FC Augsburg:Ein Ball für zwei

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(Foto: Klaus Rainer Krieger/imago)

Augsburgs Trainer Manuel Baum wird sich nach dem Pokalwochenende für einen Stammtorwart entscheiden: den einst als großes Talent gefeierten Fabian Giefer oder Andreas Luthe, Flüchtlingshelfer und Kabinen-Ratgeber.

Von Sebastian Fischer, Augsburg

Wenn es nach Andreas Luthe geht, dann ist die größte Chance seiner Laufbahn auch die Folge eines Zufalls. Er hatte das nicht geplant, als er mit Anfang zwanzig in Dortmund Informatik studierte und in Bochum das Tor der zweiten Mannschaft in der Oberliga hütete: Dass er mit 31 jede Woche in einem Bundesligator stehen könnte. "Ich wurde nach oben gespült", sagt Luthe. Er definiere sein Glück nicht über Erfolg im Sport, er sei zufrieden mit seiner Laufbahn. Aber er sagt auch: "Ich bin so gut wie nie zuvor."

Fabian Giefer sollte eigentlich längst in einem Bundesligator stehen. Seine Karriere begann als Verheißung, er war Junioren-Nationaltorwart, lehnte ein Angebot als Nummer zwei des FC Bayern ab, spielte eine starke Erstligasaison bei Fortuna Düsseldorf, wechselte zu Schalke 04, war dort aber nie gesetzt. Sein Erstliga-Debüt hatte er schon mit 19 bei Bayer Leverkusen gegeben. Nun, mit 28, will er das Gefühl zurück, ein Torwart zu sein, der gebraucht wird.

Es ist eine der interessanten Geschichten der Saisonvorbereitung: ein Zweikampf, der über zwei Karrieren entscheiden könnte. Luthe oder Giefer - einer wird am ersten Spieltag Stammtorwart des FC Augsburg sein. Torwartduelle gibt es auch in Düsseldorf, Hannover, Mainz oder Nürnberg. Aber in Augsburg wird das Duell in einem Sommer, in dem der teuerste Torwart der Geschichte den FC Chelsea rund 80 Millionen Euro Ablöse kostete, einer von zwei Keepern gewinnen, die vergangene Saison nur Ersatzspieler waren.

Ein Training an einem Vormittag im August: In der Spielform ohne Verteidiger pariert Giefer ein paar fast unhaltbare Schüsse. Im Abschlussspiel gewinnt seine Mannschaft. Luthes Team lässt Chancen aus. Er schlägt vor Frust einen Ball über den Zaun.

Beim FC Augsburg wird in jedem Sommer der Umbruch befürchtet, weil die besten Spieler zu ambitioniert sein könnten, um erneut gegen den Abstieg zu kämpfen. In diesem Jahr sind jedoch viele Transfers ausgeblieben, auf die spekuliert wurde. Linksverteidiger Philipp Max, der zweitbeste Torvorbereiter der Liga, ist noch da, genauso der noch angeschlagene isländische Stürmer Alfred Finnbogason. Im Tor stand in den vergangenen fünf Jahren der Schweizer Marwin Hitz, bekannt als einer der verlässlichsten Keeper der Liga. Als er im Frühjahr seinen Entschluss bekannt gab, nach Dortmund zu wechseln, wo er mit seinem Nationalmannschaftskollegen Roman Bürki konkurriert, kündigte Manager Stefan Reuter an, keinen Ersatz zu verpflichten. Der Ersatz sei schon da.

Als Fabian Giefer nach dem Training den Interviewraum im Stadion betritt, fragt er, worüber er nun so lange reden soll. Das Torwartduell? Er lacht. "Ich habe nicht das Gefühl, dass es das Hauptthema in der Stadt ist." Der Druck in Augsburg sei nicht so groß. Dann erzählt er vom Druck, den er sich selbst macht.

Giefer galt in Leverkusen als nächster Stammtorwart nach René Adler. Am ersten Spieltag der Saison 2011/2012 stand er gegen Mainz im Tor, er patzte und verletzte sich. Leverkusen verlor und verpflichtete Bernd Leno. Ein Jahr später hielt Giefer in Düsseldorf herausragend, blieb 463 Minuten in Serie ohne Gegentreffer. Er sagte der Sport Bild: "Ich sehe mich eigentlich als relativ komplett." 2014, nach einer Zweitliga-Saison mit Düsseldorf, wechselte er zu Schalke. In drei Jahren war er oft verletzt, machte nur zwei Ligaspiele. 2017 wechselte er nach Augsburg. Der FCA rechnete schon damals mit einem Wechsel von Hitz. Doch Hitz blieb.

