Süddeutsche Zeitung

Fans:Gutes Bier, gute Bratwurst, Fußball

In Zeiten leerer Arenen hierzulande suchen viele Fußballanhänger das Stadionerlebnis im Ausland.

Von Christoph Leischwitz

Es gab sie trotzdem, die Fans, die mir ihrer Mannschaft mitgereist sind, auch wenn sie gar nicht ins Stadion durften. Bis nach Lissabon fuhren sie sogar. Von dort wurde berichtet, dass sich eine hohe zweistellige Zahl von FC-Bayern-Fans am Estadio da Luz eingefunden hatte während des Champions-League-Finales. Sie verfolgten das Spiel dann auf ihren Tablets; was sie live mitbekamen, waren die Schreie der Klub-Mitarbeiter. Und damit es keine unnötige Diskussion gibt, wer nun die besseren Fans hat: Natürlich hat auch der Drittligist TSV 1860 München fanatische Anhänger, die ihrer Mannschaft überallhin folgen. Die Löwen hatten im Sommer ja sogar das Privileg, von Fenstern in der Grünwalder Straße das Geschehen auf dem Rasen auf der anderen Straßenseite zu verfolgen.

Doch es gibt in ganz Bayern auch Anhänger, die in den vergangenen Monaten ihre Farben ein wenig vernachlässigten. Weil es eine Sache gibt, die fast oder genauso wichtig ist wie die Liebe zum eigenen Klub: das Stadionerlebnis. Sie tummelten sich immer dort, wo es gerade erlaubt war, in Ungarn, in Tschechien, ja sogar in Finnland oder Estland, bei Fußballspielen, zu denen Besucher zugelassen waren. Wie zum Beispiel am 16. Juni beim ungarischen Erstligaspiel Zalaegerszegi gegen Honved Budapest (2:0). "4500 Zuschauer, da war eine super Stimmung, die Fans haben gut Gas gegeben da", erzählt einer, der dabei war.

Phillip Rapp ist direkt neben dem Grünwalder Stadion großgeworden, das Flutlicht schien in sein Kinderzimmer, wenn 1860 ein Abendspiel hatte. Er hat seit 1994 eine Jahreskarte, war aber auch früher schon zu anderen Stadien unterwegs, als Groundhopper; so nennt man Fans, die quasi Besuche von Fußballstadien sammeln wie andere Menschen früher Briefmarken. Aber wegen der Corona-Krise, das berichtet nicht nur Rapp, reisten zuletzt mehr Fans ins Ausland als sonst. Auch zu unterklassigen Spielen. "Das ist zu einer richtigen Pendelei geworden", sagt Rapp. Vor allem unter bayerischen und ostdeutschen Fans sei der Besuch tschechischer Stadien sehr beliebt - gutes Bier, gute Bratwurst, Fußball. Das vermittelte wohl auch ein Gefühl von Normalität in Krisenzeiten.

In Tschechien besuchte Rapp einmal ein Spiel der zweiten Mannschaft der Bohemians Prag, das im Grunde nur Teil eines Überbrückungsturniers war, um in Form zu bleiben. "Da waren ungefähr 200 Zuschauer, und 180 waren deutschsprachig", erzählt der 37-Jährige. Er selbst schätzt, dass er seit Ausbruch der Pandemie knapp 20 000 Kilometer gereist ist für den Fußball - alles mit dem Zug übrigens. Rapp sah Spiele in Lettland und Litauen, in Liechtenstein und der Schweiz. Die Spiele von Sechzig verfolgte er parallel in irgendeinem Livestream. Immerhin, sagt der vielgereiste Fan, sei ja das Handynetz quasi überall in Europa besser als in deutschen Fußballstadien.

Vor der Pandemie schien die Gruppe der Groundhopper Zulauf zu bekommen - und selbst währenddessen machte es den Eindruck, als würden es eher mehr als weniger. Das hängt auch damit zusammen, dass das Lager der richtig eingefleischten Fußballfans, egal, für welchen Klub sie schreien, sich ein wenig von den deutschen Ligen entfremdet hat. Viele sprechen sich klar gegen Geisterspiele aus und kritisieren den Verband, dem sie meist sowieso nicht wohlgesonnen sind. Und so gibt es genug, die ins Ausland fahren, anstatt ihrem eigenen Verein im Fernsehen zuzusehen. So berichtet der FC-Bayern-Blogger Peter Grad, dass es in der roten Fanszene durchaus unterschiedliche Meinungen gebe, wie die Mannschaft anzufeuern sei in diesen Tagen. Er selbst erhielt während des Champions-League-Finales um 21.41 Uhr, also kurz vor der Halbzeit, die Kurznachricht eines Hardcore-Fans: "Grüße aus der Tschechei." Grad fragte, ob es denn dort Fußball gebe und erhielt die Antwort: "natürlich. mit Zuschauern. deshalb sind wir ja da."

Die Frage ist nun, wie diese Fans mit dem Probemodell umgehen. "Hoffnung ist da", sagt Rapp, bald wieder ins Stadion zu können, auch wenn es sich erstmal um eine "Light-Variante" handele. Ohnehin gebe es noch viele Fragen. Weil etwa örtliche Gesundheitsbehörden der vorübergehenden Regelung, wonach ein Stadion zu 20 Prozent ausgelastet sein darf, immer sprichwörtlich einen Riegel vorschieben können. Und dann sei womöglich interner Unmut programmiert, denn: Wer darf nun rein, wer nicht? Rapp jedenfalls wird am kommenden Wochenende, wenn 1860 München in Meppen in die neue Saison startet, in Tschechien unterwegs sein. Und dort vermutlich weitere zahlreiche deutsche Anhänger treffen, selbst wenn daheim der Ball auch schon wieder vor Zuschauern rollt.

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SZ vom 17.09.2020
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