Daniel Farke in der Premier League:Gefeiert und gefeuert

Brentford v Norwich City - Premier League

Ist das etwa die feine englische Art? Am Samstag feierte Daniel Farke mit Norwich City den ersten Saisonsieg - wenige Stunden nach dem 2:1 gegen Brentford war er als Trainer des Aufsteigers entlassen.

(Foto: Marc Atkins/Getty Images)

Wenige Stunden nach dem ersten Saisonsieg mit Aufsteiger Norwich City wird der deutsche Trainer Daniel Farke entlassen. Der Schritt stand schon vor dem Spiel fest.

Von Sven Haist, London

Auch nach dem ersten Saisonsieg für Norwich City in der Premier League ließ Daniel Farke seinen Spielern den Vortritt. Aus dem Hintergrund beobachtete Farke die Freude und Erleichterung seiner Profis, die den Fans einen Besuch in der Stadionkurve abstatteten. Als die Spieler für das hart erkämpfte 2:1 bei Mitaufsteiger FC Brentford bejubelt worden waren, forderten die Anhänger auch ihren deutschen Trainer auf, nach vorne zu treten. Allein löste sich Farke, dem Eigenlob fremd ist, aus dem Pulk und lief auf die Fans zu, die sich mit einer Standing Ovation vor ihm verneigten. Sie warteten darauf, dass Farke wieder seine Hände zur Welle in die Luft heben würde - so, wie er das in seiner viereinhalbjährigen Amtszeit stets nach Siegen getan hat. Und natürlich hielt Farke sein Versprechen: Einmal, zweimal, dreimal und sogar ein viertes Mal riss er die Arme nach oben. Dann legte er seine Hand aufs Herz und verabschiedete sich - auf unabsehbare Zeit, wie sich kurz danach herausstellen sollte.

Quasi aus dem Nichts gab Norwich am Samstagabend circa zweieinhalb Stunden nach der Jubelarie nach Spielende bekannt, die Zusammenarbeit mit Farke und seinen drei engsten Mitarbeitern zu beenden. Zu diesem Schritt hatte sich der Vorstand um das Besitzer-Ehepaar Delia Smith (Fernsehköchin) und Michael Wynn Jones (Verleger), beide 80 Jahre alt, bereits vor der Partie entschlossen, nachdem Sportchef Stuart Webber am Donnerstag eine Zukunft ohne Farke entworfen hatte. Das erklärte die betretenen Mienen der Klubverantwortlichen auf der Tribüne, obwohl Norwich ja durch die frühen Tore von Mathias Normann (6.) und Teemu Pukki (29./Elfmeter) erstmals in der Saison in Führung lag. In einer Mitteilung ließ Webber wissen, dass ihm diese Maßnahme "nicht leicht" gefallen sei, aber "jetzt der richtige Zeitpunkt" für den Bruch gekommen sei, um den Klassenerhalt zu schaffen.

Trotz aufsteigender Tendenz liegt der Klub als Tabellenletzter weiter fünf Punkte hinter einem Nichtabstiegsplatz. Den Beschluss reichte Webber, dessen Vertrag nächstes Jahr ausläuft, im Stadion an Farke weiter, als dieser seine Medienpflichten beendet hatte, in denen er noch seinen Plan für die zweiwöchige Ligapause präsentierte. Nach der Rückfahrt wendete sich Farke schließlich am Trainingsgelände in einer letzten Ansprache an Spieler und Mitarbeiter. Er tat das mit Anstand, auch wenn ihm die Freistellung sicherlich schwer zugesetzt haben dürfte.

Die Kündigung selbst dürfte Farke weniger überrascht haben als der Zeitpunkt dafür

Wie zu vernehmen war, soll Farke, 45, vorab nichts von seiner Entlassung gewusst haben, aber gänzlich überraschend dürfte sie für ihn nicht gekommen sein. Nach dem 0:7 beim FC Chelsea vor zwei Wochen versendete Webber erste Alarmsignale in Form einer ungewöhnlichen Ansprache, in der er seinem Trainer den Rücken stärkte ("Ihn in Frage zu stellen, wäre unglaublich unfair") - aber ebenso eine Reaktion aufs Debakel einforderte. Doch das Duell gegen Mitkonkurrent Leeds United ging wiederum verloren (1:2).

