Prozess gegen Fanprojekt-Mitarbeiter:„Angriff auf unsere Grundwerte“

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Immer wieder Stein des Anstoßes und Anlass für teils harte Strafen: Ultras, die Pyrotechnik im Stadion zünden, wie hier beim Zweitligaspiel des Karlsruher SC gegen Schalke 04 im vergangenen September. (Foto: Jan Prihoda/Eibner/Imago)

Drei Sozialarbeiter des Fanprojekts Karlsruhe wollen nicht gegen Ultras aussagen, die im Stadion Pyrotechnik gezündet haben. Der Prozess gegen das Trio wird erneut vertagt. Und es drängt sich die Frage auf, ob die Justiz den Job von Fanbetreuern versteht.

Von Christoph Ruf

Es ist nicht auszuschließen, dass sich die gut 100 Besucher der Gerichtsverhandlung vom Dienstag hin und wieder in einem Fußballstadion wähnten. Zumindest der Teil des Publikums, der aus Fußballfans und nicht aus Angehörigen von Sozialberufen bestand, dürfte sich vor dem Karlsruher Amtsgericht bei den Rededuellen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft zuweilen an ein Lokalderby erinnert gefühlt haben. „Hören Sie doch auf, hier ständig dazwischenzublöken“, rief etwa der Anwalt Alexander Schork dem Staatsanwalt zu. Der hatte zuvor eher dezent interveniert und blieb die Antwort nicht schuldig: „Wenn hier einer ständig blökt, sind Sie das, Herr Kollege.“ 

Die drei Angeklagten, Mitarbeiter des sozialarbeiterischen Fanprojekts, schwiegen derweil während der Verhandlung. Weil sie das seit Beginn des Verfahrens gegen zwei Dutzend Mitglieder einer Karlsruher Ultragruppe tun, ist es überhaupt zu dem Prozess gekommen, dessen Akte mittlerweile mehr als 600 Seiten umfasst. Die drei Sozialarbeiter stehen nur deshalb vor Gericht, weil ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR) zusteht.

Zuletzt hatten sie Einspruch gegen Strafbefehle in Höhe von 7200 Euro eingelegt, mit denen sie als vorbestraft gälten. Hintergrund ist eine Pyrotechnik-Aktion im November 2022, nach der elf Menschen Atembeschwerden hatten. Nach einem vom Fanprojekt initiierten „Täter-Opfer-Ausgleich“ verzichteten sie auf eine Anzeige. Die Staatsanwaltschaft ermittelte dennoch, nahm die Mitarbeitenden des Fanprojekts ins Visier, gegen die seither wegen „Strafvereitelung“ ermittelt wird. „Ich schütze keine Straftäter, sondern meine Arbeit“, sagt Sophia Gerschel vom Fanprojekt. Das Vertrauensverhältnis zur Ultra-Szene sei die Basis, um überhaupt auf sie einwirken zu können.

Umso wichtiger sei es, die Gesetzeslage zu reformieren, findet Lissy Hohnerlein von der Organisation „Sozialpädagogische Alternative“, die sich in Karlsruhe um obdach- und wohnungslose Menschen kümmert: „Wir betreuen Menschen, die niemandem mehr vertrauen, nicht den Behörden, nicht der Politik und nicht der Polizei. Ich sage ihnen, dass ich der Schweigepflicht unterliege und sie mir vertrauen können.“ Die Diskussion ums Fanprojekt sei auch bei ihrer Klientel angekommen: In den vergangenen Monaten werde sie aber oft gefragt, ob auch sie die Aussage verweigern würde, wenn es hart auf hart komme. „Ja“, antwortet Hohnerlein dann. „Ich würde es so machen wie die drei. Ich würde für sie auch in den Knast gehen.“ 

Sozialarbeiter empfinden den Prozess als Angriff auf den Kernbereich ihrer Arbeit

Auf den zuweilen recht großen Graben zwischen Politik und Justiz einerseits und sozialer Arbeit andererseits hob am Dienstag auch die Verteidigung der drei Fan-Sozialarbeiter ab. „Das Feld der sozialen Arbeit kommt offensichtlich nicht in der Gedankenwelt der Staatsanwaltschaft“ vor, konstatierte der Münchner Anwalt Marco Noli, derweil sein Kollege Schork infrage stellte, dass das vermeintliche Wissen des Fanprojekts für die Aufklärung überhaupt relevant gewesen wäre: „Sie hatten doch schon alle Namen der Verdächtigen, welche Strafen sollen sie denn vereitelt haben?“ Der gesamtgesellschaftliche Schaden, den der Karlsruher Prozess anrichte, sei hingegen immens: „Diejenigen, die das Gesetz schützen sollen, sind erbost. Sie empfinden das als Angriff auf unsere Grundwerte“, sagt Schork.

Vor allem aber empfinden sie es als Angriff auf den Kernbereich ihrer Arbeit. Tatsächlich entstand während der Verhandlung immer wieder der Eindruck, dass die Justiz nicht immer vollumfänglich versteht, welche Aufgaben ein Fanprojekt hat. Die Frage des Staatsanwalts an einen als Zeugen geladenen Polizisten, ob die drei Sozialarbeiter möglicherweise selbst an der Vorbereitung der Pyrotechnik-Aktion beteiligt gewesen sein könnten, löste bei vielen Kollegen der Angeklagten, die im Raum saßen, Stirnrunzeln aus. Einem Streetworker im Bahnhofsviertel unterstelle schließlich auch niemand, er konsumiere Crack.

Andererseits sind die Ermittlungen formal nicht zu beanstanden. Dass den dreien kein ZVR zusteht, ist unstrittig. Die Verteidigung versuchte am Dienstag nachzuweisen, dass die Ermittler die Namen der mutmaßlich an der Pyroaktion Beteiligten schon kannten, als sie das Fanprojekt ins Visier nahmen. Der Prozess wurde nach sieben Stunden vertagt und soll am 28. Oktober fortgesetzt werden.

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