Bundesliga:BVB wartet auf den Nikolaus

Bundesliga: Kann es nicht fassen: Lucien Favre beim Spiel gegen Paderborn

Kann es nicht fassen: Lucien Favre beim Spiel gegen Paderborn

(Foto: Ina Fassbender/AFP)
  • Auch das 3:3 gegen Paderborn zeigt, dass der Kader von Borussia Dortmund und Trainer Lucien Favre nicht zusammenpassen.
  • Die BVB-Bosse leiden zurzeit darunter, dass sie das Momentum für Trainerwechsel seit Jahren nicht mehr richtig erwischt haben

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Mit etwas Sarkasmus ließe sich das Wochenende von Borussia Dortmund so zusammenfassen: Präsident Reinhard Rauball auf der Mitgliederversammlung ohne Gegenstimme wiedergewählt, Aufholjagd gegen Paderborn geschafft, Rückstand auf den Tabellenführer Mönchengladbach auf fünf Punkte verkürzt, Trainer Lucien Favre fährt mit der Mannschaft optimistisch zum Gruppenfinale in der Champions League beim FC Barcelona.

Die Wirklichkeit klingt dagegen eher nach Pfeifkonzert. Gepfiffen wurde am Sonntagmittag, als die Lizenzspieler in die schwach besuchte Mitgliederversammlung in der Westfalenhalle einmarschierten; erst recht gepfiffen wurde am Freitagabend im Stadion, als sich der BVB gegen den Tabellenletzten in der Nachspielzeit zu einem 3:3 rettete, nach 0:3-Rückstand bei Halbzeit. Und nach einer Leistung, die Kapitän Marco Reus nach dem Abpfiff so beschrieb: "Man musste sich schämen, so wie wir gespielt haben. Ich kann mich nur bei den Zuschauern entschuldigen. So dürfen wir nie, nie wieder auftreten."

"Aber eins ist klar: Am Ende ist Fußball immer über Ergebnisse definiert"

Beim anderen deutschen Spitzenklub, beim FC Bayern, hätte eine Vorstellung wie die des BVB mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu einer schnellen Beurlaubung des Trainers geführt. Vor allem im Kontext einer Serie von mehr als wechselhaften Leistungen und einer immer deutlicheren Diskrepanz zwischen der fußballerischen Philosophie des Trainers und den natürlichen Eigenschaften des teuren Kaders.

In Dortmund aber gehen die Uhren anders. Am Freitagabend, nach der gerade noch abgewendeten Katastrophe gegen den kleinen westfälischen Nachbarn, gingen die leitenden Borussen um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Michael Zorc, Lizenzspieler-Chef Sebastian Kehl und Berater Matthias Sammer zwar in eine inoffizielle Sondersitzung, die bis spät in die Nacht dauerte. Aber das Ergebnis der Sitzung war, dass man weiter abwarten will. Besser gesagt: abwarten muss. Denn zu jeder Trainerentlassung gehört auch die Nachfolge-Regelung. Und da sind Watzke und Zorc gebrannte Kinder.

Am Sonntag, als sich Trainer und Spieler die Buh-Rufe der nur 800 erschienenen Mitglieder abgeholt hatten, glättete Watzke erst mal die Wogen: ein paar Erfolgszahlen aus der Finanzbilanz, ein bisschen Schelte für jene, die am Freitag im Vollfrust die Konter der Paderborner beklatscht hatten, Appelle an Solidarität; und zuletzt eine Aufforderung an den Trainer, dass letztlich er für mehr Leidenschaft und Engagement zu sorgen habe. Watzke sagte: "Lucien, du hast weiterhin unser Vertrauen. Aber eins ist klar: Am Ende ist Fußball immer über Ergebnisse definiert."

So klingt ein Vertrauensbeweis, der nur sehr begrenzt ein Vertrauensbeweis ist.

Der Terminkalender ist eng, Kandidaten für eine Nachfolge von Favre gibt es kaum auf dem Markt. Und so haben sie sich beim BVB fürs Weiterwurschteln entschieden. Das geht vor allem deshalb, weil die Tabellenspitze trotz der ständigen Dortmunder Punktverluste noch in Sichtweite ist. Die Bayern marschieren nicht vorneweg wie sonst, Mönchengladbach hat die seit Jahren für einen Spitzenreiter geringste Punktzahl nach zwölf Spieltagen. Diese Wetterlage lässt noch immer Zeit zum Lavieren, auch wenn seit Wochen alle Verantwortlichen wissen, dass eine Wende mit Favre als Trainer unwahrscheinlich ist.

