Wenn Michael Ströll von seinen Anfängen beim FC Augsburg erzählt, klingen manche Geschichten so abenteuerlich, als hätten sie sich zur Zeit des Schwarz-Weiß-Fernsehens abgespielt. Dabei trat der heutige Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten sein Praktikum im November 2006 an, wofür er ein Auslandssemester in Brasilien abgebrochen hatte. Damals sei die Geschäftsstelle beim gerade in die zweite Liga aufgestiegenen FCA „mehr oder weniger eine baufällige Bruchbude“ gewesen, „die Trainingsplätze standen manchmal unter Wasser“, erinnert sich Ströll im Gespräch mit der SZ, „wir wussten oft nicht, ob ein Platzwart von der Stadt da sein wird und trainiert werden kann“. Statt eines richtigen Organigramms oder einer angemessenen Infrastruktur gab es ganz viel Improvisationskunst und auf der Geschäftsstelle nur vier Festangestellte. „Das war schon sehr wild und chaotisch“, sagt Ströll.
Die Rückblende zeigt, was beim FC Augsburg in knapp zwei Jahrzehnten entstanden ist. Inzwischen hat der Verein 150 Festangestellte, er macht statt der damaligen zehn Millionen Euro Umsatz fast elfmal so viel. Erwirtschaftet wurden mittlerweile ein Eigenkapital von rund 40 Millionen Euro und Immobilienwerte von rund 120 Millionen Euro. Der FCA spielt nicht mehr im Rosenaustadion, sondern in einer eigenen Arena. Vor allem gehört der Klub der Bundesliga seit 14 Jahren ununterbrochen an, was in diesem Zeitraum nur sieben weiteren Vereinen gelungen ist. Dazu zählt der große Nachbar FC Bayern, den der FCA an diesem Freitagabend empfängt.
Trainer Jess Thorup und seine Mannschaft wollen ihren beachtlichen Lauf von inzwischen elf Ligaspielen ohne Niederlage gegen die Münchner fortsetzen. Auch Ströll rechnet sich etwas aus. „Unser klares Ziel muss es sein, dass wir für die Bayern ein sehr unangenehmer Gegner sind. Dann ist für uns etwas drin“, sagt der 40-Jährige. Aus Ströll spricht das neue Selbstbewusstsein, das beim FC Augsburg inzwischen Einzug gehalten hat. Das Basisziel, der Klassenverbleib, wird in Kürze auch rechnerisch erreicht sein. Der erste sichere Europapokalplatz liegt nur drei Punkte entfernt. Es passt zur Gesamtsituation beim FCA, dass er an den letzten sieben Spieltagen fast ausschließlich gegen Mannschaften von ganz oben und unten spielen wird. Der Tabellenachte FC Augsburg bewegt sich gerade zwischen den Welten, und ein neuer Ehrgeiz ist dabei deutlich vernehmbar.

Als treibende Kraft wirkt dabei Ströll, der seit September 2023 die Gesamtverantwortung trägt, seit Stefan Reuter als Geschäftsführer Sport ausgeschieden ist. Der frühzeitige Klassenverbleib bleibt zwar auch künftig das Ziel. Doch Ströll will die Wahrscheinlichkeit für Ausreißer nach oben erhöhen. „Ich bin überzeugt, dass wir noch längst nicht am Ende unserer Entwicklung angelangt sind“, sagt er. Ein Platz unter den ersten Zehn soll es immer mal wieder sein. Mittelfristig wäre es „ein großer Traum, auch mal wieder im europäischen Wettbewerb vertreten zu sein“. Wie zum bisher einzigen Mal in der Saison 2015/16.
Ströll will ein neues Denken beim FCA implementieren. „Da ich grundsätzlich immer nach dem Maximum strebe, möchte ich eine Kultur leben, sich nicht zu schnell zufriedenzugeben. Ich bin überzeugt, dass man ambitionierte Ziele haben muss, um auch etwas zu erreichen“, sagt er. Dabei blickt er besonders nach Freiburg und Mainz, „die zeigen, dass man immer mal wieder in höhere Tabellenregionen vorstoßen kann“. Auch von anderen Vereinen wie Eintracht Frankfurt oder dem VfB Stuttgart könne man sich etwas abschauen, findet Ströll. Er sagt: „Es ist auch für den FC Augsburg möglich, auf sich aufmerksam zu machen, national und sogar international.“
Die Nachwuchsförderung soll verstärkt werden, gerne auch in Konkurrenz zum FC Bayern
Vor allem Freiburgs Entwicklung imponiert Ströll. Dabei hatte sich der SC vor nicht allzu langer Zeit wirtschaftlich noch eher hinter dem FCA befunden, war in den vergangenen fünf Jahren aber stets in den Top Ten platziert und hatte sich zweimal für den Europapokal qualifiziert. Inzwischen liegt Freiburg beim Umsatz und der Mitgliederzahl deutlich vor Augsburg. „Das zeigt, was man mit einer klaren Ausrichtung erreichen kann“, sagt Ströll und ergänzt: „Das Vorleben von Ambition gepaart mit einem gesunden Realismus sehe ich als eine meiner Kernaufgaben.“
Als elementarer Baustein für die Weiterentwicklung des Vereins soll die Nachwuchsförderung noch mehr verstärkt werden. Nach Mert Kömür, Noahkai Banks und Henri Koudossou sollen es weitere Talente in den Profikader schaffen. Durch die räumliche Nähe steht der FCA im Nachwuchsbereich zwar mit dem FC Bayern in Konkurrenz, doch Ströll sieht einen Vorteil gegenüber dem großen Nachbarn. „Wenn wir unsere Nischen bestmöglich besetzen, haben wir Alleinstellungsmerkmale“, sagt er; es sei „unsere Aufgabe, dass wir eine stärkere Durchlässigkeit in den Profikader erreichen, als es vermutlich auf dem sehr hohen Niveau des FC Bayern möglich ist“.
Vielleicht wird das ja auch an diesem Freitagabend sichtbar. Ohne Bruchbude und in Farbe.