Einschneidender als die Leeds-Niederlage dürfte für Farke jedoch die (überzogene) Erwartungshaltung im Klub gewesen sein, nach den kostspieligen Sommerzugängen für circa 65 Millionen Euro, darunter die ehemaligen Bremer Milos Rashica und Josh Sargent, sofort konkurrenzfähig sein zu müssen in der anspruchsvollsten Liga der Welt. Zu präsent war in Norwich die Sorge vor einer Wiederholung des zurückliegenden sang- und klanglosen Abstiegs, als das Team vor zwei Jahren einen ähnlich miesen Start hinlegte. Dabei musste der Ostwestfale Farke in Emiliano Buendía (38 Millionen/Aston Villa) kürzlich einmal mehr seinen vermeintlich besten Spieler abgeben. Der für ihn geholte Grieche Christos Tzolis, 19, mit circa elf Millionen Euro Ablöse der Rekordtransfer in Farkes Ära, kam jedoch bislang nur sporadisch zum Einsatz. Ebenso wie der aus Chelsea geliehene Billy Gilmour, 20, dessen geringe Einsatzzeit kürzlich zum Politikum geworden ist. Erst als Chelseas Trainer Thomas Tuchel, der mit Farke einst bei Dortmund zusammenarbeitete, ein Machtwort sprach (indem er Gilmour anwies, sich durchzukämpfen), flaute die Debatte ab.

Aufgrund der anspruchsvollen Auftaktspiele mit einer immensen Anzahl an Gegentoren stärkte Farke im Herbst seine Defensive. Für die leichtfüßigen, spielstarken Gilmour und Todd Cantwell - mit Buendía und Torjäger Pukki zwei der Posterboys des Aufstiegs - war fortan kein Platz mehr in der Startelf. Zwei torlose Remis in Verbindung mit dem jetzt ersten Erfolg in der Premier League seit Februar 2020 deuteten an, dass Farke womöglich die Kurve gekriegt hätte - wenn der Klub ihn hätte weitermachen lassen. Bis nun ein neuer Trainer präsentiert wird, übernimmt dem Vernehmen nach Nachwuchsleiter Steve Weaver das Training.

Von 2017 hatte Farke aus wenig bekannten Profis ein schlagkräftiges Team geformt

Dabei schien das kongeniale Duo Webber/Farke unzertrennlich zu sein. Nach Sean Dyche (Burnley), Jürgen Klopp (Liverpool) und Pep Guardiola (Manchester City) war Farke sogar der dienstälteste Trainer der Liga. Erst im Sommer verlängerte er seinen Vertrag um vier Jahre, nachdem ihn der neu installierte Webber im Sommer 2017 gewissermaßen mit der ersten Amtshandlung nach Norwich gelockt hatte. Trotz der damals finanziell bedrohlichen Situation des Klubs schaffte es Farke, aus einer Reihe an wenig bekannten Profis ein schlagkräftiges Team zu formen, das einen bemerkenswert attraktiven Fußball spielte. Obwohl mehrere Klubs zwischenzeitlich auf Farke aufmerksam wurden, hielt er Norwich die Treue.

Als Dank für seine Arbeit verneigten sich seine Spieler mit teils rührenden Nachrichten am Sonntag vor ihrem Trainer. In 208 Spielen hat Farke den Klub zu 88 Siegen geführt und zu den beiden Aufstiegen 2019 und 2021. In dieser Zeit hat er die bereits für teures Geld verkauften James Maddison, Jamal Lewis, Ben Godfrey, Max Aarons und Buendía zu erweiterten Spitzenkräften entwickelt, genauso wie die weiterhin im Verein angestellten Pukki und Cantwell. Aber vor allem hat sich Daniel Farke selbst einen Namen als Spitzentrainer gemacht.

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