Süddeutsche Zeitung

Ansu Fati vom FC Barcelona:"Von welchem Planeten kommst du?"

  • Vor dem Champions-League-Auftakt des FC Barcelona in Dortmund gilt der 16-jährige Anssumane Fati als große Hoffnung der Katalanen.
  • Während Kapitän Messi wohl nicht über 90 Minuten spielen kann, verzückt das neue Juwel von Barcelona die spanischen Medien und Anhänger mit seinen Toren.

Von Javier Cáceres

Wer sich einen Begriff davon machen wollte, was für einen Wahnsinn der Teenager Anssumane Fati in Barcelona ausgelöst hat, der musste am Samstag bloß Radio hören. Onda Cero zum Beispiel, einen der größten Sender Spaniens.

"Er ist ein Auserwählter, von den Göttern berührt!", brüllte der Stadionreporter Alfredo Martínez in sein Mikrofon, als er die Szene schilderte, die sich soeben im Camp Nou zugetragen hatte. "Zweite Minute der ersten Halbzeit!", fuhr er fort, erregt wie nur selten, "Carlos Pérez auf de Jong, im Inneren des Strafraums, spielt den Ball auf den Elfmeterpunkt, und dann kommt er: der Kaiman, der Nachfahre der Mandinga, aus Guinea-Bissau, der neue Star des Fußballs, die junge Waffe des FC Barcelona... Merkt euch diesen Naaaaamen: Anssumane Fati! Geboren, um Torjäger zu sein! Geboren, um im Camp Nou zu treffen!!!!"

Tags drauf paraphrasierte die Zeitung Sport eine andere, legendäre Radio-Livereportage. "Von welchem Planeten kommst du?", fragte das Blatt auf der Titelseite - und rekurrierte damit auf einen der legendären Sätze, mit denen Víctor Hugo Morales das mythische Tor des Argentiniers Diego Maradona gegen England bei der WM 1986 unsterblich machte.

Sechzehn Jahre, zehn Monate und 13 Tage war Fati am Samstag alt; die Last, als hochtalentierter Frühreifer zu gelten, war ihm bislang nicht anzusehen. Zu unbekümmert wirkte er bei seinen Auftritten. Dem Startelfdebüt vom Samstag gegen den FC Valencia (5:2) waren zwei Einsätze vorangegangen. Bei seinem ersten Pflichtspiel mit den Profis wurde Fati gegen Betis Sevilla zum zweitjüngsten Spieler der Klubgeschichte, der in der ersten Mannschaft spielen durfte. Danach löste er bei CA Osasuna den späteren Mainzer Bojan Krkic als jüngsten Barça-Torschützen ab. Das war noch der humanste Vergleich, die Zeitungen suchten in den Archiven nach anderen berühmten 16-Jährigen und blieben bei Gullit, Robben, Pirlo, Maldini, Totti und Rooney hängen. Und so gilt Fati vor dem Champions-League-Spiel bei Borussia Dortmund als Barças große Hoffnung.

Kapitän Lionel Messi meldete sich am Montag nach einer Wadenverletzung zwar gesund, ein Einsatz über 90 Minuten gilt aber als utopisch. Fati hingegen ist Startelfkandidat. Sollte er noch treffen, winkt ein Rekord. Er würde Peter Ofori-Quaye von Olympiakos Piräus (17 Jahre, 195 Tage) als jüngsten Champions-League-Torschützen der Geschichte ablösen.

"Wie ein glücklicher, halluzinogener Pilz" sei Fati aufgetaucht, schrieb der Schriftsteller Sergi Pàmies in La Vanguardia; Barça kam die Droge gut zupass. Seit längerem wurde in der Stadt gemäkelt, dass die Absolventen der Nachwuchsakademie "La Masía" es kaum ins erste Team schaffen. Mit zwei Toren in 117 Erstligaminuten erstickte Fati aber auch andere Debatten. Der zum FC Bayern verliehene Coutinho? Vergessen. Messis öffentlich geäußerte Verärgerung mit dem Präsidium? Egal. Stattdessen wirft Fati die Frage auf, ob es wirklich nötig ist, Neymar von Paris Saint-Germain zurückzuholen (und Messi zu besänftigen). Und der zurzeit wieder einmal verletzte Ex-Dortmunder Ousmane Dembélé dürfte ahnen, dass er sich hinter Fati anstellen muss. Zumal Fati geliebt wird, weil sein Werdegang fast zu schön klingt, um wahr zu sein.

Nach dem Debüt gegen Betis Sevilla war der Vater, Bori Fati, auf dem Weg zur Straßenbahn, als er live im Radiosender Cadena Cope so erschöpfend über seinen Sohn Auskunft gab, dass ihn der Klub bat, öffentliche Auftritte zu drosseln. Die Koordinaten des Fußballmärchens waren da schon in der Welt. Bori Fati sei aus Guinea-Bissau erst nach Portugal ausgewandert, dann in ein Dorf in Andalusien weitergezogen, Marinaleda, von dem er gehört hatte, dass Einwanderer dort willkommen seien. Das Dorf ist überregional bekannt, weil es seit 1979 durch eine Vollversammlung der Einwohner verwaltet wird, Bürgermeister ist Juan Manuel Sánchez Gordillo, der berühmt ist für seinen Fidel-Castro-Bart überm Palästinensertuch und mal als Anarchist, mal als Kommunist bezeichnet wird.

Bori Fati sagte, er habe sich als Fahrer verdingt - mal heißt es, er sei Chauffeur von Sánchez Gordillo gewesen, mal wieder, dass er Müllfahrer war. Sein Sohn Ansu wiederum sei mit sechs, sieben Jahren nach Spanien nachgekommen, sagte Bori Fati, er will keine Ahnung gehabt haben, dass der Filius Fußball spielte. Bis eines nachts das halbe Dorf vor der Tür gestanden habe: "Du hast keine Ahnung, wen du da hast."

Der FC Sevilla holte Fati in die Jugend, dann unterlag der Klub aber - wie Real Madrid - im Wettbieten mit Barça. Sevilla versuchte noch, ihn zu halten, ließ ihn neunjährig ein Jahr nicht spielen. Doch Fati setzte sich durch. Mittlerweile verdient er sechsstellig; die Ablösesumme ist bei 100 Millionen Euro festgeschrieben, Spaniens Verband will ihn eingebürgert sehen. Fati ist wohl willens, für Spanien aufzulaufen. Das Zeug dazu hat er. Doch Vorschusslorbeeren eignen sich prima, um ein Fegefeuer zu entfachen. "Wir müssen ihn schützen", sagt Trainer Valverde.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2019/jki
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