FC Augsburg:Enttäuscht in der Loge

Nach der 1:2-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg und Herrlichs verdorbenem Nicht-Debüt setzten sie beim FC Augsburg auch wegen der verschärften Lage im Abstiegskampf auf eine schnelle Rückkehr des neuen Trainers.

Von Maik Rosner, Augsburg

Als die Augsburger hinterher über die 1:2 (0:1)-Niederlage gegen den VfL Wolfsburg sprachen, war nicht so ganz klar, welche Enttäuschung überwog. Jene, dass sich die eigene Situation im Abstiegskampf nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs der Bundesliga bei nun nur noch vier Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz verschärft hat. Oder doch jene, dass der neue Cheftrainer Heiko Herrlich nicht auf die Mannschaft hatte einwirken können bei seinem verhinderten Debüt für den FCA.

Aus einer Stadionloge hatte Herrlich allein zugesehen, weil er gegen das Hygienekonzept der Deutschen Fußball Liga (DFL) verstoßen hatte, indem er in der vergangenen Trainingswoche das Mannschaftshotel für einen Supermarkt-Einkauf von Zahnpasta und Hautcreme verlassen hatte. Nach Darstellung des Vereins hatte er sich deshalb mit dem Verzicht auf das Spiel selbst sanktioniert und nicht auf Geheiß der DFL, die laut Manager Stefan Reuter unter den besonderen Umständen sogar ein Coaching von der Tribüne aus erlaubt hätte. Doch davon hatte der FCA abgesehen. "Es ist nicht einfach, wenn der Cheftrainer nicht dabei ist", sagte Torwart Andreas Luthe später, "das ist einfach scheiße."

Das hatte sich vermutlich auch Herrlich gedacht, nachdem seine Mannschaft in der ersten Minute der Nachspielzeit den entscheidenden Gegentreffer von Wolfsburgs eingewechseltem Stürmer Daniel Ginczek kassiert hatte. Zuvor hatte Renato Steffen die Gästeführung erzielt (43.), ehe die Augsburger ziemlich glücklich zum zwischenzeitlichen Ausgleich durch ein Eigentor von John Anthony Brooks gekommen waren (54.). Sobald auch sein zweiter Corona-Test negativ ausfällt, soll Herrlich zeitnah wieder die Regie übernehmen, voraussichtlich schon Anfang der kommenden Woche. "Wir sind froh, wenn er wieder dabei ist", sagte Linksverteidiger Philipp Max nach der Niederlage, die er als "extrem bitter" bezeichnete.

Wolfsburgs Trainer Oliver Glasner hatte sich zur Vorbereitung auf das Spiel in Augsburg Aufzeichnungen von Spielen von Leverkusen und Regensburg angesehen, also jener Mannschaften, die Herrlich früher angeleitet hatte. Doch das war nun nur bedingt hilfreich für Glasner, da sein 48 Jahre alter Kollege ja wie schon kurz nach seinem Amtsantritt am 10. März erneut auf sein Debüt beim FCA verzichten musste. Stattdessen saß Tobias Zellner, 42, zwischen 2012 und 2016 sowie seit 2017 Co-Trainer bei den Augsburgern, erstmals in der Bundesliga als Chef auf der Bank. Das letzte Mal habe er am Freitagabend Kontakt mit Herrlich gehabt, berichtete Zellner nach dem Spiel und blickte auf sein eigenes Ligadebüt zurück, das "nicht ganz so schön" verlaufen war.

Einsiebzig-Mann Steffen trifft mit einem Horst-Hrubesch-Gedächtniskopfball

Entschieden hatte aber selbstredend Herrlich über die Taktik der Augsburger und ebenso über die Personalwahl, bei der Luthe erneut den Vorzug vor Tomas Koubek erhielt. Luthe hatte bereits im letzten Spiel von Herrlichs Vorgänger Martin Schmidt, bei der 0:2-Niederlage beim FC Bayern am 8. März, im Tor gestanden. Nun blieb er zunächst ziemlich unbeschäftigt, was auch daran lag, dass die Augsburger anfangs etwas aktiver agierten als noch zuletzt unter Schmidt. Und auch verbal wirkten sie durchaus offensiv eingestellt, jedenfalls ließen sich in der Kreisliga-Atmosphäre ohne Publikum viele Kommandos vernehmen. Ein Torjubel blieb allerdings zunächst allein schon deshalb aus, weil es kaum einmal eine Torchance gab. Die Ausnahme bildete der Versuch von Ruben Vargas von der Strafraumgrenze, Wolfsburgs Torwart Koen Casteels hielt den Ball im Nachfassen fest (16.)

