Dopingfall Alex WilsonWenn das FBI einem Sportidol hinterhersprintet

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Da stand seine erste Dopingsperre kurz bevor: Alex Wilson bei einem Meeting in Luzern im Juni 2021.
Da stand seine erste Dopingsperre kurz bevor: Alex Wilson bei einem Meeting in Luzern im Juni 2021. (Foto: Olaf Rellisch/Beautiful Sports/Imago)

14 Jahre Dopingsperre: Der Aufstieg und Fall des Schweizer Rekordsprinters Alex Wilson zeigt, wie im Spitzensport heute gedopt wird – und was geschieht, wenn Ermittler mit staatlicher Hilfe das System offenlegen.

Von Johannes Knuth

Als Alex Wilson noch ein gewöhnlicher Sprinter war, war sein Markenzeichen das Schnurren, wie die Schweizer es nennen, wenn jemand einfach drauflos plaudert. Mal erzählte Wilson, wie er sich vor einem Rennen fast „in die Hosen“ machte, ehe er über die Kunststoffbahn trommelte. Dann wieder erinnerte er daran, wie er im Alter von 15 Jahren aus seinem Geburtsland Jamaika in die Schweiz gekommen war und kurz darauf seine Hand im Schnee einfror, was er mit heißem Wasser zu heilen versuchte.

Alex Wilson hat solche Geschichten mit der Leichtigkeit eines Menschen erzählt, der die Härten des Lebens hinter sich wähnte. Acht Jahre lang war er in Jamaika ohne die Mutter aufgewachsen, die zu ihrem Partner in die Schweiz gezogen war. Nachdem Wilson hinterhergezogen war, biss er sich durch, in der Schule, als Turnschuhverkäufer, ehe er selbst in Spikes zum schnellsten Sprinter des Landes aufstieg: 10,08 Sekunden über 100 Meter, 19,98 über 200, Schweizer Rekorde bis heute.

Mittlerweile ist der „Lieblings-Schnurri“, wie ihn der Boulevard taufte, verstummt. Dafür reden Anti-Doping-Ermittler, sogar die amerikanische Bundespolizei FBI, und die Staatsanwälte. So viel haben sie zusammengetragen, dass Swiss Sport Integrity, die Schweizer Anti-Doping-Aufsicht, den 34-Jährigen jetzt, da seine Vierjahressperre gerade ausgelaufen ist, für zehn weitere Jahre gesperrt hat. 14 Jahre Strafe, das überbieten im Spitzensport wohl nur noch lebenslang gesperrte Superdoper wie Lance Armstrong.

Vom Lieblings-Schnurri zum Doper, das erfasst allerdings nur einen Bruchteil dieser Geschichte. Sie zeigt vielmehr exemplarisch, mit welchen Schmierstoffen die Maschinerie des internationalen Hochleistungssports weiter geölt wird – und was möglich ist, wenn Ermittler aus dem Sport ihre Kräfte mit staatlichen Behörden verschweißen.

Dreh- und Angelpunkt ist wieder einmal der „Rodchenkov Act“: das amerikanische Anti-Doping-Gesetz, das nach jenem Kronzeugen benannt wurde, der 2015 die russische Staatsdopingaffäre ins Rollen brachte und in die USA floh. Das Gesetz zielt primär auf jene, die vor Sportgerichten oft unbehelligt bleiben: Ärzte, Betreuer, Funktionäre. Eingreifen darf die US-Justiz rund um alle Sportereignisse, bei denen auch nur ein amerikanischer Dollar bewegt wird. Also fast überall. Der organisierte Sport wehrte sich lange dagegen – nicht ganz zu Unrecht, da ein Land sich hier zur globalen Dopingpolizei aufschwingt. Andererseits: Wenn ein Gesetz so angewendet wird wie im ersten Fall des „Rodchenkov Acts“, den ein Gericht im Vorjahr abschloss, gehen Kritikern recht schnell die Argumente aus.

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Ein Zeuge hatte im Jahr 2020 die US-Anti-Doping-Behörde Usada über verdächtige Vorgänge alarmiert, die Usada zog das FBI hinzu. Nur so – mit Bundespolizei und Anti-Doping-Gesetz – konnten die Ermittler den Dopingdealer im Zentrum des Skandals belangen: Eric Lira, einen Texaner, der sich als Kinesiologe bezeichnete, vor Athleten auch mal als „Doktor“ auftrat und sie mit Dopingklassikern wie Wachstumshormon und Epo versorgte. Ein Bezirksgericht in New York verurteilte Lira im vergangenen Februar zu drei Monaten Haft. Ein mildes Urteil. Denn Lira hatte ausgepackt im Lichte erdrückender Beweise, die Ermittler auf konfiszierten Mobiltelefonen fanden. Die Integritätseinheit des Leichtathletik-Weltverbands (AIU) nutzte das Material, um die nigerianische Sprinterin Blessing Okagbare für elf Jahre zu sperren, ihren Landsmann Divine Oduduru für sechs.

