Fankultur des FC Bayern:Aufstand gegen die Klatschpappkameraden

Vor der Jahreshauptversammlung des FC Bayern beherrscht den Verein wieder einmal eine Debatte mit den eigenen Fans. Noch immer bleibt die Stimmung in der Fröttmaninger Arena oft mau, dabei ist das Stadion wunderschön. Der Klub hat nicht das Publikum, das daraus ein brodelndes Rund machen könnte - zuletzt hielt es sich sogar aus der Kurve fern.

Kassian Stroh

FC Bayern Muenchen v Chelsea FC - UEFA Champions League Final

Auch das gehört zur Fankultur: In der Kurve präsentieren die Anhänger des FC Bayern eine riesige Choreographie - den Pokal holte letztlich aber der FC Chelsea. 

(Foto: Getty Images)

Es war ein Spiel in Europas höchster Fußballklasse, aber es klang streckenweise wie eines der Regionalliga. Gut, es waren 68.000 Zuschauer gekommen, doch sie hörten ganz gut die Kommandos und Zurufe der Spieler unten auf dem Platz. So leise war es. Dabei spielte der FC Bayern gegen den OSC Lille. Mittwoch vergangener Woche, Champions League in München. Und die Stimmung? Mau.

Der harte Kern der Fanszene, der sonst die Gesänge anstimmt, hatte das Spiel boykottiert, aus Verärgerung über neue Sicherheitskontrollen (siehe unten). Hinter dem Südkurven-Tor, wo in den überfüllten Stehplatz-Blöcken sonst ein rot-weißes Meer wogt, klaffte ein graues Loch. Und zu Tage trat, was diese paar hundert sogenannten Ultra-Fans sonst lautstark übertünchen: Dass der FC Bayern ein Publikum hat wie in der Oper.

Es liebt das Spektakel, es verehrt und bejubelt die Diven, ob sie nun Gruberova heißen, Thielemann oder Ribéry. Wenn der vor der Gegengerade zu einem Flügellauf ansetzt, dann zieht er wie ein Komet einen Schweif hinter sich: eine Menschenwelle auf der Tribüne, wo sich alle, wenn er an ihnen vorbeiläuft, voller Spannung erheben. Aber wenn er einen Ball verstolpert, wenn das Spiel ein müdes ist, das nur mit Mühe, wenn überhaupt, mit einem 1:0 kurz vor Schluss entschieden wird, dann pfeift das Publikum.

Es pfeift ziemlich schnell in München. Und wer wollte es ihm verdenken? Ein mittelmäßiger Platz am Ende der Gegengerade, Unterrang, kostete beim Lille-Spiel 80 Euro. Das macht zu zweit, mitsamt alkoholfreiem Bier und Parkgebühr, 200 Euro für 90 Minuten Fußball-Unterhaltung. Da hat der Besucher das Recht, dass er was geboten bekommt.

Als der FC Bayern vor sieben Jahren in die Arena von Fröttmaning zog, schmähte die Südkurve anfangs noch mit einiger Hingabe die Zuschauer auf der Haupttribüne. Dort finden sich 2000 sogenannte Business-Seats, und wann immer deren Inhaber nicht pünktlich zum Anpfiff auf ihren Plätzen saßen, weil sie sich noch am (im Kartenpreis enthaltenen) Büffet im "Business Club" labten, schallte es ihnen entgegen: "Ihr seid nur zum Fressen hier!"

Das hat sich gelegt, auf den Business-Seats nimmt heute ein ziemlich normales Stadionpublikum Platz - auch Fans und Väter mit ihren Söhnen, in Trikots statt Anzug. Wie überhaupt das Fröttmaninger Publikum ein recht heterogenes ist, weil es Familien genauso umfasst wie bierbäuchige Träger von Jeansjacken mit Dutzenden Vereinsaufnähern darauf.

Viele kommen aber eben auch mit Tickets von Arbeitgeber oder Geschäftspartner, Firmen wie die Landesbank verkaufen große Kontingente an die eigene Belegschaft (oder die befreundete von den Kreissparkassen). Und die wenigsten dieser Art von Besuchern sind so klar auszumachen wie jene vier Dutzend Telekom-Menschen in Block 125, die offenbar die Verpflichtung eingehen, bei jedem Wetter Regenumhang und Kappe in Weiß überzuziehen.

Das ist zwar unpraktisch und sieht albern aus, ist aber eine innovative Idee der Werbeabteilung: Aus der Perspektive der Fernsehkameras gegenüber ergibt das ein Telekom-Logo in groß. Ansonsten ist der übliche Firmenkartennutzer eher jung und Träger gegelter Haare, allenfalls durch einen dezenten rot-weißen Schal zu erkennen oder an seiner Begleitung: Oft blond, noch öfter in hohen Stiefeln und fast immer, nun im Winter zumindest, in Stepp-Daunenjacke mit Kunstfellbesatz.

