiewicz zum FCA übergelaufen ist. Drei Siege und ein Unentschieden hat er mit den Augsburgern in den bisherigen vier Spielen gegen Union angehäuft. "Ich will die Serie halten", sagt Gikiewicz. Und zwar mit seiner Art des Hardrocks.

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