Süddeutsche Zeitung

Favoritenstolpern geht weiter:Doppelte Demütigung

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Schweden, Co-Gastgeber der EM, blamiert sich gegen Portugal und verspielt so gut wie alle Chancen aufs Halbfinale. Hinzu kommen Disziplinlosigkeiten abseits des Platzes.

Von Joachim Mölter, Malmö/Wien

Die ersten unter den 10135 Zuschauern in der Malmö-Arena packten am Freitagabend zehn Minuten vor Schluss der EM-Partie zwischen Schweden und Portugal ihre Sachen, sie konnten das einseitige Spiel zwischen dem Rekord-Europameister im Handball und dem erstmals seit 2006 wieder bei der EM mitmachenden Außenseiter nicht länger anschauen. Sie wollten sich das bittere Ende ersparen.

Schlimm genug, dass die als EM-Zweite von 2018 mit großen Ambitionen in das Turnier gestarteten Schweden zum ersten Mal überhaupt gegen Portugal verloren. Noch schlimmer, dass sie damit ihre Chance auf die Halbfinal-Teilnahme so gut wie verspielt haben. Am schlimmsten aber, dass die Niederlage auch noch so hoch ausgefallen war: 25:35 (12:15). Höher haben schwedische Handballer bei einer EM noch nie verloren. Und sie taten das zu allem Übel im eigenen Land, in dem sie in einer Woche sogar um den Titel hätten kämpfen können bei diesem in drei Ländern ausgetragenen Turnier. In der 22000 Zuschauer fassenden Arena von Stockholm werden vermutlich viele Plätze leer bleiben am Final-Wochenende.

"Das ist eine riesige Enttäuschung", sagte Kreisläufer Jesper Nielsen und untertrieb damit schamlos. Für eine Handball-Großmacht wie Schweden war das eine Demütigung, wie es sie bei einem kontinentalen Turnier erst selten gegeben hat, wenn überhaupt. "Da muss man nicht lange diskutieren", fand Co-Trainer Mats Olsson: "Vor allem in der zweiten Halbzeit war Portugal besser als wir. Sie waren sehr diszipliniert."

Drinks und Wein

Einige Auswahlspieler der Schweden waren hingegen vor der Partie undiszipliniert gewesen. Spielmacher Jim Gottfridsson, bei der EM 2018 als bester Mann des Turniers ausgezeichnet, sowie seine Teamkollegen Lukas Nilsson, Kim Ekdahl du Rietz und Andreas Nilsson hatten nach dem Umzug von der Vorrunde in Göteborg zur Hauptrunde in Malmö am Mittwochabend in einer Bar gefeiert. Wie die schwedische Zeitung Aftonbladet berichtete, hätte das Quartett vor den Augen anderer Gäste Drinks und Wein geordert, allerdings keinen angetrunkenen Eindruck gemacht. Schwedens Teamführung wusste nichts von dem abendlichen Ausflug, Trainer Kristjan Andresson sagte später nur, er sei enttäuscht. "Wir haben die Situation falsch eingeschätzt. Wir entschuldigen uns beim gesamten Team, bei unseren Anhängern und bei all denen, die daran arbeiten, die EM zu einem großartigen Turnier zu machen", wurde Gottfridsson später auf der Homepage des Verbandes zitiert.

Die Vorbereitung auf die Partie gegen Portugal war damit empfindlich gestört. Die schwedische Mannschaft hatte von Anfang an Schwierigkeiten, dabei hätte sie gewarnt sein müssen: In der Vorrunde hatten die Portugiesen bereits den Rekord-Weltmeister Frankreich besiegt und für dessen vorzeitige Heimreise gesorgt. Zudem berichtete Schwedens Torhüter Andreas Palicka, dass er durch Champions-League-Übertragungen Bescheid wusste über das Sieben-gegen-Sechs-Spiel des FC Porto. Der Klub stellt den Kern der portugiesischen Auswahl und hat das Überzahlspiel prima einstudiert, bei dem der Torwart zugunsten eines weiteren Feldspielers vom Platz genommen wird. Das leere Tor ist zwar ein Risiko, das die Schweden auch mal ausnutzten. Aber der Vorteil im Angriff überwog, wie Palicka einräumte: "Sie haben sich das für die zweite Halbzeit aufgehoben, und diese Aufgabe haben wir heute nicht lösen können." Kreisläufer Nielsen fand sogar: "Bei uns ging heute gar nichts in die richtige Richtung."

Bei noch drei ausstehenden Partien in der Hauptrunde deuten alle Signale für Schweden in Richtung vorzeitiges Aus. Norwegen und Slowenien führen die Gruppe II mit je 4:0 Punkten an, danach kommen Portugal und Ungarn (je 2:2), am Ende rangieren Schweden und Island (beide 0:4). "Wir müssen alle drei Spiele gewinnen und dann hoffen, dass die anderen Ergebnisse uns entgegenkommen", rechnete Jesper Nielsen grob vor und fügte hinzu: "Wir müssen eine ganze Menge korrigieren, und wir haben nicht viel Zeit dafür." Bereits am Sonntagabend bestreiten die Schweden ihre nächste Partie, gegen die bislang souverän auftretenden Norweger. "Das ist ein Spiel, das wir gewinnen müssen", sagte Jesper Nielsen am Freitagabend, ehe ihm einfiel: "Das Spiel gegen Portugal hätten wir auch schon gewinnen müssen, und da haben wir versagt."

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SZ vom 19.01.2020
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