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Fans in der Bundesliga:Zögerlicher Aufbruch in den Stadien

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Halb leer auf Schalke, wenig los in Berlin: Nicht in allen Arenen werden die inzwischen großzügig bemessenen Zuschauer-Kapazitäten ausgeschöpft. Indiz für ein Ende des Fußball-Booms sind halbvolle Tribünen trotzdem nicht.

Kommentar von Philipp Selldorf

In den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts galt das von einem Bundesliga-Manager gesprochene Wort, dass Schalkes Platzwart nur das Flutlicht einschalten müsse - und schon würden Tausende und Abertausende ins Parkstadion kommen. So schön der Spruch damals war, so wenig entsprach er der ganzen Wahrheit, schon gar nicht in jenen insgesamt fünf Jahren, in denen Schalke bloß ein Zweitligist war.

Mancher dunklen Stunde wohnten damals nur die Loyalsten unter den Loyalen bei, dann verloren sich 7000 Leute auf 70000 Plätzen, die mehrheitlich und zu jeder Tages- wie Jahreszeit einem unerbittlich pfeifenden Zugwind ausgesetzt waren. Nur das Volksparkstadion in Hamburg, die Kölner Domplatte und die Felsen von Helgoland waren noch zugigere Orte.

Inzwischen sitzt oder steht man in Gelsenkirchen recht komfortabel, am Sonntag beim Spiel gegen Ingolstadt (3:0) hatten die Zuschauer sogar ein Dach über dem Kopf. Dennoch blieb der Besuch relativ bescheiden. Statt der amtlich zugelassenen 54000 kam nur die Hälfte. Vor Corona lag der Minusrekord für ein Punktspiel seit Eröffnung der Arena 2001 bei 58004 Zuschauern. 2017 war das, ebenfalls beim Duell mit Ingolstadt.

In Wolfsburg, Mainz oder Hoffenheim musste man schon vor der Pandemie nicht den Schwarzmarkt frequentieren

Für den enttäuschenden Zuspruch lassen sich sachliche Gründe aufzählen: Das Spiel fand diesmal sonntags um halb zwei statt, das Wetter war denkbar mies, der Gegner keine Attraktion. An Liga zwei muss sich mancher Schalker auch noch gewöhnen, außerdem hatte der Verein erklärt, dass er organisatorisch nicht imstande sei, die kurzfristig von der Landesregierung NRW gewährten Kapazitäten auszuschöpfen. Nach wie vor ist zudem der Besuch eines Fußballspiels in Fragen von Anreise, Einlass und Tickets eine logistische Herausforderung.

Am Ende ist Schalke wohl nur eines von vielen Exempeln für den noch zögerlichen Aufbruch der Profiklubs in die neue Zeit, in der die Corona-Beschränkungen fallen - und hoffentlich nicht mehr wiederkehren. Mancher Experte und Lobbyist hatte in der Zeit des Stillstands und der leeren Stadien eine "Entfremdung" der angeblich in vielerlei Hinsicht moralisch empörten Fans geweissagt und das Ende des Booms der Branche beschworen. Doch als drastischen Einbruch muss man die stellenweise vorhandene Zurückhaltung nicht gleich deuten.

Es ist wohl eher wie im echten Leben: Vereine und Volk finden durchaus zusammen, aber nicht überall fällt man sich gleich wieder in die Arme. In Köln tut man sich damit dank des Steffen-Baumgart-FC leichter, in Berlin aufgrund der Pal-Dardai-Hertha deutlich schwerer. Dass am Samstag gegen Freiburg lediglich 18000 ins Hauptstadt-Olympiastadion kamen, drückt sicher nicht ängstliche Vorsicht gegenüber großen Veranstaltungen oder allgemeinen Fußball-Verdruss aus, sondern ist die Antwort auf den aktuellen Werdegang des Vereins - tatsächlich müsste man an die 18000 ja Tapferkeitsmedaillen verteilen.

Ansonsten aktuell: ausverkaufte Häuser bei reduzierten Kontingenten in München, Bielefeld, Leipzig und Köln sowie ein planmäßiger Post-Pandemierekord in Dortmund. An Orten wie Wolfsburg, Mainz oder Hoffenheim, wo wiederholt Plätze frei bleiben, musste man schon vor der Pandemie nicht den Schwarzmarkt frequentieren, falls man spontan ein Heimspiel besuchen wollte.

Überall in Europa öffnen sich jetzt wieder die wegen Corona verschlossenen Stadiontore. In England ist man damit wieder am schnellsten gewesen, 60000 Augenzeugen verfolgten beispielsweise am Wochenende die Partie von West Ham United gegen Brentford. Den Engländern ist aber auch eine gewisse Bedenkenlosigkeit zu eigen - hierzulande mag es daher noch dauern, bis die alten Stammgäste zurückfinden. Dennoch scheint dies eher ein Thema von Zeit und Gewöhnung zu sein als eine Grundsatzfrage.

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