Fans:Das Ende des Mittelalters

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Etwa ein Drittel der Fans des FC St. Pauli sind Frauen. Nun werden diese mit der Foto-Ausstellung "Fan.Tastic Females - Football Her.Story"" gewürdigt. (Foto: Christian Charisius/dpa)

Frauen sind längst fester Bestandteil des Bundesligapublikums, nirgends so sehr wie beim FC St. Pauli. Der Hamburger Zweitligist zeigt nun erstmals in einer Ausstellung den Fortschritt - und eine "Wall of Shame".

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Als um 1910 die ersten Frauen beim Fußball auftauchten, waren sie quasi unsichtbar. Es gab sie, aber es wurde nicht über sie gesprochen. Maria Petri, Jahrgang 1939, musste sich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Fan des FC Arsenal im Stadion anhören: "Zurück in die Küche mit dir. Weiß dein Mann überhaupt, dass du hier bist?" Es gab aber auch halbherzige Avancen an mögliche weibliche Fans: Mal durften sie umsonst zuschauen, mal wurde ihnen, vor der Weltmeisterschaft 1966 in England, in einem Fernsehspot erklärt, was Abseits ist. Und was das Fußballspielen anging, galt bis Anfang der siebziger Jahre oft noch der Satz, Fußball zerstöre Frauenkörper und beeinträchtige die Gebärfähigkeit.

Heute sind die Frauen ein fester Bestandteil des Publikums. In Österreich sind inzwischen 38 Prozent der Zuschauer in der Männer-Bundesliga weiblich, in Deutschland 25 Prozent, wobei der FC St. Pauli mit 35 Prozent den höchsten Anteil hat. Am Hamburger Millerntor ist nun die erste Ausstellung über weibliche Fans zu sehen. "Fan.Tastic Females - Football Her.Story" heißt sie, Mittelpunkt sind 78 Porträts aus 21 Ländern. Die Ausstellung dauert vom 8. bis 22. September - und geht danach auf Deutschland- und Europatour.

Sechs verschiedene Kategorien wurden gebildet: "Weibliche Fans wie du und ich", "Weibliche Ultras", "Frauen in Führungspositionen", "Ikonen der Fankultur", "weibliche Fan-Netzwerke", "weibliche Fangruppen". Man erfährt, dass es in Österreich die "Sektion Menstruation" gibt und in der Slowakei die "Gangsters Girls". In Russland gibt es eine weibliche Hooligan-Gruppe. Im brasilianischen Recife übernahmen die Mütter von männlichen Hooligans den Ordnungsdienst und verhinderten Gewaltausbrüche. Seitdem 2018 auch in Saudi-Arabien das Stadionverbot für Frauen aufgehoben wurde, ist der Iran der einzige Staat auf der Welt, der es den Frauen noch immer nicht ermöglicht, bei einem Spiel dabei zu sein. Es sei denn, sie gehen als Männer verkleidet.

Die Liebe zum Spiel hat oft auch eine politische Dimension. Ay Ben, eine 38-jährige Innenarchitektin und Fan von Besiktas Istanbul, erzählt in einem der Interviews, die größtenteils von den Initiatorinnen Daniela Wurbs (einst Geschäftsführerin von "Football Supporters Europe") und Antje Grabenhorst geführt wurden, dass sie in 90 Minuten "alle Schwierigkeiten und die Probleme in meinem Land" vergisst. Daphne Goldschmidt, 33, ehrenamtliches Vorstandsmitglied von Hapoel Katamon Jerusalem, setzt sich dafür ein, dass Musliminnen, Jüdinnen und Christinnen zusammenspielen. In Deutschland sorgen Sandra Schwedler (FC St. Pauli) und Katharina Dahme (Babelsberg 03) als erste Aufsichtsratsvorsitzende dafür, dass progressive Politik gemacht wird. Und es gibt Grace Donald, Jahrgang 1924, die seit den dreißiger Jahren zum FC Clyde Glasgow hält. Die 94-jährige, die seit Kurzem das Haus nicht mehr verlassen kann, verabschiedete sich jüngst mit einer bewegenden Botschaft von ihrem Verein.

Aber - auch darum geht es den Initiatorinnen - es gibt noch immer sexistische Vorurteile, versinnbildlicht in einer "Wall of Shame". Das jüngste Beispiel: Eine Ultra-Gruppe von Lazio Rom forderte zum Saisonstart in der Serie A ernsthaft auf Flugblättern Frauen dazu auf, die vorderen zehn Reihen der Fankurve nicht mehr zu betreten. Diese seien einzig Männern vorbehalten. Die frühere Nationalspielerin Carolina Morace, Trainerin des neu gegründeten Frauen-Profiteams des AC Mailand, sagte: "Das sind vielleicht nur ein paar Idioten, aber es ist trotzdem nicht hinzunehmen. Ich hoffe, dass solche Leute nicht mehr ins Stadion dürfen." Sie sagte: "Offenbar befinden wir uns wieder im Mittelalter."

© SZ vom 09.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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