Von den Erinnerungen, dem Was-wäre-wenn, müsse man sich "irgendwann distanzieren", sagt Giefer, "ich habe sehr viel selbst in der Hand". Wenn er darüber spricht, wie sehr er den Platz im Tor gewinnen will, sagt er: "Am Wochenende auf dem Platz zu stehen, das kannst du nicht ersetzen. Das ist das, wofür ich arbeite."

Über die vergangene Saison sagt er: "Ich war froh, als sie vorbei war." Er war nur die Nummer drei.

Luthe ist ein Jahr länger in Augsburg. Er wurde Giefer auch deshalb als Torwart Nummer zwei vorgezogen, weil er sich einen besonderen Status erarbeitet hatte: als Ansprechpartner für die Jungen, als Ratgeber. Mit Philipp Max trinkt er vor jedem Spiel Kaffee. Mit Hitz frühstückte er immer frühmorgens im Hotel. "Für mich bedeutet der Job Fußballprofi nicht nur, 90 Minuten auf dem Platz zu stehen", sagt Luthe. Und der Job bedeutet ihm nicht alles. "Der Fußball ist was Wunderbares, ich liebe das Spiel an sich. Aber der professionelle Fußball hat immer weniger mit dem eigentlichen Spiel zu tun. Er ist eine Unterhaltungsbranche. Da finde ich nicht alles gut." Luthe wirkt im Vergleich mit Branchenkollegen geradezu intellektuell: Er liest Philosophiebücher von Richard David Precht, wirbt für die Tierschutzorganisation Peta, ernährt sich vegan. Er ist Co-Gründer des Vereins "In Safe Hands", der sich mit Fußballtraining und Schulbesuchen für Flüchtlinge einsetzt. Für die Saisonvorbereitung hat er sich ausnahmsweise aus dem operativen Geschäft zurückgezogen.

Wer etwas vom Wert verstehen will, den Luthe für ein Team haben kann, der sollte bei Peter Neururer nachfragen, seinem früheren Trainer in Bochum. Luthe spielte 15 Jahre für den VfL, sieben davon als Profi, sechs in der zweiten Liga, zweieinhalb als Kapitän. Er war oft anderer Meinung als seine Vorgesetzten. In seiner letzten Saison wurde er zwischenzeitlich suspendiert. Neururer sagt: "Andi ist ein Querdenker." Als der Verein Neururer 2013 als Trainer verpflichtete, rief Luthe ihn an und sagte, dass er sich gegen einen Trainerwechsel ausgesprochen habe. Neururer sagt: "Andi ist unheimlich loyal."

In der Vorbereitung haben sich Giefer und Luthe jetzt abgewechselt. Luthe kassierte ein Tor gegen Middlesbrough und keines in Newcastle. Giefer verlor 1:2 gegen Gladbach und 0:1 gegen Bilbao. "Vom Talent her seh' ich ihn stärker", sagt Manfred Gloger, Giefers Torwarttrainer im Bundesligajahr in Düsseldorf. "Es ist jammerschade, dass er vier Jahre verloren hat."

Luthe stand in den vergangenen zwei Jahren fünfmal für Augsburg im Tor, Giefer saß in der vergangenen Saison nur zweimal auf der Bank, sonst auf der Tribüne. Wenn man die Torwarttypen unterscheiden müsste, vielleicht so: Giefer braucht erst mal Vertrauen, Luthe könnte es spenden. Giefer ist der Mann für spielentscheidende Paraden. Luthe macht erst mal die einfachen Dinge richtig. Giefer ist einen Zentimeter größer, 1,96 Meter. Luthe sagt, er habe sich beim FCA fußballerisch verbessert. Giefer sagt, er habe im vergangenen Jahr so intensiv trainiert wie noch nie.

Luthes Kritiker finden, er sei für die erste Liga eine typische Nummer zwei. Giefers Kritiker glauben, er könnte verkrampfen. Beide werden kaum sofort zu den Besten der Liga zählen. Gleichstand also?

"Es gibt keine rationale Erklärung, es wird eine Bauchentscheidung sein", sagt Trainer Manuel Baum, der selbst Torwart war. Am Sonntag wird Luthe im DFB-Pokal beim Viertligisten Steinbach spielen. Danach fällt die Entscheidung.

Beim Wort Torwartduell denkt man an Uli Stein und Toni Schumacher, die sich vor der WM 1986 bekriegten, an das vergiftete Verhältnis zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn 2006. "Das ist aus der Mode gekommen", sagt Giefer. "Wir sind beide nicht die Typen, die Pfeile schießen und rumstänkern." Beide würden sich eher unterstützen als schaden, sagt auch Baum.

Als sie das letzte Mal gegeneinander antraten, war das in einem Zweitligaspiel zwischen Bochum und Düsseldorf im Februar 2014. Die Begegnung endete torlos.

© SZ vom 17.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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