Für sie alle hat der FC Bayern im Frühjahr die Klatschpappe von seinen Basketballern importiert: ein etwa DIN A3-großes Stück Pappe, rot bedruckt ("Mia san mia"), vom Verein auf allen Plätzen ausgelegt und entlang der vorgestanzten Linien zu falten, so dass eine Art Fächer entsteht. Wenn man mit diesem in die Hand schlägt, erzeugt er viel Lärm. Sehr viel Lärm - und ähnlich nervtötend wie eine Vuvuzela. Die Klatschpappe freilich ist das ideale Instrument für das Bayern-Publikum: So kann es lärmen, ohne peinlich zu sein oder sich schämen zu müssen.

Denn wer geht schon gerne aus sich raus, wer ruft, schreit, gestikuliert, beschimpft den Gegner oder den Schiedsrichter - wenn er neben seinem Chef sitzt? Oder einem, der das bald werden könnte? Oder einem, der wie man selbst aus dem Geschäftsbereich Finanzen und Controlling stammen könnte? Pappzuklatschen hingegen ist immer sozial adäquat. Kein Wunder, dass der Fan-Boykott im Lille-Spiel so ohrenfällig war - da lagen keine Pappen aus. Anders als im September, beim Spiel gegen Valencia: Auch das boykottierten die Ultras, doch da machten die Pappkameraden manches von dem wett, was in der Südkurve fehlte. An Lautstärke zumindest.

Kritik an inszenierter Stimmung

Diese Konflikte zwischen Fankultur einerseits und vom Verein inszenierter Stimmung andererseits sind Jahre alt bei den Bayern, womöglich brechen sie auch an diesem Donnerstag wieder auf bei der Mitgliederversammlung. Bei jener vor fünf Jahren führten sie zu einem legendären Wutausbruch des Klubpatrons. Als einer kritisierte, dass der FC Bayern seine Fans nur noch als "Kunden" und "Gäste" bezeichne und dass die Stimmung in der Arena schlecht sei, nannte Uli Hoeneß das eine "populistische Scheiße".

"Für die Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch selbst verantwortlich", polterte er und schimpfte, dass ihnen die Menschen auf den teuren Plätzen den Stadionbesuch finanzierten. In der Tat: Sieben Euro zahlt der Stehplatz-Dauerkartenbesitzer pro Bundesligaspiel, bei der Champions League 20 Euro. Das ist auch im europäischen Vergleich so sagenhaft günstig, dass diese Karten inzwischen auch gar nicht mehr auf den Markt kommen, sondern quasi vererbt werden.

Das wiederum erbittert Ultra-Fans, die eben keine solchen mehr ergattern können und nur mit teureren ins Stadion kommen - jene fanatische junge Leute also, die pausenlos schreien und singen und schon in der Halbzeitpause klatschnass geschwitzt sind, die die Polizei höchst suspekt findet, auf die der Verein aber auch angewiesen ist, weil ja selbst Opern-Publikum der Stimmung wegen ins Stadion geht. Andererseits ist auch die Fanszene selbst uneins bis zerstritten.

Sehr viele erbost das Selbstverständnis der Ultras, das wie der Alleinvertretungsanspruch daherkommt, nur sie selbst seien wahre Fans. Oder deren Maßlosigkeit: Vor gut einem Jahr etwa wollten sie dem neuen Torwart Manuel Neuer einen Katalog an Benimmregeln vorsetzen, wie er sich gegenüber der Südkurve zu verhalten habe. Sein einziges Vergehen: Er war von Kindesbeinen an Schalke-Fan.

So ist der FC Bayern nun vor sieben Jahren in sein neues, offiziell stets ausverkauftes Stadion umgezogen. Ein wunderbares Stadion. Er hat dort zum Beispiel mehr als 200 Plätze für Rollstuhlfahrer geschaffen, nicht irgendwo am Rand, sondern in der Mitte, beste Plätze.

Er hat nun nicht mehr das dachlose Olympiastadion, mit seiner Offenheit und Weite, die auf den Rängen auch Distanz zum Platz zuließ, sondern eine enge Arena, verdichtet und fokussiert auf das Spiel, den Kampf. Doch er hat kein Publikum, das zu dieser Form von Spielstätte passt - und Arenen-Stimmung allenfalls dank unkontrollierbarer Fanatiker.

Beim Spiel gegen Lille waren genau die nicht da. Aber sie hatten eine Botschaft hinterlassen. "Klatschpappen kann man kaufen - Stimmung nicht", hatten sie zuvor in der Südkurve als großes Transparent aufgehängt. Und darunter ein zweites, kleineres: "Ist es das, was ihr wollt?"

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