Die Wolfsburger bemühten sich zwar zunehmend um mehr Aktivität, vermissten aber erkennbar ihren erfolgreichsten Angreifer Wout Weghorst wegen dessen Gelbsperre als Anspielstation und Abschlussspieler im Angriffszentrum. Vielleicht auch deshalb blieb Paulo Otavios knapp verzogener Torschuss vorerst die einzige gefährliche Annäherung der Wolfsburger (25.). Als ereignisreich ließ sich das Spiel bis kurz vor der Pause kaum einstufen. Dann aber schlug Paulo Otavio eine Flanke aus dem linken Halbfeld genau auf Steffen, der aus 14 Metern mit einem wuchtigen Horst-Hrubesch-Gedächtniskopfball zum 1:0 für die inzwischen deutlich spielbestimmenden Wolfsburger traf. Profitiert hatte der 1,70 Meter große Steffen, mit fünf Toren erfolgreichster Torschütze des VfL nach Weghorst, allerdings auch von einer erstaunlichen Bewegungsfreiheit, die ihm unter anderem Augsburgs neu in die Mannschaft gerutschter Innenverteidiger Marek Suchy gewährte.

Wie schon zu Beginn der ersten Halbzeit bemühten sich die Augsburger auch zu Beginn der zweiten wieder um mehr Offensive, und diesmal stellte sich der Lohn auch ein, wenngleich durch die tatkräftige Unterstützung von Wolfsburgs Brooks. Eine Freistoßflanke von Max beförderte der Innenverteidiger mit dem Kopf aufs eigene Tor, dem überraschten Torwart Casteels rutschte der Ball über die Fingerspitzen und prallte von der Unterkante der Latte hinter die Torlinie. Es war ein in jeder Hinsicht glücklicher Ausgleich, der aber schon kurz darauf beinahe zu einer Wende im Spiel geführt hätte. Doch Schiedsrichter Felix Brych verwehrte Felix Uduokhais vermeintlichem 2:1 nach einer weiteren Freistoßflanke von Max die Anerkennung, weil sein Kollege Florian Niederlechner dabei im Abseits gestanden und Casteels irritiert hatte.

Herrlich genieße weiter "große Akzeptanz" in der Mannschaft

Es sollte die letzte brenzlige Szene für die Wolfsburger werden, was auch daran lag, dass sie nun wieder dominant auftraten und dem Siegtreffer mehrfach nahe kamen. Zunächst traf Admir Mehmedi den Pfosten aus zehn Metern (71.), ehe Luthe Mehmedis Schuss mit dem Fuß abwehrte. In der Nachspielzeit aber war der Torwart geschlagen, nachdem sich Kevin Mbabu auf der rechten Seite durchsetzte und mit seinem flachen Zuspiel Ginczek bediente, der zum Siegtreffer der Wolfsburger einschob. Es war zugleich der lauteste Moment eines ziemlich stillen Nachmittags in Augsburg - mit dem enttäuschten Cheftrainer Herrlich allein in einer Loge.

"Es war für uns alle keine einfache und schöne Situation", sagte Reuter nach der Niederlage über Herrlichs Fauxpas. Kredit bei der Mannschaft verspielt habe der neue Trainer aber mit seinem unüberlegten Einkauf nicht. "Heiko hat eine große Akzeptanz in der Mannschaft", sagte Reuter. Bald soll Herrlich mit ihr auch wieder seiner Arbeit nachgehen dürfen - und endlich sein Debüt geben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: