FC Arsenal in der Champions League:Kurzpass-Ensemble mit Hang zur Naivität

Zweiter in der Premier League, Erfolge im Pokal, jetzt der Auftritt im Champions-League-Achtelfinale: Vor dem Hinspiel gegen den FC Bayern steht der FC Arsenal so gut da wie seit Jahren nicht mehr. Trotzdem präsentiert sich die Mannschaft phasenweise so instabil wie die Stimmung im Verein.

Von Raphael Honigstein, London

Der Sieg war knapp, der Jubel ungezügelt. Jeder einzelne Arsenal-Spieler wurde vom Publikum nach dem etwas glücklichen 2:1 gegen Liverpool im Achtelfinale des FA-Cups mit stehenden Ovationen verabschiedet: "Erlösung für Wenger", titelte in Großbuchstaben der Daily Mirror. Der französische Trainer hatte die Partie am Sonntag als Auftakt von Arsenals "Olympischen Spielen" beschrieben, als Chance, die sich "nur alle vier Jahre" böte. Dann allerdings hatte Arsène Wenger wieder einige Reservisten ins Team rotiert - darunter den Torschützen Lukas Podolski.

Wie riskant dieses Manöver war, wusste Wenger aus dem Vorjahr. Damals flogen seine Ersatz-Gunners an gleicher Stelle gegen Zweitligist Blackburn aus dem Pokal, drei Tage später löste der 3:1-Hinspielsieg des FC Bayern in der Champions League bei Arsenal einen mittelschweren Volksaufstand an der Holloway Road aus. Der hart erkämpfte Erfolg gegen Liverpool, das Arsenal in der Liga zehn Tage zuvor mit 5:1 demontiert hatte, hat die Stimmung nun wieder ins Positive gedreht.

Arsenal geht als Außenseiter, aber mit Zuversicht in das erneute Achtelfinale gegen die Bayern. Die seien zwar "derzeit unantastbar", sagt Abwehrchef Per Mertesacker. "Aber "wir sind Arsenal, wir haben große Ambitionen", verkündete Mathieu Flamini, der vielleicht wichtigste Mann der Gastgeber, stolz. Der Franzose verabreicht mit seinem umsichtigen Positionsspiel und seiner Körperlichkeit im defensiven Mittelfeld den Gunners jene Dosis Realismus, die für die Funktionstüchtigkeit dieses zur Naivität neigenden Kurzpass-Ensembles dringend notwendig ist.

Der Zwischenstand im Kombinationswettbewerb der Londoner liest sich, um in Wengers Olympia-Bild zu bleiben, vor dem Match in der Königsdisziplin Champions League so gut wie lange nicht mehr. Arsenal ist in der Liga mit nur einem Punkt Rückstand Zweiter hinter Chelsea, steht im Pokal im Viertelfinale und ist auch in der Champions League noch dabei. Doch wie die gesamte Renaissance des seit acht Jahren titellosen Teams, so wirkt auch das Optimismus-Niveau im Verein weiterhin recht instabil.

Wenger hat schon vor Wochen signalisiert, dass er seinen im Sommer auslaufenden Vertrag zu verlängern gedenke, aber der Klub ist sensibel genug, um einen günstigen Zeitpunkt abzuwarten. Man will negative Reaktionen an der Basis zu vermeiden. "Die Fans wollen keine Veränderung auf der Trainerbank, aber sie wollen, dass sich der Trainer verändert," schrieb Arsenal-Hofberichterstatter John Cross (Mirror), ein erklärter Wenger-Sympathisant, vor einigen Tagen; dies wäre der "schlechteste mögliche Moment" für ein Bekenntnis zu dem 64-Jährigen.

Taktisch unflexibel

Die Vorbehalte sind zum Teil ganz schlicht ergebnistechnischer Natur. Wenger kann zurecht darauf verweisen, dass sein nachhaltig wirtschaftender Klub im Zuge des Aufstiegs der Milliardärsmannschaften Chelsea (2003) und Manchester City (2008) hinter Manchester United objektiv und finanziell nur noch die vierte Kraft in der Liga ist. Das entschuldigt jedoch nicht, dass Arsenal seit 2005 nicht einen der beiden englischen Pokale gewinnen konnte. Minderbemittelte Teams wie Swansea, Wigan oder Birmingham haben dies im selben Zeitraum geschafft.

Wenger gilt als taktisch unflexibel und etwas altmodisch: eingehende Videoanalysen stehen nur selten an. Gewichtiger aber sind die Zweifel an seiner schwer nachvollziehbaren Transferpolitik. Der Franzose gab im demonstrativen Gegensatz zur angeblich "Finanzdoping" (Wenger) betreibenden Konkurrenz jahrelang den überzeugten Verfechter eines extremen Jugendstils. Teure Stars würden seine Talente nur zerstören, erklärte er. Das war aber, wie sich mittlerweile herausstellte, nicht die ganze Wahrheit. Der Verein unterlag wegen der hohen Kosten für das 2006 eröffnete Emirates-Stadion einem Sparzwang.

Enorme Umsatzzuwächse durch Sponsorendeals und Fernsehverträge - Arsenal wies im letzten Halbjahr Einnahmen von 163 Millionen Euro auf - haben den Handlungsspielraum nun deutlich vergrößert. Alle, die nach dem Rekordtransfer von Mesut Özil im Sommer auf eine neue Ära der teuren Stars hofften, wurden jedoch im Januar von Wenger bitter enttäuscht.

Während Chelsea den Serben Matic (25 Millionen Euro) kaufte und Manchester United 45 Millionen Euro für Juan Mata locker machte, bot Arsenal halbherzig für Julian Draxler und lieh dann auf den letzten Drücker den braven Wanderprofi Kim Kallström aus. Der Schwede kann wegen eines Rückenleidens aber erst im März spielen.

Wengers Knauserigkeit steht in einem problematischen Verhältnis zu den horrenden Preisen, die Fans im Stadion zahlen müssen. Arsenals Jahreskarten kosten bis zu 2600 Euro und gelten als die teuersten der Welt. Für das Match gegen die Bayern werden auch noch bis zu 160 Euro Sonderzuschlag fällig. Das sei "frustrierend", sagt Tim Payton vom Fan-Verband AST, "es liegt Geld auf der Bank, das nicht für Spieler ausgegeben wird und die Fans müssen trotzdem immer mehr zahlen." Der bisherige Saisonverlauf hat diese grundsätzlichen Spannungen nur übertüncht. Steht Wenger nach seinem "Olympia" ohne Medaille da, werden sie wieder auflodern.

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