Fans und die Bundesliga:"Die Frage ist: Was für einen Fußball wollen wir?"

Helen Breit von der Organisation "Unsere Kurve" sagt: Die Pandemie legt die Schwächen des Systems offen.

Interview von Sebastian Fischer

44 Prozent der Fußballfans will wieder häufig zu Großevents

„Für mich ist es keine Alternative, Fußball im Fernsehen anzuschauen“, sagt Helen Breit – Fan des SC Freiburg.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Die Saison in der Bundesliga soll bald fortgesetzt werden, mit Geisterspielen ohne Zuschauer und mit diversen Sicherheitsvorkehrungen. Ob das die richtige Entscheidung ist, ist umstritten. Repräsentative Umfragen wie das ZDF-Politbarometer zeigen zwar, dass viele Bürger dafür zu sein scheinen. Die in den "Fanszenen Deutschland" zusammengeschlossenen Ultras haben sich in einer Stellungnahme aber zum Beispiel klar dagegen ausgesprochen. Die Organisation "Unsere Kurve" (UK), die organisierte Fans in ganz Deutschland vertritt, ist gemäßigter: In einer Stellungnahme in dieser Woche wurde der Fußball kritisiert, aber Geisterspiele wurden nicht kategorisch abgelehnt. Was UK von anderen Initiativen unterscheidet, ist laut eigener Webseite die Dialogbereitschaft mit Vereinen und Verbänden. So ist es auch in der Corona-Krise: In einer Ad hoc-Gruppe, an der Fan-Organisationen, DFB und DFL beteiligt sind, finden regelmäßig Schalten statt. Als UK-Vertreterin nimmt die Vorsitzende Helen Breit daran teil.

SZ: Frau Breit, werden Sie demnächst mit Freude Geisterspiele anschauen?

Helen Breit: Natürlich nicht. Weder mit Freude, noch kann ich sagen, ob ich sie mir überhaupt anschauen werde.

Warum?

Fußball findet für mich im Stadion statt. Ich besuche seit mehr als zehn Jahren fast alle Spiele des SC Freiburg. Für mich ist es keine Alternative, Fußball im Fernsehen anzuschauen, unabhängig von der Situation. Das ist die verkürzte Antwort.

Die längere Antwort ist eine ausführliche Stellungnahme von "Unsere Kurve", in der Sie beschreiben, dass Geisterspiele nur das Symptom eines schon lange kranken Fußballs seien. Zur aktuellen Situation sagen Sie: Eine Saisonfortsetzung mit Geisterspielen als Notfalllösung scheint wohl das geringste Übel zu sein, aber der Fußball muss Eingeständnisse machen, sich zu verändern. Richtig?

Im Fußball werden jedes Jahr Umsatzrekorde verkündet. Jetzt bringen neun Spieltage, die auszufallen drohen, nicht wenige Vereine in eine existenzbedrohende Situation (wegen der dann fehlenden TV-Einnahmen, Anm.). Die Vereine sind gefragt, offen zuzugeben, dass nicht Corona sie in eine prekäre Situation gebracht hat - durch Corona wurde die Situation erst sichtbar. Es braucht nicht nur Eingeständnisse, es braucht Schritte, die fixiert werden. Man könnte eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder anstreben. Und die Vereine könnten in den Lizenzierungsbedingungen dazu angehalten werden, Rücklagen zu bilden. Man kann Statuten ändern, das ist nicht völlig utopisch! Es wäre ein Zeichen, dass man das Problem erkannt hat. Das geht uns in der Debatte zu sehr unter.

Es gibt Funktionäre, die Ihre Ansichten zu teilen scheinen. Der Präsident des FC Augsburg, Klaus Hofmann, sagte zuletzt: "Wenn es Profivereine gibt, die Ende Mai nicht mehr liquide und daher im Grunde nur einen Monat durchfinanziert sind, dann ist das nicht mehr akzeptabel."

Wir würden uns wünschen, dass diese Vereine noch mehr ihre Stimme erheben. Natürlich gibt es solche Beispiele, in jeder Liga. Daran kann man sehen, dass es keine Utopie ist. Ich bin in der glücklichen Position, Fan des SC Freiburg zu sein. In Freiburg wird man damit groß, dass man Rücklagen bildet. Sicher, hier haben auch mal Leute gefragt: Können wir nicht irgendwann mal mehr anpeilen als den Nicht-Abstieg aus der ersten Liga als unser oberstes Ziel? Nee, können wir nicht. Und trotzdem kann Freiburg auch auf internationale Turniere zurückblicken, wenn auch meistens nur als Mini-Ausflüge.

