FC Augsburg:Ein dicker Fisch für Weinzierl

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Augsburgs Trainer Markus Weinzierl konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als bekannt wurde, dass Niklas Dorsch in der kommenden Saison in seiner Mannschaft spielt. (Foto: Frank Hoermann/Imago)

Der umworbene U21-Europameister Niklas Dorsch wechselt zum schwäbischen Erstligisten, zunächst aber reist er mit den neuen Kollegen Felix Uduokhai und Marco Richter zu den Olympischen Spielen nach Tokio.

Von Thomas Hürner, Heimstetten

Wer wollte, der konnte im Gesicht von Markus Weinzierl ein triumphierendes Grinsen erkennen, als der Trainer des FC Augsburg am Mittwochnachmittag am Sportplatz in Heimstetten über das 2:2 im soeben absolvierten Testspiel gegen den Hamburger SV referieren sollte - und das Gespräch mit den diensthabenden Journalisten eine schnelle Wendung nahm, weil die weitaus bedeutendere Nachricht da bereits im Umlauf war. Klar, im Falle der Fälle würde er sich schon freuen, sagte Weinzierl, "ich freue mich über jeden guten Spieler". Aber auch für besagten Zugang sei das sicherlich eine tolle Sache, fügte der Coach eilig hinzu, da der FCA für junge Talente in der Vergangenheit ja immer ein "super Karriereschritt" gewesen sei.

Die Essenz der Ausführungen Weinzierls war klar: Bei uns in Augsburg wird er bestens aufgehoben sein, der Niklas Dorsch, hier kann er sich super weiterentwickeln, im Idealfall entwickelt er sich parallel zur gesamten Mannschaft. Und ja, ein bisschen Stolz schwang auch mit, während Weinzierl sich so in das Szenario hineinversetzte, diesen hochbegabten Niklas Dorsch womöglich bald in seinem Team zu haben, obwohl an ihm offenbar die halbe Bundesliga interessiert gewesen war.

Grüße an die Oma: Vorher hatte Niklas Dorsch die U21-Nationalmannschaft zum EM-Titel geführt

Wie sich das heutzutage gehört, war auch die Augsburger Social-Media-Abteilung sichtbar euphorisiert angesichts des sich anbahnenden Wechsels. Am Donnerstagvormittag wurde ein Bild des zufrieden lächelnden FCA-Managers Stefan Reuter veröffentlicht, später ein sogenanntes Internet-Meme, das einen Angler dabei zeigt, wie er sich den gleichnamigen Speisefisch an Land ziehen will. Laut übereinstimmenden Medienberichten stand der Transfer kurz vor dem Vollzug, auch wenn die erwartete offizielle Mitteilung dann erst am Abend verschickt wurde: Dorsch, 23, wird von KAA Gent zum FCA wechseln, für eine Ablöse in Höhe von angeblich sieben Millionen Euro zuzüglich Bonuszahlungen. Er erhält einen Fünfjahresvertrag. Bis vor kurzem hatte ja noch die halbe Republik dabei zugesehen, wie Dorsch die U21-Nationalmannschaft zum EM-Titel führte und hinterher im Fernsehinterview Grüße an seine Großmutter sendete. Keine Frage: Dorsch ist der wohl verheißungsvollste Fußballer, der bislang in der Fuggerstadt gesichtet wurde. "Es war beeindruckend, wie sehr sich die Verantwortlichen des FCA um mich bemüht haben", sagte er.

Eine fast zynische Pointe war es, dass der Transfer ausgerechnet parallel zu einem Testspiel gegen den HSV in seinen finalen Zügen war. Der einstige Europapokalsieger und heutige Zweitligist hatte im vergangenen Jahr vehement um Dorschs Dienste geworben, nachdem dieser bekanntgegeben hatte, dass er sich nach einer hervorragenden Zweitliga-Saison beim 1. FC Heidenheim beruflich weiterbilden wolle. Dorsch lehnte die Hamburger Offerte jedoch ab und wechselte stattdessen für eine Ablöse in Höhe von 3,5 Millionen Euro nach Gent, weil ihm der belgische Klub neben damaligen Titelambitionen auch die Möglichkeit bot, sich über die Europa League einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren.