Schon damals, im Jahr 2022, war in der Anklage von einem „Schweizer Athleten“ die Rede, der über Mittelsmänner bei Lira die einschlägige Produktpalette angefragt haben soll: Wilson. Und Lira gab freimütig Auskunft: „100 Millionen Stammzellen für 1900 Dollar“ – ein weiterer Hinweis auf Gendopingpraktiken im Spitzensport –, zwölf Milligramm Wachtstumshormon für 450 Dollar. Im Juni 2021 habe Lira den Schweizer Athleten persönlich mit Wachstumshormon und dem Blutbeschleuniger Epo versorgt. Wenige Wochen später rannte Wilson bei einem Meeting in Georgia 9,84 Sekunden, ein vermeintlicher Europarekord über 100 Meter. Die Fabelzeit wurde zwar nie ratifiziert, die Zeitmessung entsprach nicht den Statuten. Aber der Schnurri wirkte plötzlich wie ein olympischer Medaillenfavorit.

Tatsächlich steckte Wilson da bereits in Nöten: Ein Test der Schweizer Dopingjäger hatte kurz zuvor auf ein Steroid angeschlagen, Trenbolon. Wilson erklärte, das Mittel müsse durch verunreinigtes Fleisch in seinen Körper gelangt sein. Eine Ausrede, die ihm, wie aus Liras Anklage später hervorging, der Dealer empfohlen hatte. Die Sportinstanzen sperrten Wilson trotzdem für vier Jahre, noch vor den Tokio-Spielen 2021.

Die meisten Fälle im Spitzensport enden hier. Doch die US-Ermittler hatten noch allerhand Chats und Aussagen von Wilsons Dealer parat, die sie an die Schweizer Anti-Doping-Ermittler weiterreichten. Deren Resümee, das sie jetzt publiziert haben, ist eindrücklich. Wilson habe in der Datenbank, in der Athleten stets ihren aktuellen Aufenthaltsort angeben müssen, falsche Angaben gemacht, damit Kontrolleure ihn nicht finden. Zudem habe er diverse Dopingsubstanzen besessen. Mit dem Wissen aus Übersee testeten die Dopingjäger auch eine Blutprobe Wilsons vom Juli 2021 erneut – und stießen auf Epo. Hatte Wilson zunächst bestritten, mit Epo gedopt zu haben, sei er zur Hauptverhandlung zuletzt schlicht nicht mehr erschienen, teilte Swiss Sports Integrity mit.

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Ohne Amtshilfe aus den USA wäre das kaum möglich gewesen. Wilsons Blutprobe vom Juli 2021 wurde etwa, wie die Schweizer Anti-Doping-Agentur auf Anfrage erklärte, „ursprünglich zu anderen Zwecken als der Analyse auf Epo entnommen“. Es ist die Krux der Dopinganalytik: Man muss schon sehr genau wissen, wonach man suchen sollte – und wann. Bei oft knappen Ressourcen der Agenturen ein schwieriges Unterfangen, bei der aufwendigen Epo-Analytik, die ein kleiner Kreis an Wissenschaftlern verhandelt, umso mehr. Brett Clothier, Chef der Leichtathletik-Einheit AIU, sagte erst kürzlich, wie schwer man es gegen viele Doper habe: „Sie nutzen Mikrodosierungen und Methoden, die nur kurz nachweisbar sind. Wir müssten Athleten heute oft Stunden, nachdem sie eine Substanz genommen haben, testen.“

Und Eric Lira? Der ist längst verurteilt, sein Fall beschäftigt den Sport indes munter weiter. In der vergangenen Woche bekannte sich einer der mutmaßlichen Komplizen vor Gericht schuldig: O’Neil Wright, ein einstiger College-Sprinter, räumte ein, mit Dopingmitteln gehandelt zu haben, während er Profiathleten betreute, darunter den Schweizer Wilson. Wright drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Auch ein zweiter Trainer und mutmaßlicher Komplize ist angeklagt: Dewayne Barrett, dessen Portfolio einen Appetitzügler namens Phentermin enthalten haben soll. Den fanden Dopingjäger in einer Probe der Dreispringerin Sabina Allen, die einst bei O’Neil Wright trainierte. Allen wurde für vier Jahre gesperrt.

O’Neil Wright, der wohl bald verurteilte Leichtathletiktrainer, rühmt sich übrigens bis heute auf einer Internetseite für seinen einstigen Kundenstamm: Liberias Nationalteam, „38 Landesmeister aus 16 Ländern“, „aktuell fünf NFL-Spieler“, also Profis aus der weltweit besten Football-Liga. Klingt nach Potenzial für die eine oder andere weiterführende Ermittlung oder interessante Erkenntnis.

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