Auch in anderen Sportarten wird recht bedingungslos in sportlichen Erfolg investiert. Und so manchem Manager eines sogenannten Traditionsklubs, dessen Fans sich nach Erfolgen sehnen, fällt es wohl eher schwer, mit Sparsamkeit zu argumentieren.

Die Frage ist: Was für einen Fußball wollen wir? Alle Beteiligten, auch Fans eingeschlossen, müssen sich dazu passend verhalten. Natürlich müssen Fans sich fragen: Bin ich bereit, dass mein Verein mal Zehnter wird, auch mal absteigt?

Ein Argument der Branche gegen dieses Denken ist der Verweis auf die internationale Konkurrenzfähigkeit. Deutschland würde womöglich drohen, hinter die anderen europäischen Ligen zurückzufallen.

Das ist das Standard-Argument, bei allen Fragen: Wenn wir das nicht machen, dann können wir nicht mehr mitspielen. Das ist ja absurd. Wir müssen national gesund sein und dann schauen, was wir international damit erreichen können. Es ist das Besondere am Geschäftsmodell Fußball, dass er sich selbst gesellschaftlichen Wert zuschreibt und ihn definitiv auch hat. Doch danach wird nicht gehandelt.

Wie bewerten Sie diesbezüglich das Krisenmanagement der Fußballbranche in der Pandemie?

Natürlich muss der Fußball offenlegen, dass es nun darum geht, wirtschaftlichen Schaden abzuwenden - und um nichts anderes geht es -, wenn wir über die Fortsetzung der Saison reden. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert hat das sehr offen gesagt, als er davon sprach, die Liga verkaufe ein Produkt. Deutlicher kann man das nicht sagen. Man hätte sich das sparen können, für Geisterspiele noch das Argument zu suchen, dass die Menschen Ablenkung brauchen.

Seit Beginn der Spielpause geht es viel um Solidarität, untereinander und mit der Gesellschaft. Ist der Fußball solidarisch genug?

Der Fußball müsste sich darüber verständigen, was er unter Solidarität versteht. Jeder Verein sollte erst mal bei sich selbst anfangen. Es ist natürlich schwierig, Fans zu erklären, dass sie auf die Rückerstattung ihrer Eintrittspreise verzichten sollen, wenn im Gegenzug Profis, die unfassbar viel Geld verdienen, auf einen vergleichsweise kleinen Betrag verzichten. Ich kenne Menschen, die von ALG II leben und eine Dauerkarte haben. Vereine, die auf so viel Geld verzichten, dass sie niemanden in Kurzarbeit schicken müssen, finde ich solidarisch. Dafür muss ich nicht wissen, wer wie viel dafür gegeben hat. Das Ergebnis ist greifbar.

In der Krise fallen viele Fans mit Solidarität auf, etwa durch Hilfsaktionen. Es wurde zuletzt immer wieder der Gedanke geäußert, dies könnte etwas am seit Jahren angespannten Verhältnis mit Klubs und Verbänden ändern. Glauben Sie das auch?

Ich würde mir wünschen, dass es dazu führen würde, dass der Fußball sieht, wie wertvoll das Engagement aktiver Fanszenen ist. Ich kann's mir schwer vorstellen, dass das nachhaltig in Erinnerung bleibt. Und die Überraschung darüber hat mich irritiert. Wie kann man überrascht sein, dass die Menschen, die mit ihrer Stadt und Region maximal verbunden sind, die sich im Fußball für Gerechtigkeit und Sozialverträglichkeit einsetzen, in Krisensituationen helfen? Wirklich schräg.

Es lag wohl daran, dass kurz vor der Saisonunterbrechung Fußball-Fans vor allem deshalb im Gespräch waren, weil sie Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp beleidigten. Hopp, für viele Fans Symbolfigur der Kommerzialisierung und in der Corona-Krise auch deshalb im medialen Fokus, weil seine Tübinger Biotechfirma Curevac nach einem Impfstoff forscht, hat zuletzt im ZDF-Sportstudio die Hoffnung geäußert, dass sich das Verhältnis entspannt. Berechtigt?

Das Verhältnis wird sich dann entspannen, wenn beide Seiten interessiert daran sind, den Konflikt zu lösen. Und es wäre ein langer und anstrengender Prozess. Ich habe noch kein Beispiel gesehen, wo eine Konfliktlösung über öffentliche Statements erreicht wurde. Es ist in dieser Zeit mühselig, darüber zu sprechen, aber der Konflikt wird nicht weg sein, genau wie viele Konflikte nicht weg sein werden. Das ist gerade die Sorge: Wenn jetzt in einem halben Jahr die wirtschaftliche Existenz gesichert ist, dann läuft alles so weiter wie vorher. Von den Fans werden in einem halben Jahr sicher nicht alle Kritikpunkte vor Corona mit anderen Maßstäben gesehen werden.

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