Obendrein stapfte am Mittwoch ja noch Tim Walter über die Heimstettener Sportanlage, der neue HSV-Trainer. Walter gilt als einer der großen Förderer des Mittelfeldmanns, die beiden kennen sich aus ihrer gemeinsamen Zeit beim FC Bayern II in der Saison 2017/2018, in der Dorsch laut Augenzeugenberichten seine technischen Fertigkeiten um das nötige Rüstzeug erweiterte, das ihn später auch im Profibetrieb bestehen ließ. Von Dorschs Entwicklung sei er sehr beeindruckt, sagte Walter, und natürlich hätte er seinen früheren Zögling gerne in der Hansestadt begrüßt: "Aber wenn Dinge nicht möglich sind, dann sind sie nicht möglich."

Auch der Hamburger SV hätte Dorsch gerne verpflichtet, immerhin schafft er ein 2:2-Unentschieden im Testspiel

In diesem Jahr hat sich der HSV erst gar nicht mehr beteiligt am Wettbieten um Dorsch, was einerseits den Bedeutungsverlust des Traditionsklubs illustriert. Andererseits zeugt diese Verpflichtung auch davon, dass der kleine FC Augsburg, der in seiner inzwischen elf Jahre währenden Erstliga-Mitgliedschaft nur zu gerne sein Außenseiter-Image zelebriert hat, inzwischen über die Ressourcen verfügt, um perspektivisch in eine höhere Gewichtsklasse aufzusteigen. Seit April gibt es einen neuen Gesellschafter im Augsburger Unternehmensgeflecht, eine Holding des US-Milliardärs David S. Blitzer - das schafft nicht nur finanziell neuen Spielraum, in der Branche wird das auch als Signal für ein neues Anspruchsdenken verstanden.

Neben dem FCA sollen auch Europapokal-Teilnehmer wie Wolfsburg und Frankfurt sowie Klubs aus dem Ausland Kontakt mit dem Spieler aufgenommen haben, weshalb offenbar auch einiges an Überzeugungsarbeit von FCA-Manager Stefan Reuter und Trainer Markus Weinzierl nötig war, um Dorsch für das Projekt in Augsburg zu gewinnen. Und natürlich war es dann vor allem Weinzierl, der nach dem Testspiel am Mittwoch allen Grund für seinen triumphalen Gesichtsausdruck hatte. Im Mittelfeld des FCA klaffte eine eklatante Lücke, seit Rani Khedira in diesem Sommer ablösefrei zu Union Berlin abgewandert ist. In der Partie gegen den HSV wurde zum Beispiel Verteidiger Jeffrey Gouweleeuw auf der Sechserposition zweckentfremdet. Erschwerend hinzu kommt, dass einer von Weinzierls absoluten Stützpfeilern aus seiner ersten Amtszeit als FCA-Coach von 2012 bis 2016 nie so richtig ersetzt wurde: Mittelfeldmotor und FCA-Idol Daniel Baier, der im vergangenen Jahr seine Karriere beendet hat. Weinzierl war es, der aus dem damaligen Flügelspieler Baier eine Leitfigur für das Zentrum formte und ihn später zum Kapitän machte.

Wie früher Baier spielt auch Dorsch am liebsten in einer Rolle, die sie in Italien "Regista" und in England "deeplying-playmaker" nennen und für die es hierzulande noch keinen so wohlklingenden Fachterminus gibt: als Spielgestalter vor der eigenen Abwehr, der nicht nur die eigenen Angriffe koordiniert, sondern auch den Abfangjäger gibt, wenn der Gegner nach vorne stößt. In Weinzierls Ballattacken- und Überfallangriff-System gibt es keine wichtigere Position, keinen Spielertyp würde er sich lieber wünschen als einen Baier 2.0.

Auf das Einüben der sogenannten Automatismen muss Weinzierl aber noch warten: Dorsch wird die Saisonvorbereitung verpassen, weil er mit der DFB-Elf an den Olympischen Spielen in Tokio teilnimmt, gemeinsam übrigens mit den FCA-Spielern Felix Uduokhai und Marco Richter. Ein Kompromiss, den sie in Augsburg bereitwillig eingegangen sind.

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