Das Momentum für Wechsel nie richtig erwischt

Seit Monaten plagt sich Dortmund mit dieser schleichenden Erkenntnis, aber seit dem Abschied von Jürgen Klopp im Jahr 2015 hat es mit der Besetzung des Trainerpostens immer wieder Frust gegeben. Zuerst kam Thomas Tuchel, damals der meistbegehrte deutsche Trainer. Das lief sportlich ganz gut, aber menschlich war man mit Tuchel schon nach der ersten Saison komplett über Kreuz. Die zweite endete zwar mit dem Pokalsieg 2017, aber auch mit einem Rausschmiss des Trainers. Damals schon gab es kaum geeignetes Ersatzpersonal. Wunschtrainer Julian Nagelsmann war in Hoffenheim gebunden, Lucien Favre in Nizza. Peter Bosz kam als Überraschungskandidat und war schon im Dezember wieder draußen, als ihn der Notfall-Trainer Peter Stöger, gerade in Köln entlassen, betont aushilfsweise ersetzte. Am Ende reichte es um Haaresbreite zum Champions-League-Platz. Da saß die Angst vor der nächsten Trainer-Pleite den Verantwortlichen schon im Nacken.

Dann kam Favre, weil Nagelsmann inzwischen in Leipzig unterschrieben hatte, und es ging mit Favre wunderbar los. Dortmund enteilte allen, auch dem FC Bayern mit Niko Kovac. Dann kam die Rückrunde, und die Mannschaft zauderte, zögerte, schien nicht mehr zu wissen, was sie eigentlich soll und was sie eigentlich kann. Aus neun Punkten Vorsprung wurden zwei Punkte Rückstand am Saisonende. Längst hatten sie da in Dortmund verstanden, dass Favre mit seiner auf Spielkontrolle und Vorsicht geeichten Spielidee nicht ideal zu Stärken und Schwächen des Dortmunder Kaders passt. Aber wer wirft schon einen Vizemeister-Trainer raus, zwei Jahre nachdem man einen Pokalsieger-Trainer gefeuert hatte? Dortmunds Bosse baden heute aus, dass sie das Momentum für Wechsel nie richtig erwischt haben.

In der neuen Saison setzt sich nur fort, was schon in der vorigen Rückrunde sichtbar wurde. Der für viele Teams taugliche Trainer Favre und der Kader des BVB: Das ist ein Missverständnis. Niemand kann und will das in Dortmund öffentlich eingestehen, weil ein Wechsel des Trainers dann unausweichlich wäre. Interessant, wie Marco Reus das Dilemma auf den Punkt brachte: "Wir spielen im Moment immer dann gut, wenn wir das Gefühl haben, dass wir nichts mehr zu verlieren haben."

Soll wohl auch heißen: Der Trainer überfrachtet die Spieler mit taktischen Aufträgen, und wenn bei Halbzeit etwas nicht funktioniert hat, spielt die Mannschaft offenbar auf eigene Faust, nach dem alten Beckenbauer-Motto: Geht's raus und spielt's Fußball! Die Offensivwucht des BVB walzt dann manchen Gegner noch nieder. Umgekehrt tut sich Favres Elf mit einem Vorsprung schwer, weil der soll dann verteidigt werden - was dem BVB-Kader nicht liegt. Gegen Frankfurt, Bremen und Freiburg büßte Dortmund allein sechs Punkte durch Unentschieden nach Führung ein. Erkannt haben das alle, auch viele Spieler. Im Unterbewusstsein fehlen offenbar oft jene Prozente an Konzentration und Unbeschwertheit, die man braucht, um Spiele selbst gegen Teams wie Paderborn zu gewinnen.

Einen wie Hansi Flick haben sie in Dortmund nicht parat

Dortmunds Festhalten am Trainer hat weniger mit Gutmenschentum zu tun, eher mit der Verweigerung von Entscheidungen, die man für richtig hält. Allerdings wissen Watzke und Zorc natürlich, dass der Markt für Nachfolger klein wäre. In Dortmund haben sie vielleicht ihre eigenen Trainertalente aus der zweiten Mannschaft übersehen, aber sie haben auch nie in die Zeitabläufe gepasst. David Wagner brachte die Nobodies von Huddersfield in die Premier League und macht gerade einen sehr vielversprechenden Job auf Schalke. Daniel Farke ließ man zu Norwich City ziehen, wo er ebenfalls den Aufstieg in Englands höchste Spielklasse schaffte. Beide gelten aber immer noch nicht als standesgemäß für den Kader des BVB. Und beide sind in laufenden Verträgen.

Immerhin stehen beide, Wagner und Farke, für den energischen Pressing-Fußball, der besser zum BVB passt als der Taktik-Rucksack von Favre. Der bei Tottenham entlassene Mauricio Pochettino wäre denkbar, aber an dem Argentinier klebt offenbar ein Preisschild von rund 13 Millionen Pfund, die der Trainer verlieren würde, wenn er schon in der laufenden Saison anderswo anheuern würde. Und ob Niko Kovac nach dem Aus beim FC Bayern sofort beim Konkurrenten vorzeigbar wäre, ist ebenso fraglich. Auch Kovac steht im Übrigen eher für einen abwartenden Stil.

Einen wie Hansi Flick haben sie in Dortmund nicht parat. Auch deshalb warten sie. Könnte ja sein, dass am Mittwoch in Barcelona die Wende kommt, oder danach, bei Hertha BSC. Oder der Nikolaus kommt und bringt den passenden Trainer.

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